Jaipur, 5. März 1893

Wir hörten zunächst in einer kleinen Kapelle die sonntägliche Messe und fuhren sodann bei Regen, der uns jede Chance für die Tigerjagd verdarb, in den Palast des Maharadschas, um dieses Bauwerk einer eingehenden Besichtigung zu unterziehen. In der Mitte der Stadt gelegen und ringsum von einer hohen krenelierten Mauer umschlossen, bedeckt der Komplex von Palästen, Türmen, Hallen, Höfen, Stallgebäuden, Parkanlagen, Gärten, Teichen, welcher „Palast des Maharadschas“ genannt wird und im wesentlichen Dschai Singh seine Entstehung verdankt, eine bedeutende Fläche, deren Langseiten je etwa 800 m betragen. Der günstige Eindruck, welchen die ganze Anlage durch den Umfang, die Zahl und die pittoreske Anordnung der Bauten, den Reiz der Baum- und Blumengärten beim ersten Anblick hervorruft, wird arg beeinträchtigt, sobald man diesen Herrlichkeiten näher tritt; denn allenthalben macht sich arge Verwahrlosung, an den meisten Gebäuden aber überdies eine Verstümmelung des ursprünglichen reinen Stils insoferne bemerkbar, als, was von Anbeginn her künstlerisch edel ins Werk gesetzt worden war, im Lauf der Zeiten und Moden in geschmackloser Weise ausgeschmückt oder auf ärmliche Art restauriert worden ist. Die Säulen in der imposanten Empfangshalle sind von einem Stümper mit laienhaften Malereien, gelb und grün, überpinselt; Hunderte von Tauben nisten ungescheut in den Steinzieraten der Halle. Hier erblicken wir Gebäude, die gänzlichem Verfall entgegengehen; dort sucht man dem nagenden Zahne der Zeit einfach dadurch Widerstand zu bieten, dass man die geborstenen Mauern mit einem Anwurf himmelblauer Farbe versieht. Knapp neben einem herrlichen, mit Springbrunnen und marmornen Gehwegen ausgestatteten Garten wälzen sich auf einem Düngerhaufen Ferkel und magere Kühe.

Unser Weg führte uns in den Marstall, in dessen Reithalle eine Anzahl wohlgemästeter, einheimischer Rosse von schönen Formen in der üblichen Weise vorgeritten wurde, wobei die Stallmeister, um die Levaden, Pirouetten, Piaffen u. s. w. zu erzielen, recht unbarmherzig mit rohen Hilfen arbeiteten. Schließlich wurde in einem der länglichen Höfe des Marstalls ein Paar dicker Schimmel eine Viertelstunde lang in voller Carriere umhergehetzt, bis die armen Tiere keuchend und pustend ihre Pflicht, uns von der Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit des Landschlages zu überzeugen, getan hatten. Die Sattelkammer zeichnete sich nur durch die Buntheit des Sattelzeuges und der Geschirre aus.

Aus der Waffenkammer wehte uns pestilenzialischer Geruch und der Hauch eingesperrter Luft entgegen. O, Wohlgerüche Indiens!

Von der Waffenkammer aus machten wir eine Art Distanzmarsch durch die Gärten und Gartenhäuser des Palastes, um zu den beiden berühmten Krokodil-Teichen zu gelangen. Diese Teiche sind im Viereck gebaut und enthalten schmutziges, grünes Wasser, in welchem die Krokodile sich besonders wohl zu fühlen scheinen. Der niedrigen Temperatur halber waren die Tiere bei unserer Ankunft unsichtbar; doch versprach ihr Wärter, dieselben herbeizulocken, zu welchem Zweck er die an einem Strick befestigte Leber eines Ochsen wiederholt auf die Wasserfläche klatschen ließ, hiebei seine Schutzbefohlenen mit den zärtlichsten Ausdrücken, wie „Komm‘, mein lieber Bruder, komm‘!“ anrufend. Die „Brüder“ schienen jedoch kein Verlangen nach der Lockspeise zu verspüren; denn sie regten sich nicht, und nur meterlange Riesenschildkröten schnappten, die plumpen Köpfe über den Wasserspiegel erhebend, nach dem leckeren Bissen, um alsbald wieder zu verschwinden. Endlich, nach langem Rufen, tauchte ein Krokodil aus der schlammigen Flut empor und kam langsam gegen das Ufer, um sich daselbst an der Leber gütlich zu tun. In dem benachbarten, kleineren Teiche lagen, umschwirrt von Storchschnepfen, sechs große Krokodile, auf den Schlammbänken sich behaglich sonnend.

Die Verehrung der Krokodile wird hier so ernst genommen, dass, als jüngst eine Frau in den Teich fiel und, von den Bestien erfasst, um Hilfe schrie, selbst die sie begleitenden Angehörigen nichts zu ihrer Rettung taten, sondern sie ihrem Schicksal überließen, um nur ja die geheiligten Tiere nicht zu verletzen.

