Hongkong, 21. Juli 1893

Nachts war der Wind eingelullt, so dass wir, ohne von einem Taifun heimgesucht worden zu sein, morgens um 2 Uhr das Leuchtfeuer von Gap Rock sichteten. Damit die „Elisabeth“ jedoch nicht vor Tagesanbruch in die Einfahrt des Hafens von Hongkong komme, wurde der dritte Kessel außer Betrieb gesetzt und liefen wir daher, erst als es lichter geworden, in den East Lamma Channel ein und an Green Island vorbei. Doch stieß dies auf Schwierigkeiten, da dichter Nebel über der See lag und wolkenbruchartige Böen niedergingen, wodurch der Ausblick so behindert war, dass wir kaum auf 100 m vor uns sehen konnten und oft mit halber Kraft fahren mussten. Die Berge, welche den Hafen umgeben, waren nicht zu ersehen; erst als wir den Mastenwald der vor Anker liegenden Schiffe und im Hintergrund Häuser der Stadt erblickten, zweifelten wir nicht mehr daran, dass wir tatsächlich in den Hafen von Hongkong eingelaufen waren.

Trotz des schlechten Wetters bot dieser — der drittgrößte Hafen der Welt, was die Anzahl der ein- und auslaufenden Schiffe sowie deren Tonnengehalt betrifft — ein imposantes Bild. Wir sahen hier Fahrzeuge aus aller Herren Ländern: eine gewaltige Flotte mächtiger Dampfer, welche, den Verkehr von und nach allen Weltgegenden vermittelnd, hier Waren aus- und einladen und sich für die Weiterfahrt mit Kohlen versehen; dazwischen allerhand Segelschiffe vom gewaltigen Viermaster bis zum kleinen Küstenfahrer; eine Reihe von Kriegsschiffen, worunter mehrere englische, und zwar die Kanonenboote „Daphne“ und „Plover“ sowie als Hafenwachschiff das gehulkte Linienschiff „Victor Emanuel“, welches einst als imposantes Schlachtschiff die Flagge Großbritanniens über die Meere getragen hatte, jetzt aber, abgetakelt und mit einem hölzernen Dach versehen, seine Tage beschaulich im Hafen beschließt; das portugiesische Transportschiff „Africa“, welches das Ende der Taifun-Saison hier abwartet, um dann eine größere Reise anzutreten; einige kleinere chinesische Kanonenboote und Zollwachschiffe. Ein ähnliches Ungetüm, wie das Hafenwachschiff, das gleichfalls gehulkte Linienschiff „Melanie“, dient als Garnisonsspital.

In der Regel ist die Zahl der in Hongkong vor Anker liegenden Kriegsfahrzeuge eine bedeutend größere, aber infolge der Komplikationen zwischen Frankreich und Siam waren mehrere Schiffe in den Golf von Siam beordert worden und wenige Tage vor unserer Ankunft dahin abgedampft.

Eine ebenso fremdartige als originelle Staffage bilden die vielen Hundert chinesischer Dschunken, welche mit dem unförmlichen Schiffskörper und den dreieckigen, meist schon sehr schadhaften und zerfetzten, dunklen Segeln den Hafen erfüllen, um sich vor dem Quai zu einem förmlichen Wall von Schiffen zu stauen. Mit dem unverhältnismäßig hohen Bug und dem verzierten, ebenfalls stark erhöhten Achterkastell erinnern diese Fahrzeuge an Abbildungen von Schiffen aus der Zeit der Armada. Die Geschicklichkeit, mit welcher die Dschunken trotz der scheinbaren Schwerfälligkeit durch das Labyrinth verankerter Schiffe lavieren und manövrieren, ist in hohem Grad bemerkenswert, und es gewährt viel Vergnügen, das lebhafte Treiben der Dschunken zu beobachten; man meint, dass alle Augenblicke eine derselben an einen großen Dampfer anfahren oder ein anderes Schiff rammen werde, aber ein im letzten Moment unternommenes flinkes Manöver beseitigt die Gefahr, und unbehindert wird die Fahrt fortgesetzt. Die Dschunken, welche zunächst nur für den Handel an der Küste und für den Fischfang bestimmt sind, wagen sich gleichwohl auch weit in die offene See hinaus, obschon sie zufolge ihrer Bauart den schweren Taifunen nicht gewachsen sind, so dass, wenn plötzlich ein derartiger Sturm sich erhebt, die von ihm überraschten Dschunken meist auch zugrunde gehen.

