Jagdlager am Laroki, 17. Juni 1893

Schon nach 5 Uhr war Tagreveille. Unseren Schlaf hatten nur unzählige Ameisen einigermaßen gestört, die, teils winzig klein, teils, wie die roten Ameisen, welche während des gestrigen Rittes von den Bäumen auf uns niedergefallen waren, von ansehnlicher Größe, mit ihren bösartigen Stichen den Wanderer auf Neu-Guinea bei Tag und Nacht plagen, ja fast rasend machen können. Einer der Herren hatte zu seiner nicht eben freudigen Überraschung in der Hängematte überdies einen großen Skorpion vorgefunden.

Die Stunde des Aufbruches zur Jagd war so frühzeitig angesetzt worden, da jedenfalls der Morgen die günstigste Zeit war, um Vögel zu erlegen, und eben begann der Tag zu grauen, als wir aus den Hängematten sprangen, um Tee zu kochen sowie die zur Jagd notwendigen Vorbereitungen zu treffen; denn jeder von uns wollte den ganzen Tag über ausbleiben und die kurze, uns in Neu-Guinea noch gegönnte Zeit gründlich ausnützen.

Eine originelle Szene stellte die Morgentoilette der Gepäckträgerinnen dar, welche diese ohne jegliche Scheu, beständig lachend und miteinander schäckernd, in Evas Kostüm vor unseren Augen im Fluss besorgten. Dieser Nymphenreigen gab unwillkürlich Anlass, die Verschiedenheit der Hautfarbe der Eingeborenen zu beobachten; die Nuancen des Teints variierten zwischen dunkelbraun und hellbraun, vorherrschend war indessen der kaffeefarbene, goldbronzene Ton mit einem Stich ins Olivengrün, also jene Hautfarbe, welche gerade für polynesisches Blut als charakteristisch gilt. Allen gemeinsam war die auffallende Schönheit der dunklen Augen und die Gutmütigkeit, ja Freundlichkeit der Physiognomie.

Wir marschierten in fünf Partien aus, welche sich jenseits des Laroki mit dem Ruf „Waidmannsheil!“ trennten und in verschiedenen Richtungen im Dunkel des Urwaldes verschwanden.

Ich wandte mich mit Bedford, meinem Borddiener Biaggio sowie mit einigen Eingeborenen zuerst dem Nordufer zu und verfolgte dann den Flusslauf in westlicher Richtung. Lautes Vogelgezwitscher aus Hunderten von Kehlen scholl uns entgegen, was ich als gute Vorbedeutung für den Erfolg des Tages ansah.

Man macht sich keinen Begriff, wie schwer es ist, in dem undurchdringlichen Gewirr von Baumkronen, Ästen, Zweigen, Lianen und Schmarotzerpflanzen eines solchen Urwaldes die Vögel zu entdecken, insbesondere da diese zumeist auf den höchsten Stellen riesiger Bäume sitzen, zu welchen man vom Boden aus bloß durch einzelne Lücken emporsehen kann. Nur ein scharfes und zugleich geübtes Auge vermag da endlich die Vögel zu finden; zuweilen gelingt dies erst nach langem, geduldigem Warten. Überbaumt der Vogel, dann ist alles vergeblich. Bedford und die Wilden legten, als ständige Bewohner des Waldes, eine erstaunliche Geschicklichkeit im Erspähen von Vögeln an den Tag, und jeder der Eingeborenen wollte hiebei der erste sein, so dass alle umherliefen und mehr Lärm als nötig verursachten. Wir hatten große Mühe, diesen Übereifer zu zügeln; endlich befahl ich meinem Diener, die Eingeborenen insgesamt in seiner Nähe zu halten und uns die ganze Schar auf 100 Schritte folgen zu lassen, während ich mit Bedford und einem Papua vorsichtig weiterschleichen wollte. Doch so oft wieder eine Vogelstimme ertönte, stand auch schon die ganze Bande knapp hinter uns, bis es Bedford gelang, sie mit Hilfe kerniger Flüche in papuanischem Idiome definitiv zurückzutreiben. Dass der Vogel im Laufe der jedesmaligen Auseinandersetzungen das Weite gesucht hatte oder verstummt war und infolge dessen auch nicht mehr wahrgenommen werden konnte, ist selbstverständlich.

Worauf ich heute in erster Linie ausging, war, eines der prachtvollen Königsparadiesvögel (Cincinnurus regius) habhaft zu werden. Wir fanden auch, dem Rufe nachgehend, einen Baum, auf dem sich solche Vögel aufhielten; doch leider war kein Männchen dabei, so dass ich bloß ein Weibchen schoss, welches von schlichter Farbe war und die charakteristischen himmelblauen Ständer aufwies.