Da gegen Mittag in der Residenz noch immer keinerlei Meldung über Tiger eingelaufen war, so begaben wir uns abermals in der Umgebung der Stadt auf die Jagd. Den Wasserlauf, an dem ich gestern zwei Porphyrhühner erlegt hatte, abstreifend, erbeutete ich noch fünf Exemplare dieser schönen Spezies. Dass ich hiebei ein Dschungelschwein, welches vor mir aus dem Sumpf flüchtig wurde, schoss, bildete in den Augen der mich begleitenden englischen Herren, welche diese Tiere als dem Pigsticking ausschließlich vorbehalten betrachten. ein so großes jagdliches Vergehen, — analog dem Schießen von Füchsen auf englischem, dem Fox hunting geweihten Boden — dass sie mich dringendst baten, ja geradezu beschworen, solches Verschulden nie wieder auf mich zu laden.

Wir hatten uns eben zur Pürsche auf Black-bucks angeschickt, als auf schäumendem Ross ein Reiter mit der Meldung angesprengt kam. ein Panther sei eingekreist. Rasch eilten wir in die Stadt, um Kinsky, der zurückgeblieben war, abzuholen, leider aber auch, um einem schlimmen Vorzeichen zu begegnen — die Residentin wünschte uns „viel Glück“, wodurch für uns Waidmänner jeder Zweifel über den Ausgang der Jagd benommen schien.

Der Panther war unweit der Stadt in einem Talkessel bestätigt worden, wohin uns Elephanten, und zwar an den Fuß einer Lehne brachten, welche wir, weil ins Geröll geraten, nicht ohne Schwierigkeit erklommen. Auf der Höhe angelangt, besetzten die Schützen zwei Kämme, unterhalb welcher der mit Steinen und dornigem Buschwerk bedeckte Talkessel lag. Auf dem dritten Kamm war eine dichte Treiberwehr postiert, welche, von demselben absteigend, den Panther gegen mich und, falls er, von mir etwa gefehlt, nach rückwärts auszubrechen versuchen würde, gegen die anderen Schützen treiben sollte. Der Plan war sonach nicht schlecht; um so kläglicher aber seine Ausführung.

Die Schikäris bezeichneten mir die Stelle, an welcher der Panther niedergetan war, und wo ihn bald darauf die mit ebensoviel Vorsicht als Langsamkeit absteigende Treiberwehr durch Geschrei und Steinwürfe hoch machte, so dass ich ihn ungefähr 200 Gänge weit auf der gegenüberliegenden Lehne durch das Gebüsch auf mich zuschnüren sah. Im nächsten Augenblick schon musste er auf einen freieren Platz gelangen, wo ich ihn aufs Korn nehmen wollte; doch leider rief plötzlich ein neben mir postierter Schikäri, offenbar zur Warnung, den Treibern das Wort „Tschita“ (Panther) zu. Alsbald lassen diese in der Richtung gegen das gefürchtete Tier einen Hagel von Steinen und Felsblöcken niedergehen; der Panther schlägt um; ich sende ihm aufs Geradewohl etwa 300 m weit eine Kugel nach; Prónay und Clam folgen meinem Beispiel — leider vergebens, in voller Flucht hatte der Panther bereits die Treiberwehr durchbrochen und war verschwunden.

Die Flut meines sich über die hasenherzigen Schikäris und Treiber ergießenden Unwillens wurde durch einen Schikäri unterbrochen, welcher mit der Nachricht herbeistürzte, dass der Panther in einem anderen Tal neuerdings eingekreist sei. Nun hub eine wilde Jagd an: jeder Schikäri versicherte sich eines oder zweier Schützen sowie einer Anzahl Treiber und rannte mit diesen blindlings auf irgend einen Punkt des Talrandes oder der Anhöhen zu; jeder wollte den Panther gesehen haben; die Treiber gingen planlos vor, hier schreiend und brüllend, da Büsche abklopfend, aus denen nur erschreckte Amseln aufflogen, dort, Titanen gleich, Felsblöcke talab rollend. Die Schützen mussten, kaum auf einer Höhe postiert, talwärts kollern, um sofort wieder eine Lehne hinanzukriechen; denn bald hieß es, der Panther sei im Tal, bald, er habe sich den Hügeln zugewandt. Der eingerissenen Verwirrung gegenüber blieb der die Jagd leitende Resident machtlos, so dass er den Dingen ihren Lauf lassen musste. Erst als die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, gelang es uns, leidliche Ordnung zu machen und einen halbwegs planmäßigen Trieb zustande zu bringen; leider blieb aber alles vergeblich, vom Panther war keine Spur, und nur ein Sambarhirsch fiel der Kugel Clams zum Opfer.

Wieder in der Residenz angelangt, nahmen wir daselbst an dem Diner mit den Damen des Hauses teil, sind aber nicht frei von der Besorgnis, dass die Ermüdung, ihre Rechte geltend machend, die Lebhaftigkeit unserer Unterhaltungsgabe etwas beeinträchtigt haben dürfte.

Links

  • Ort:  Jaipur, Indien
  • ANNO – am 05.03.1893 in Österreichs Presse. In seiner Inaugurationsrede hat Präsident Cleveland dem amerikanischen Kongress mitgeteilt, dass er den finanziellen Kredit der Regierung bis zum äußersten verteidigen werden in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Die Ahnfrau“ in der Matinee und „Kriemhilde“ am Abend, während das k.u.k. Hof-Operntheater Mozarts „Die Zauberflöte“ gibt.

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