Wie Mücken schießen unzählige kleine Sampans und „Pantoffelboote“ im Hafen hin und her, während zahlreiche Dampfbarkassen eilfertig den Verkehr zwischen den Schiffen und dem Land vermitteln. Am Quai liegen nebst der Legion von Dschunken auch die großen Raddampfer vertäut, welche täglich zweimal Passagiere nach Kanton befördern.

Daran gewöhnt, dass die Eingeborenen der Länder, die wir gesehen, jede Tätigkeit mit wüstem Geschrei begleiten, staunten wir nicht wenig über die lautlose Ruhe, mit welcher die Bemannung der chinesischen Schiffe ihren Dienst versah. Dank dem strömenden Regen, sahen wir zum ersten Mal an den chinesischen Matrosen die eigentümliche Regenkleidung, bestehend aus einem langen, bis zu den Knien reichenden „Waterproof“ aus Schilfgras, an dem auch der stärkste Regen abfließt, und einem riesigen, runden Rohrhut, ungefähr von den Dimensionen eines Wagenrades, welcher die Dienste eines Parapluies versieht.

Die Kronkolonie besteht aus der Insel Hongkong selbst, den kleinen dazugehörigen Eilanden (Stone Cutters, Green, Applechow oder Aberdeen, Middle, Round Island etc.) — 1841 von China an England abgetreten — und aus dem im Norden der Insel Hongkong gelegenen, die südliche Hälfte der Halbinsel Kau-lung (Kowloong) bildenden Stückchen Festland, welches 1861 an England überlassen worden ist. Dieses ist von der Insel Hongkong durch einen etwa eine Seemeile breiten, an seinem Ostende, dem Lyemoon-Pass, aber auf kaum eine Viertelmeile sich verengenden Meeresarm getrennt, welcher eben den etwa sechs Seemeilen langen und ein bis drei Seemeilen breiten Hafen von Hongkong bildet.

Die Insel Hongkong ist ein von allen Seiten, insbesondere aber an der Südküste, wo die Buchten tief ins Land einschneiden, steil aufsteigender Granitstock mit engen Tälern und Schluchten. Die höchste Erhebung der zumeist kahlen, zerklüfteten Insel ist der im Westen befindliche Victoria Peak (556 m); am Fuße desselben und am Nordrand der Insel liegt die Stadt Victoria, gewöhnlich Hongkong genannt.

Die kommerzielle, finanzielle und politische Bedeutung Hongkongs, der östlichsten Besitzung Großbritanniens in Asien, insbesondere aber die Wichtigkeit, welche dieser Freihafen nicht nur für den chinesischen, sondern auch für den gesamten ostasiatischen Handel besitzt, zeugt neuerdings für den weiten Blick Englands in der Erwerbung von Stützpunkten für seinen maritimen Verkehr. Auch hier, wie in Gibraltar, haben die Briten sich einen Punkt zu sichern gewusst, dessen Gewinnung von weittragender Folge für die Entwickelung ihrer Handelsmarine begleitet war.

Ob Hongkong in landschaftlicher Hinsicht mit Gibraltar, ja wie manche wollen, mit Neapel vergleichbar ist, vermag ich nicht zu entscheiden, da mir diese beiden Häfen nicht bekannt sind, jedenfalls aber erschien mir der Hafen von Hongkong als einer der schönsten, welche ich bisher auf meiner Reise berührt hatte.

Die Stadt Victoria baut sich am Fuße des Victoria Peak amphitheatralisch auf; dem Strand entlang wird zunächst die etwa 7 km lange Linie des breiten, mit stattlichen Gebäuden besetzten, belebten Ouais, der Praya, sichtbar; jenseits desselben ziehen sich terrassenförmig die übrigen Teile der wohlgebauten Stadt die Abhänge des Victoria Peak hinan. Die unteren Terrassen sind mit großen Häuserblocks erfüllt; weiter hinauf steigen Villen und Gartenhäuser empor. Der leider häufig in Nebel gehüllte Peak, welchen eine Bergbahn mit der Stadt verbindet, blickt majestätisch herab auf das Grün der Villenstadt, auf das glänzende Weiß der palastartigen Bauten, auf den breiten Quai und das Leben im Hafen.