An mehreren Stellen des Waldes sah ich die Riesennester des Talegallahuhnes. Dieser merkwürdige Vogel scharrt auf dem Boden liegende Blätter, Zweige, Erde, mit einem Worte die ganze Waldstreu zu einem großen Haufen von 6 bis 8 m Länge und 2 bis 3 m Höhe zusammen, in welchen er seine Eier legt, um sie durch die Bodenwärme oder vielmehr durch die Wärme, die sich bei dem Verwesungsprozesse dieser angehäuften vegetabilischen Stoffe entwickelt, ausbrüten zu lassen. Die Mühe, welche das verhältnismäßig kleine Huhn aufwenden muss, um solch eine große Menge Materials für sein Wallnest zusammenzuscharren, lässt sich darnach ermessen, dass im Umkreis des hügelartigen Nestes der Boden auf Hunderte von Schritten hin wie glattgefegt erscheint. Meine Wilden gruben in einem dieser Nester nach, fanden aber leider keine Eier vor.

Aus einem dichten Busch strichen vor mir drei Riesenchwalme (Podargus papuensis) auf, deren einen ich erlegte; knapp daneben schoss ich eine Rohrdommel (Zonerodius heliosylus), welche sich an einen Zweig des Baumes, auf dem sie gesessen, gedrückt hatte.

Oft hörte ich Töne im Walde, die an das Melden einer Auerhenne erinnerten und zum Schluss in ein lautes Geschrei ausklangen; auch vernahm ich über mir das starke Flügelrauschen eines anscheinend sehr großen Vogels. Bedford erklärte mir auf meine Frage, dass das der Horn-Bill, ein großer Nashornvogel, welcher ungemein scheu sei, wäre und es schwer sein würde, ein Exemplar zu erlangen. Vergeblich versuchten wir es, diese Vögel dem Melden nach anzuschleichen, aber jedes Mal strichen sie, noch bevor wir sie erblicken konnten, mit großem Geschrei ab, hiedurch alle ihre Genossen avisierend, so dass bald im ganzen Walde die Warnungsrufe hörbar wurden. Ich hatte die Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis bereits aufgegeben, als ich zwei selten schön purpurrot und zitronengelb gefärbte Tauben (Ptilopus iozonus) entdeckte, die ich erbeutete. Die Schüsse schienen nun unter den Horn-Bills eine große Aufregung verursacht zu haben, denn ich hörte überall ihren Flügelschlag, bis endlich einer zufällig über mir auf einem hohen Wipfel aufbaumte, so dass es mir gelang, ihn herabzuschießen. Es war ein Rytidoceros (Buceros) plicatus, ein altes Männchen und ein wunderbares Exemplar, charakterisiert durch den Riesenschnabel, den rotbraunen Hals, das metallisch glänzende, schwarze Gefieder und den schneeweißen Stoß. Das Alter des Vogels wurde unter Zugrundelegung der Schnabelwülste auf sieben Jahre taxiert, da die Eingeborenen rechnen, dass er auf seinem Schnabel jedes Jahr eine neue Hornwulst aufsetze. Der Wilde, welcher mir das Tier brachte, führte einen äußerst drolligen Freudentanz auf, indem er beständig in exzentrischer Weise mit den Füßen ausfeuerte; sobald sich der Mann einigermaßen beruhigt hatte, schickte ich ihn mit dem Vogel direkt ins Lager zurück, damit dieser ehestens in die Hände des Präparators gelange.

Allmählich hatten wir bergigeres Terrain erreicht, in welchem sich die Szenerie änderte. Der Wald wurde lichter, hohes Gras bedeckte den Boden, und die steinigen Stellen sowie die Felsblöcke waren ringsum von Eucalypten umgeben. Hier schoss ich noch ein Wallaby und einen schönen Falken (Accipiter cirrhocephalus).

Es ging gegen Mittag, und da die Hitze sehr drückend, in der Vogelwelt aber Ruhe eingetreten war, proponierte mir Bedford, Rast zu halten. Wir lagerten uns mit den Papuas zwischen Felsblöcken im Schatten einiger Bäume, verzehrten unsere Konserven und versuchten dann ein wenig zu schlafen, was aber leider durch eine Unzahl quälender Ameisen unmöglich gemacht wurde.

So ließ ich mich denn mit Bedford in ein „englisches“ Gespräch ein, dem ich schließlich entnahm, dass dieser von dem Gouverneur gewählte Jagdplatz ein ungünstiger, die beste Jagdgelegenheit aber im ganzen Gebiet eine von Moresby etwa 40 km entfernte Niederung am Vei Maori River sei, wohin auch der Gouverneur Jagdzüge zu unternehmen pflege. Allein, fügte Bedford hinzu, er hoffe mir nachmittags in einem nahen Tal doch noch Paradiesvögel zum Schuss zu bringen.

Die Papuas verbrachten die Rastzeit in einer ihnen sicherlich ganz angenehmen Weise; denn sie rauchten Tabak, welchen sie von mir erbettelt hatten, brieten das frischgeschossene Wallaby und verzehrten den seltsamen Braten mit Behagen.

