Barbatta Tal, 13. März 1893

Zeitlich morgens schon herrschte lebhafte Bewegung im Lager Dakna Bagh, welches abgebrochen und 10 km südöstlich in Barbatta Tal aufgeschlagen werden sollte. Das Abbrechen eines so großen Lagers, wie das unsere war, erfordert geraume Zeit und nimmt daher bereits mit Tagesgrauen seinen Anfang: zwei Stunden vor dem Abmarsch wird schon an den Zelten gerüttelt, so dass an Schlafen und Ruhen nicht mehr zu denken ist; zuerst werden das Küchen- und das Speisezelt, dann die übrigen Behausungen, unsere zuletzt, abgebrochen; in langer Reihe stehen Lastkamele bereit, um mit den Zelten bepackt zu werden; jedes Kamel wird auf einer Seite mit der um die Zeltstangen gewickelten Zeltleinwand, auf der anderen Seite mit einem großen, die Pflöcke enthaltenden Sacke beladen; die Elephanten werden gesattelt, die Zugtiere vor die Karren gespannt, auf welchen die Bagage und die Zelteinrichtung untergebracht wird. Was in den Karren nicht mehr Platz findet, nimmt ein Tross von Kulis auf die kräftigen Schultern.

Endlich ist die Karawane zum Aufbruch bereit — ein langer, bunter, lebhafter Zug, den wir von der Höhe unserer Reitelephanten überschauen: voran, im Gänsemarsch, alle Elephanten mit den Häudas; dann die Kamele mit ihrer Last; hierauf die Kulis, an deren Tragstangen Geräte aller Art, solche intimster Bestimmung nicht ausgeschlossen, schwanken; unter Bedeckung einer bewaffneten Eskorte schließen sich die Karren an, gezogen von den wunderlichsten Bespannungen. Hier sieht man Viererzüge, aus Ochsen und Büffeln zusammengestellt; dort teilt im Zweigespann ein Büffel mit einer Kuh des Weges und der Last Beschwerde; da müht sich mageres Jungvieh ab, einen Karren zu schleppen; auf jenem Vehikel thront ein nepalischer Beamte, Babu genannt; dort sitzt stolz der Koch, wohlbeleibt, wie es sich ziemt; hier flattern Bettdecken aus einem Karren, auf welchem Perlhühner fröhlich gackern; todbringende Gewehre in trauter Gemeinschaft mit friedlichen Küchengeräten lagern auf diesem Fahrzeug; jenes führt die Kiste mit dem literarischen Rüstzeug, den transportablen Flaschenkeller und all die Gifte Hodeks. Hin und wieder bleibt wohl im aufgelockerten Weg einer der Wagen stecken, der mühselig genug mit Vorspann wieder flott gemacht werden muss. Nach mancher Fährlichkeit aber ist der Zug am neuen Lagerplatz in guter Ordnung angelangt, wo die Soldaten der Escorte flugs den Raum abstecken, und die Zeltstadt, an einem reizenden, von mächtigen Sal-Bäumen beschatteten Fleck Erde gegründet, in kurzer Zeit erbaut ist.

Auf dem Lagerplatz wurden wir mit der angenehmen Nachricht begrüßt, dass in dem Dschungel, wo wir zwei Tage zuvor gejagt, Tiger seien. Die Schikaris baten, vorauseilen, die Tiger bestätigen und allenfalls den Kreis schließen zu dürfen; wir sollten günstige Botschaft abwarten und dann auf den Reitelephanten folgen. Wir taten unterdessen, was wir nicht lassen konnten, will sagen, wir ergötzten uns an einem Frühstück, nach dessen Beendigung einer um den andern aus der Gesellschaft in sein neu errichtetes Heim verschwand, der süßen Ruhe zu pflegen. Bald lag das ganze Lager in sanftem Schlummer.

Plötzlich wurden wir aufgescheucht — von Zelt zu Zelt lief die Kunde: sechs Tiger sind bestätigt. Vorbei war’s mit der Ruhe, dem Schlummer, alles stürzte aus den Zelten, warf sich in die Sättel und fort ging’s in die Sumpfregion, wo unser bereits ein geschlossener Kreis harrte. Hier schmolzen die sechs Tiger bald auf einen einzigen zusammen, allerdings ein ausnehmend starkes Exemplar, welches die in das Dschungel eindringenden Elephanten mit Gebrüll empfing, sofort hoch wurde und im dichten Gras umhersauste, ohne sichtbar zu werden. Endlich schoss ich auf ein Röhricht, hinter dem ich irrigerweise den Tiger vermutete; Wurmbrand folgte, fehlend, meinem Beispiel, bis Clam, dessen Elephanten der Tiger angriff, demselben einen Blattschuss beibrachte, worauf ich ihm den Fangschuss gab.

Bei prachtvollem Sonnenuntergang — der Himalaya, über dem ein schweres Gewitter aufzog, leuchtete in fahlen Farben — kehrten wir in unser Waldlager zurück.

Links

  • Ort: Barbatta Tal, Nepal
  • ANNO – am 13.03.1893 in Österreichs Presse. Die Neue Freie Presse setzt den Rückblick auf Franz Ferdinands Reise fort bis 22. Februar. Der Kaiser besucht mittlerweile Genf.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Die Tochter des Herrn Fabricius“, während das k.u.k. Hof-Operntheater „Gringoire“ aufführt.
Franz Ferdinand's trip is continued until 22 February.

Fortsetzung des Berichts über Franz Ferdinands Reise bis zum 22. Februar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
18 × 2 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.