Im Norden des Hafens, auf der Halbinsel Kau-lung, befinden sich weitläufige Schiffahrts-Etablissements, Docks, Marine-Depots, Werften, Werkstätten, Kohlenmagazine, Kabelhäuser und die Sternwarte mit der meteorologischen Station, welche hier eine ganz besondere Bedeutung dadurch hat, dass sie zugleich als Signalisierungsposten für die im ostasiatischen Meere so häufigen Taifune dient. Sie steht mit den Hauptpunkten der chinesischen Küste sowie mit Manila in telegraphischer Verbindung und zieht gegebenen Falles die weithin sichtbaren Sturmsignale auf, deren Gestalt und Farbe die Richtung des herrschenden Taifuns anzeigt, was für die auslaufenden Schiffe einen höchst wichtigen Navigationsbehelf bildet. Bei unserer Ankunft fanden wir das Signal „Taifun Nordost“ gehisst und sahen dadurch unsere während der Fahrt nach Hongkong ausgesprochene Vermutung bestätigt.

Sowohl auf der Halbinsel Kau-lung als auch auf der Insel Hongkong umrahmen steile Höhen mit scharf ausgeprägten Formen das Bild. Auf dem Festland springen sofort die kahlen, mit rötlicher Erde überzogenen Flecken ins Auge, welche, auf den Lehnen und Hängen der Berge unregelmäßig vertheilt, weithin leuchten. Der Gebirgsstock der Insel Hongkong ist bis auf das Gestrüpp und den niedrigen Graswuchs der Schluchten und Wasserrinnsale von Natur aus völlig kahl, doch haben es die Engländer verstanden, namentlich im Villenviertel und in dem östlich von Victoria gelegenen Tal „Happy Valley“ einen Teil ihres Territoriums aufzuforsten und mit Parkanlagen auszustatten. Diese mit bedeutendem Arbeits- und Kostenaufwand hergestellte Melioration des Terrains ist durch die Wärme und Feuchtigkeit des Klimas während der Sommerszeit begünstigt, vielfach jedoch durch die Temperaturstürze im Winter beeinträchtigt gewesen. Aber auch hier hat systematische Kulturarbeit alle Hindernisse zu überwinden gewusst, so dass heute ein reizender Kranz von Parks und Gärten das Villenviertel von Victoria schmückt. Die Schaffung einer, wenn auch jetzt noch wenig umfangreichen Vegetationsdecke innerhalb dieses Territoriums ist zum Teil auch auf die Absicht zurückzuführen, hier günstigere sanitäre Bedingungen zu schaffen; denn tatsächlich ist das Klima Hongkongs ein recht ungesundes, wie sich aus der verhältnismäßig bedeutenden Sterblichkeit ergibt.

Dass trotz der ansehnlichen Zahl von Sterbefällen die Einwohnerschaft der Kronkolonie stetig wächst, ist auf die Chinesen zurückzuführen, welche den größten Teil der Bevölkerung bilden, während diese im übrigen nur etwa 10.000 Europäer und eine geringe Zahl Mischlinge aufweist.
Bei unserem Einlaufen in den Hafen ereignete sich ein aufregender Zwischenfall; wir fuhren nämlich ziemlich rasch zwischen den zahlreichen Dschunken und Dampfern hindurch, als plötzlich eine Störung an der Dampfsteuertransmission eintrat und diese den Dienst versagte, so dass das Schiff nach steuerbord ausbrach und ohne jede Steuerung geradewegs auf eine Menge verankerter Dschunken zufuhr. Gleichwohl gelang es, obschon wir uns bereits in so bedenklicher Nähe der Dschunken befanden, dass deren Bemannung Hilferufe ausstieß, jeden ernsteren Unfall dadurch zu verhindern, dass rechtzeitig beide Maschinen nach rückwärts arbeiteten und in voller Fahrt mit besonderer Schnelligkeit ein Anker geworfen wurde, der glücklicherweise Grund fasste und hielt.

Kaum war die Havarie des Steuerapparates beseitigt, so kam ein Seeoffizier an Bord, um uns den Ankerplatz anzuweisen, woselbst die „Elisabeth“ an die für das Flaggenschiff der englischen Escadre bestimmte Vertäuboje gelegt wurde.

Unmittelbar hierauf leisteten wir den Territorialsalut und, nach dessen Erwiderung, mit 13 Schüssen den Salut für den englischen Contreadmiral Palliser.