Ungeachtet der starken Hitze brachen wir schon vor 2 Uhr auf und erkletterten eine steile Berglehne, was ebenso schwierig als ermüdend war, da wir keinem bestimmten Pfade folgten, sondern, wie es eben kam, über Steinblöcke und mit Gras überwucherte Felsspalten emporklimmen mussten, kaum wissend, wo den Fuß hinsetzen, und jeden Augenblick ausgleitend. Atemlos und in Schweiß gebadet kamen wir auf der Höhe an, wo wir uns ins Gras warfen, um ein wenig Atem zu schöpfen und neue Kräfte zu sammeln; denn jetzt hieß es die andere Seite der Berglehne hinabklettern, was womöglich ein noch schwierigeres Beginnen war. Der Abstieg ging nur ganz langsam vonstatten, da wir bloß allmählich vorwärts kommen konnten; auf halbem Weg ermatteten nach und nach selbst die Eingeborenen, die sich niedersetzten und nicht weiter gehen wollten. Erst einige nachdrückliche Ermahnungen Bedfords sowie der Umstand, dass wir die Strikenden jetzt vor uns gehen ließen und sie vorwärts trieben, brachten sie von der Stelle.

Zerschunden und zerrissen kamen wir schließlich in das kleine, dichtbewachsene Tal, in dem Bedford Paradiesvögel zu finden hoffte. Zum Überfluss begann aber eben jetzt ein heftiger Gussregen niederzugehen, so dass alle Hoffnung auf Jagdbeute schwand; denn sobald es regnet, verstecken sich die Paradiesvögel, um ihr Gefieder besorgt, in die dichtesten Baumkronen, drücken sich an den Stamm und sind dann absolut nicht zu erblicken. Ich stieg zwar trotz des Regens noch den jenseits des Tales aufsteigenden Hügel hinan und erblickte da auch eine Paradieshenne, aber ein Männchen war nicht zu erspähen.

Da Bedford nun weiteres Suchen nach Paradiesvögeln für unnütz erklärte, wir überdies eine bedeutende Strecke Weges bis zum Lagerplatz zurückzulegen hatten, wurde die Direktion dahin genommen.

Das Tal war so dicht bewachsen, dass uns nichts anderes übrig blieb, als in dem Bache vorwärts zu dringen, welcher in der Talsohle dahinlief. Von dessen Ufer aus stürzten sich die Eingeborenen sofort in die Flut, um in langen Zügen ihren Durst zu löschen, fanden aber in dem warmen Wasser wenig Erquickung.

In dem Bach weiter watend, merkten wir gleich zu Beginn, dass sich unsere Schuhe mit feinem Sand füllten, was insbesondere mir peinlich war, da ich mich wundgegangen hatte. Wo der mit zahlreichen tiefen Stellen durchsetzte Bach das Waten verwehrte, mussten wir den Wasserlauf umgehen, indem wir uns zwischen den am Ufer stehenden Bäumen durchzwängten oder über umgestürzte Stämme kletterten. Endlich langten wir am nördlichen Ende des Tales an, woselbst ich am Vormittag gejagt hatte, und von wo es nun heimwärts ging, das heißt dem Lager zu, welches ich spät abends ganz durchnässt und herzlich müde erreichte. Eine derartige, zehnstündige Expedition im tropischen Urwald bei drückend schwüler Atmosphäre wirkt erschöpfender als ein doppelt so langer Marsch in unseren Breiten.

Die übrige Jagdgesellschaft war vor mir eingetroffen und jeder der Herren hatte etwas Interessantes mitgebracht, so Clam einen herrlichen Paradiesvogel und drei Kronentauben, Wurmbrand zwei Fischreiher (Ardeiralla flavicollis), eine schneeweiße Weihe mit lichtbraunen Flügeln (Haliastur girrenera) sowie zwei eigentümliche, rallenartige Vögel, sogenannte Blätterrallen (Parra gallinacea), Prónay endlich einen Kakadu, eine violette Taube u. a. m.
Nach dem ursprünglichen Plan sollte den nächsten Tag über noch im Ufergebiete des Laroki gejagt werden, doch bewogen mich die Angaben Bedfords, den Gouverneur zu bitten, eine Expedition nach dem mir so sehr gerühmten Jagdgefilde am Ufer des Vei Maori zu inszenieren. Um die Bedenken zu beheben, welche der Gouverneur unter Hinweis auf die Kürze der mir zugebote stehenden Zeit diesem Plan entgegenstellte, und um diese Exkursion zu ermöglichen, erklärte ich mich bereit, meinen Aufenthalt in Neu-Guinea um zwei Tage zu verlängern. Diese Fristerstreckung entschied die Sache. Sir William war mit dem Jagdausflug zum Vei Maori unter der Voraussetzung einverstanden, dass ihm die zur Ausrüstung nötige Zeit gewährt würde, worauf wir einhellig den Beschluss fassten, schon am kommenden Morgen nach Port Moresby zurückzukehren.

An diesem Abend ließ trotz Ameisen und Skorpionen der Schlaf nicht lange auf sich warten; denn selbst die Eingeborenen waren von den Mühen des Tages so erschöpft, dass sie Gesang und Tanz vergaßen und daher schon zu früher Stunde völlige Ruhe im Lager herrschte.

Links

  • Ort: Port Moresby, Neu Guinea
  • ANNO – am 17.06.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Die Jungfrau von Orleans“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
27 − 4 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.