Nun begann ein förmlicher Sturm auf die „Elisabeth“, indem zahllose chinesische Geschäftsleute und Händler in ihren kleinen Booten an das Fallreep herandrängten, um so rasch als möglich an Bord zu gelangen; denn jeder wollte dem andern zuvorkommen, seine Waren anzupreisen und Geschäfte zu machen. Der gelbe Strom ergoss sich nach aufwärts, die finsteren Blicke und scheltenden Worte unseres ersten Lieutenants vermochten ihn nicht mehr einzudämmen. Die ersten, welche das Deck der „Elisabeth“ genommen hatten, waren zumeist ältliche Besitzerinnen von Waschetablissements, und jede derselben hatte als Hilfstruppe sechs bis acht junge, hübsche „Wäschermädel“ aufgeboten, die sich, wohl gewaschen, fein säuberlich schwarz gekleidet, recht niedlich ausnahmen und an Puppen erinnerten. Diese Dämchen entwickelten nun eine staunenerregende Fertigkeit in der Anpreisung der Leistungen ihrer Etablissements und überdies ebenso große Energie als Emanzipation; sie drangen geradewegs in alle Kabinen und entrissen den Bewohnern derselben unter Lachen und Scherzen die Wäsche, um diese, in Bündel geschnürt, in den Sampans verschwinden zu lassen. Überall im ganzen Schiffe trippelte die Schar umher, und erst nach geraumer Zeit gelang es unserem gestrengen Profoßen, die Schönen zur Rückkehr ans Land zu bewegen.

Dann trat das männliche Geschlecht in die Bresche, da Verkäufer der verschiedenartigsten chinesischen Produkte, Schneider, Schuster u. dgl. das Deck überschwemmten; diese eifrigen, bezopften Brüder erschienen mit einem ganzen Bündel belobender Zeugnisse versehen, worunter auch manche von Schiffen unserer Marine, wie von der „Fasana“, der „Saida“ und der „Zrinyi“, ausgestellt waren. Alle diese Geschäftsbeflissenen waren von einer fabelhaften Zudringlichkeit, die aber recht ergötzlich wirkte, weil sie von dem unglaublichsten Kauderwelsch der mannigfachsten Sprachen begleitet war. Einer der Händler, dessen Physiognomie an jene eines Fuchses gemahnte und sich durch den Ausdruck großer Schlauheit auszeichnete, war sogar der deutschen Sprache, welche er durch den Verkehr auf deutschen Kriegsschiffen erlernt hatte, so ziemlich mächtig, und dieser sprachkundige Chinese dankte einem Spassvogel den Namen „Bismarck“, den er nun selbst mit Vorliebe führte.

Auch Künstler kamen an Bord — Maler, welche ihr Geschäft sozusagen fabriksmäßig betreiben, indem sie binnen kürzester Frist nach Photographien Porträts in Lebensgröße herstellen, welche zwar meist nur die allgemeine Heiterkeit erregen, aber mitunter in einzelnen Zügen doch eine überraschende Ähnlichkeit mit den Originalen zeigen. Wir alle machten natürlich sofort Bestellungen, und einige Matrosen folgten dem Beispiel, so dass in einiger Zeit mancher „Carlo“ und „Beppo“ in chinesischer Auffassung den künstlerischen Schmuck dalmatinischer Fischerhütten bilden dürfte.

Das rege geschäftliche Leben, welches sich an Bord entwickelt hatte, fand nur zu bald ein Ende mit Schrecken durch einen tropischen Platzregen, der mit großer Heftigkeit niederging und mit kurzen Unterbrechungen beinahe den ganzen Tag währte; auch hatte sich der Nebel wieder verdichtet und die Aussicht gänzlich benommen, so dass sich der Aufenthalt an Bord recht ungemütlich gestaltete.

In diesem bösen Wetter kamen die Würdenträger, deren Uniformen und Zylinder durch den Gussregen arg mitgenommen wurden, um ihre Aufwartung an Bord zu machen, und zwar zuerst, da der Konsulargerent selbst abwesend war, der interimistische Leiter unseres Konsulates, Herr Ernst Goetz, dann der Contreadmiral Palliser und zum Schluss der Gouverneur Sir William Robinson, welcher um mein Wohl nicht weniger besorgt zu sein schien als sein Kollege in Singapur. Letzterer hatte seinerzeit angesichts der Cholera, die in Singapur herrschte, warnende Depeschen nach Calcutta gesandt, ersterer aber mir durch unser Ministerium des Äußern nach Sydney die Nachricht zukommen lassen, dass in Hongkong eine Blatternepidemie ausgebrochen und die tunlichste Abkürzung des Aufenthaltes rätlich sei. Ich war jedoch durchaus nicht geneigt, welcher Krankheit immer einen Einfluss auf meine Entschließungen einzuräumen und gar den Aufenthalt in Hongkong abzukürzen, den ich vielmehr zu verlängern beschloss. Andererseits lehnte ich aber im Hinblick auf das angeblich grassierende Übel, von dem tatsächlich nichts zu bemerken war, mit Dank alle Empfänge und Festlichkeiten ab, um niemand in Gefahr zu bringen oder in der Ruhe zu stören. Ich war eben von dem Eindruck nicht frei, als sei unsere Anwesenheit dem Gouverneur etwas unbequem, so dass wir durch Vorschützen der Blatternepidemie von dem Besuch Hongkongs abgehalten werden sollten.

Da Besuch Gegenbesuch bedingt, ging ich trotz strömenden Regens an Land, um Sir William Robinsons Visite zu erwidern, und war, nachdem ich einige Zeit hindurch im Palankin umhergetragen worden, — die Kulis, deren wir uns bedienten, hatten nicht sofort begriffen, wohin wir wollten — an Ort und Stelle. Ein wohlgepflegter Garten umgibt das Government House, von welchem sich ein prächtiger Ausblick auf Victoria und den mit Schiffen besäeten Hafen bietet. Hochgewachsene Sikhs hatten die Torwache am Palais bezogen; von den Engländern werden zur Versehung des Wach- und insbesondere des Polizeidienstes in Hongkong mit Vorliebe Inder verwendet, welche, mit dem hohen Turban versehen und dem Policeman-Stock bewehrt, achtunggebietend in den Straßen stehen, uns lebhaft an unsere Freunde von Dschodpur gemahnend. Als wir einem dieser Policemen, der uns durch seine Erscheinung besonders aufgefallen war, erzählten, dass wir Dschodpur sowie Pratap Singh und Hardschi Singh kennen gelernt hätten, leuchteten seine Augen vor Freude.

Die Polizei in Hongkong scheint in Versehung ihres Dienstes sehr streng zu sein, da man die Stöcke der Polizisten häufig in unsanfte Berührung mit dem Rücken oder dem rasierten Kopf eines Chinesen geraten sieht.

Eine der Hauptaufgaben der Polizei ist es, nachts an der Praya Aufsicht zu führen, weil es nicht selten vorgekommen sein soll, dass Europäer, welche, an Bord ihrer Schiffe zurückkehrend, sich hiezu der Sampans bedienten, spurlos verschwunden sind — wahrscheinlich von den chinesischen Ruderern ermordet, ausgeraubt und in die Tiefe des Meeres versenkt. Um die Wiederholung derartiger Verbrechen tunlichst zu verhindern, überwachen die Policemen den nächtlichen Verkehr am Quai und notieren die Nummer sowie die Abfahrtszeit jedes zu einer Fahrt gedungenen Sampans.

In den Straßen wimmelt es von den landesüblichen Verkehrsmitteln, deren es hier zwei Arten gibt, nämlich die uns von Singapur her schon bekannten Dschinrickschas, welche von Läufern fortbewegt werden, und Palankine oder Bambussessel, die vorzugsweise in steileren Straßen Verwendung finden und, auf den Schultern von Kulis ruhend, einherschwanken. Während die Läufer der Dschinrickschas an Schnelligkeit und Ausdauer ihren Berufsgenossen in Singapur nachstehen, setzen die Träger der Palankine und Bambussessel durch ihre Leistungsfähigkeit in Erstaunen; denn Stunde um Stunde tragen sie, in einer Art Schnellschritt dahineilend, ihre schwere Last umher und befördern dieselbe leichtfüßig selbst auf die höchst gelegenen Punkte Hongkongs. Auffallend ist hiebei, dass diese Träger keine besonders kräftig entwickelte Muskulatur zeigen, ihre Hälse hingegen eine oft komisch wirkende Länge erreichen, was mit der alltäglich viele Stunden währenden Belastung der Schultern zusammenhängen soll.

An jeder Landungsstelle wird der Bootsinsasse durch eine Horde von Kulis begrüßt, welche mit lautem Geschrei die Vorzüge ihrer Transportmittel anpreisen. Ist die Wahl zugunsten eines derselben getroffen, so setzen sich dessen Träger oder Lenker, meist ohne das Ziel der Wünsche des Fahrgastes begriffen zu haben, alsogleich in eiligsten Lauf, um den Passagier an einem beliebigen, entfernten Punkte der Stadt abzusetzen. Mühsam versucht sich hier der Fahrgast mit dem Kuli zu verständigen und letzteren über seinen Irrtum aufzuklären; endlich scheint dies gelungen, und in raschem Tempo geht es alsbald weiter, zuweilen freilich abermals in einer ganz falschen Direktion, bis der Kuli endlich an den richtigen Punkt gesteuert ist. Die Bekleidung dieser Läufer und Träger ist stets die gleiche, aus weiten, blauen Kniehosen, Jacken dieser Farbe und großen Hüten bestehende; reiche Leute haben ihre eigenen, in ihren Diensten stehenden Läufer und Träger, welche zumeist weiß gekleidet und mit Schärpen in den Farben ihrer Herren geschmückt sind.

Die Stadt Victoria besteht aus zwei Teilen, dem östlichen, welcher sich als der europäische, und dem westlichen, welcher sich als der chinesische darstellt, eine Scheidung, die übrigens keine durchgreifende ist; denn es finden sich ebensowohl im europäischen Stadtteil Häuser und namentlich Kaufläden, die Chinesen gehören, als im chinesischen Teil Häuser und Geschäftslokale von Europäern. Dem Fremden fallen zunächst die breiten, schönen Straßen auf, welche die Stadt in paralleler Richtung zur Praya und in terrassenförmiger Anordnung durchziehen, während die Quergassen, welche die Verbindung zwischen diesen Hauptstraßen herstellen, mitunter recht steil geführt sind. Überraschend ist die allenthalben herrschende Sauberkeit, worin die von den Engländern gehandhabte strenge Polizei erkennbar wird, die um so nötiger erscheint, als die Reinlichkeit nicht eben die Haupttugend der Chinesen bildet.

Im europäischen Viertel ist der Praya entlang eine ganze Reihe imponierender Gebäude erstanden, welche hauptsächlich der geschäftlichen Tätigkeit gewidmet sind, so die Comptoirs der Großhändler, die Banken, allerlei industrielle und kommerzielle Unternehmungen und die meisten Konsulate. In der Flucht dieser Bauten scheint sich mehr der Großhandel konzentriert zu haben, während in der unabsehbaren Reihe von Läden zu beiden Seiten der Queens Road, der ersten Parallelstraße zur Praya, der Detailhandel mit Gegenständen des Luxus, der Kunstindustrie und Kunst blüht und in friedlicher Konkurrenz Europäer mit Chinesen wetteifern. Dort wo die Peddar-Straße in die Queens Road einmündet, ragt der gewaltige Uhrturm, ein Wahrzeichen Hongkongs, empor. Groß ist die Anzahl der Kasernen, in deren Hofräumen schneeweiß adjustierte Mannschaften allerlei Exerzitien übten.

Dem Chinesen-Viertel, dessen Straßen mitunter so schmal sind, dass kaum zwei Menschen nebeneinander zu gehen vermögen, verleihen Tausende bunter Firmatafeln ein charakteristisches Gepräge; diese sind schmale, oft 3 bis 4 m lange Bretter, welche, in den grellsten Farben originell bemalt und dekoriert, senkrecht herabhängen und in chinesischen Schriftzeichen Anpreisungen der Firma enthalten. Bunte, mit Flittergold und künstlichen Blumen geschmückte Hausaltäre fehlen in keinem Laden, und zahllose, großbauchige Laternen und Lampions sind bestimmt, helles Licht auf das nächtliche Treiben in dem Chinesen-Viertel zu werfen. Dieses Licht wird, seiner spezifischen Beschaffenheit ungeachtet, durch das elektrische in den Schatten gestellt, welches in Hongkong allgemein eingeführt ist und im Chinesen-Viertel die durch die autochthone Beleuchtung hervorgerufene malerische Wirkung sehr empfindlich stört. Überall steht das Chinesentum im Vordergrund und drückt der Öffentlichkeit einen eigenartigen Stempel auf; es hebt sich hier viel lebhafter und plastischer ab als etwa in Singapur, da es in Hongkong doch den Hauptstock der Bevölkerung ausmacht, wiewohl auch noch manch andere Volkstypen das Kolorit des Straßenbildes vervollständigen.

Die wohlhabenden Chinesen sind in dem Gewühle leicht an den weißen Blousen mit den weiten, faltigen Ärmeln, sowie an den Beinkleidern von blauer Farbe, an den Strümpfen aus Leinwand und an den Schuhen aus Seide kenntlich. Die ärmeren Klassen der chinesischen Bevölkerung begnügen sich mit einfacherer Kleidung, wozu meist dunkelvioletter Perkail verwendet wird; viele Männer der unteren Schichten tragen den Oberkörper entblößt und gehen, gleich den Frauen der ärmeren Stände, barfuß. Der dem Chinesen unentbehrliche Fächer ist in steter Bewegung. Auffallend ist die große Anzahl von Söhnen des himmlischen Reiches, die sich mit Brillen bewehren, was seine Erklärung zum Teil darin findet, dass sich, wie man mir sagte, zahlreiche chinesische Elegants dieses Mittels bedienen, nicht etwa um ihrem Sehvermögen nachzuhelfen, als vielmehr um sich den Anschein von Literaten zu geben und so den Reiz des persönlichen Eindruckes zu erhöhen, also aus Stutzerhaftigkeit. Diese Erscheinungsform des Gigerltums dürfte wohl nur in China möglich sein.

Vornehmere Chinesen lassen ihren langen, beinahe bis zur Erde reichenden Zopf frei herabbaumeln, während die ärmeren denselben aufbinden; bei allen jedoch ist stets das Haupthaar bis in die Mitte des Kopfes rasiert. Der Zopf bildet den Stolz jedes Chinesen, und diesen etwa im Scherz an dem „Pig-tail“, wie die Engländer das Haarschwänzchen nennen, zupfen, hieße den Zopfträger arg beleidigen. Hat Mutter Natur das zur Herstellung dieses Schmuckes erforderliche lange Haupthaar versagt, so wird — tout comme chez nous — künstlich nachgeholfen, und zwar durch das Einflechten langer Seidenfäden. Übrigens trägt jeder Chinese eine Schnur im Zopf, die gewöhnlich von schwarzer, in Trauerfällen von weißer und bei Kindern von glückverheißender roter Farbe ist.

Chinesische Frauen sind, da sich deren Tagewerk vorzugsweise innerhalb der Mauern des Hauses abwickelt, auf der Straße nur in verhältnismäßig geringer Zahl zu sehen. An den Vertreterinnen höherer Stände kann man die eigentümlich verkrüppelten Füße beobachten, welche den garstigen, entenartigen Gang verursachen.

Jedermann in Hongkong widmet sich dem geschäftlichen Leben, alle Welt eilt in den Straßen, namentlich im Chinesen-Viertel, dem Erwerbe nach; da herrscht ein ununterbrochenes Hin- und Hereilen der sich drängenden Menge, welches zuweilen durch festliche Aufmärsche, durch Hochzeits- oder Leichenzüge gehemmt wird, deren Nahen das erschütternde Lärmen auf den unvermeidlichen Gongs schon von weitem verkündet.

In den kleineren, die parallelen Hauptstraßen durchquerenden Gassen sind die Kaufläden förmlich aneinandergeklebt, und in der Mitte dieser Verkehrsadern ambulante Garküchen etabliert, welche für Spottpreise Früchte und allerlei undefinierbare Speisen feilhalten. Der Chinese isst eben alles, und man könnte ein Buch über die Mannigfaltigkeit chinesischer Lebensmittel und Speisen sowie über die Bewunderungswürdigkeit des Magens der bezopften Brüder schreiben, welcher Dinge verträgt, die sich nicht selten in einem der Fäulnis nahe verwandten Zustand befinden. Der Lebensunterhalt stellt sich angesichts dieser Genügsamkeit in Bezug auf die Qualität der Esswaren ungemein wohlfeil, was der so zahlreichen Bevölkerung sehr zustatten kommt; für etwa zehn Kreuzer unserer Währung kann sich ein erwachsener Mann täglich vollkommen ausreichende Nahrung verschaffen.

Je weiter der Wanderer gegen Westen vordringt, um so zahlreichere Schankbuden, Opiumkneipen, Spielhäuser und andere Unterhaltungsorte zweifelhaftester Natur findet er, in welchen sich, als Versammlungsorten der Matrosen und Kulis, als Tummelplätzen der wildesten Leidenschaften, abends und nachts wüste Szenen abspielen.

Wenn die ärgste Hitze des Tages vorbei ist, etwa gegen 5 Uhr nachmittags, nimmt das Gewimmel und Gedränge in den Straßen einen bienenschwarmartigen Charakter an, alles geht, schiebt, stößt, drängt, eilt, läuft durcheinander, und der Fußgänger kommt bei Überquerung von Straßen nicht selten in Gefahr, von einem der zahlreichen heranstürmenden Rickschaläufer umgestoßen zu werden. Obgleich die Kulis sehr geschickt im Wenden und Ausweichen sind, widerfährt hie und da doch ein kleines Malheur, wie unser ebenso beliebter als beleibter Chefarzt bestätigen kann; denn sein Rickschaläufer vermochte das Vehikel infolge des nicht unerheblichen Körpergewichtes des Fahrgastes an einer abschüssigen Stelle nicht mehr zu bremsen und fuhr full pace in einen chinesischen Laden hinein, wo unser würdiger Chefarzt etwas unsanft mitten zwischen allen Waren abgesetzt wurde.

Bald da, bald dort angeregt und gefesselt durch fremdartige, lebendige Bilder und Scenen, betrat ich endlich, meiner Kauflust zu fröhnen, mehrere Läden, in welchen Artikel chinesischen Ursprunges feilgeboten wurden und sich immer dasselbe Spiel wiederholte. Des Feilschens war kein Ende, da die Verkäufer exorbitante Preise forderten, um dieselben nach einer halben Stunde zähen Handelns auf ein Drittel zu ermäßigen, worauf dann der Kauf perfekt werden konnte. Endlich war auch das Problem der zu entrichtenden Gesamtsumme vermittels längerer Kalkulation unter Benützung der Rechenmaschine glücklich gelöst, ein Einverständnis wegen Übersendung der erstandenen Schätze an Bord erzielt, und befriedigt konnte ich meine Schritte weiter lenken.

Trotz des Regens herrschte tagsüber wahrhaft drückende Schwüle, welche unausgesetztes Transpirieren bedingte; die fortwährend hohe, kaum einen Augenblick nachlassende Temperatur verleidet mitunter geradezu den Aufenthalt in diesen Breiten, da selbst die Nachtzeit häufig nicht bloß keine Linderung bringt, sondern die dumpfe Schwüle nur noch empfindlicher macht. Der Organismus fühlt sich ermattet, abgespannt; auch das lebhafteste Interesse für die sich darbietenden neuen Eindrücke erlahmt endlich unter dem Einflusse der Hitze, und wer sich verleiten lässt, Abkühlung im Genuss momentan erfrischender Getränke zu suchen, büßt dies nur zu bald durch eine gesteigerte Empfindlichkeit für die hohe Temperatur.

Die heißen Tage, deren auch wir in der Heimat während der „Hundstage“ uns erfreuen, sind in ihrer abspannenden Wirkung auch nicht annähernd mit jener der glühenden und dabei während der Regenzeit wassergeschwängerten Atmosphäre der Tropen zu vergleichen, so dass es mir für Kinder der gemäßigten Zone eine harte Aufgabe zu sein scheint, dauernd in den Tropen leben zu müssen. Unsere Konstitution, unser Wesen ist den tropischen Klimaten nicht angepasst; Geist und Körper verlieren die Spannkraft, deren wir für unser Wohlbefinden, für die volle Leistungsfähigkeit bedürfen; mich wenigstens würden die drückenden Temperaturen dieser Breiten auf die Länge melancholisch machen. Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von — heißen Tagen.

Den Abend verblieb ich an Bord, leider unter dem Eindruck einer argen Enttäuschung. Wir rechneten nämlich mit Sicherheit darauf, endlich in Hongkong, da wir ja doch schon fast vier Monate ohne Nachrichten aus der Heimat waren und alle unsere Hoffnungen auf diesen Hafen gesetzt hatten, die heiß ersehnten Postsendungen zu erhalten, erfuhren aber, dass Coudenhove auf der Fahrt nach Bangkok, wo er mit uns zusammentreffen sollte, die in Hongkong für uns bereits eingelangte umfangreiche Post in der löblichen Absicht mitgenommen hatte, uns ehestens in deren Besitz zu setzen.

Nun hieß es, sich bis zum Eintreffen Coudenhoves abermals in Geduld zu fassen, was jedoch leichter gesagt, als getan war; denn der Unwille über das postalische Missgeschick, welches uns so chronisch verfolgte, brach durch die besten Vorsätze hindurch und machte sich in lauten Verwünschungen Luft. Namentlich einer der Herren des Stabes, das Muster eines zärtlichen Ehemannes, der tagtäglich einen Brief für seine junge Frau schrieb, war ganz unglücklich. Wir vertrösteten ihn in anerkennender Bewunderung seiner Ausdauer, so gut es ging, mit der kühnen Versicherung, dass ihm die nächste Post eine Legion Briefe bringen werde.

Links

  • Ort: Hongkong
  • ANNO – am 21.07.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater Wiener Walzer und ein Ballet „Sonne und Erde“ aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
2 × 19 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.