Johor—Singapur, 7. April 1893

Heute sollte Dschohor, die von Sultan Abu Bekr im Jahre 1859 gegründete Haupt- und Residenzstadt des Sultanates Dschohor, mit einem Besuch bedacht werden. In Abwesenheit des Sultans hatte mich der Thronfolger eingeladen, das interessante Reich der souveränen malayischen Sultane von Dschohor zu betreten und am Nachmittage nach Besichtigung der Sehenswürdigkeiten in der Nähe der Stadt zu jagen.

Vom belgischen Generalkonsul, meiner Suite und mehreren Herren vom Stab der „Elisabeth“ begleitet, startete ich früh morgens zu Wagen von Singapur, eine Fahrt, die sich, da die Hitze noch nicht zu drückend war, äußerst angenehm gestaltete. Auf einer vorzüglichen Straße durchquerten wir die ganze Insel Singapur, zuerst die zahlreichen Parks der Villenstadt entlang, dann durch Dschungel und Urwälder fahrend.

Staunend und entzückt bleibt das Auge an den Wundern haften, welche die Natur in den Kindern Florens hervorzaubert. Während ich für Ceylon das Vorherrschen der Palme und des Banian-Baumes als charakteristisch bezeichnen möchte, zeigt sich hier bunt wechselnde Mannigfaltigkeit der Bilder. Bambus, Mango- und Durianbäume säumen die Straße ein; dahinter stehen Kaffee- und Pfefferbäume; Urwald, aus dessen unentwirrbarem Dickichte die Sago- und Arekapalme, sowie die Baumfarne aufragen, schließt sich an. Zahlreiche kleine Ansiedlungen von Malayen und Chinesen bringen belebende Farbtöne in das saftige Grün der Landschaft.

Zwei Stunden etwa waren wir gefahren, als wir endlich an das Ende der Insel gelangten und, nur durch die schmale Wasserstraße Salat Tabras getrennt, die Stadt Dschohor vor uns liegen sahen. Der erste Anblick von Dschohor ist ein äußerst lieblicher. Aus der tiefblauen See erheben sich, links vom Sungei (Bach) Tschat durchströmt, grüne Hügel, parkähnlich geschmückt und von Bungalows gekrönt; in der Mitte die Istana Laut, das Palais des Sultans; rechts davon die Regierungsgebäude und das ehemalige Seräi des Sultans; links die kleine blühende Stadt mit lichtroten Ziegeldächern; dazwischen Gruppen von Bäumen und grüne Rasenplätze. Wahrlich, wenn wir nicht wüssten, dass eine Meeresstraße vor uns liegt, könnten wir uns an das freundliche Gestade eines Binnensees versetzt wähnen.

An der diesseitigen Landungsbrücke von zwei Neffen des Sultans empfangen, wurde ich auf einer schmucken Barkasse an das Dschohorer Ufer geleitet, wo sich der erste Minister, sowie die sämtlichen Würdenträger und hier weilenden Europäer versammelt hatten. Eine hübsche Dampf-Yacht des Sultans lag vor Anker. Zu Fuß ging’s in das Palais, in welchem mich der Thronfolger, ein hochgewachsener 18jähriger Jüngling von sehr sympathischem Wesen, sowie ein jüngerer Bruder des Sultans begrüßten. Der Palast ist ein langes, zweistöckiges Gebäude, dessen Äußeres sich schmucklos präsentiert, während das Innere geschmackvoller und wohnlicher eingerichtet ist als jenes des Palastes in Singapur. An Gastzimmern herrscht kein Mangel; denn der Sultan übt Gastfreundschaft in großartiger Weise und jeder Europäer, der nach Singapur kommt, besonders aber jeder Seeoffizier ist bei ihm gerne gesehen.

In einer Vorhalle der Istana wurde Tee genommen und das Programm für den Tag besprochen, wobei die maßgebenden Persönlichkeiten offenbar nicht ganz einig waren. Am Hof des Sultans scheinen mehrere Europäer, die zum Teil ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich haben dürften und nicht im besten Einvernehmen miteinander leben, sondern divergierenden Ansichten huldigen, sowie persönliche Interessen verfolgen, nach entscheidendem Einfluss auf den Sultan zu trachten. Unter anderen lebt hier ein Schweizer, der jetzt eine Kaffeepflanzung des Sultans in Pacht genommen hat und am Hof während unseres Aufenthaltes als Arrangeur und Dolmetsch fungierte; ferner, neben anderen Briten, ein Schotte, der als Ingenieur nach Dschohor gekommen und jetzt Besitzer einer großen Dampfsäge ist.

Der Thronfolger scheint dem Einfluss dieser Fremden, obgleich er sonst einen entschiedenen Charakter zur Schau trägt, ziemlich unterworfen zu sein; er bekleidet eben erst seit kurzem die Würde eines Thronfolgers, da der Sultan früher einen anderen seiner Verwandten in England zu dieser Würde heranbilden ließ, denselben jedoch, als er nicht nach seinem Wunsch geriet, dieses Ranges ohne viel Umschweife bald wieder verlustig erklärte und zum Chef der Polizei ernannte, worauf der jetzige Thronfolger zum Erben des Reiches von Dschohor designiert wurde.

Nach Beendigung der Diskussion über das Tagesprogramm wurde eine Fahrt mit dem Dampfboot unternommen und zwar in dem Meeresarm, der die Insel Singapur von dem Festland trennt. Zuerst fuhr unser Schiff längs des kleinen Städtchens, dann an mehreren Pflanzungen vorbei und schließlich steuerten wir zwischen Urwald dahin, der an beiden Ufern bis an den Strand reicht, eine entzückende Umrahmung der Meeresstraße bildend.

Dann folgte ein opulentes Frühstück, wobei ich Gelegenheit hatte. die goldenen Tafelaufsätze und das goldene Service zu bewundern — verschwenderisch ausgestattete Prachtwerke der Goldschmiedekunst, welche der Sultan in England hatte anfertigen lassen. Der Haushalt in Dschohor ist überhaupt mit größtem Luxus eingerichtet, was allerdings und namentlich in Verbindung mit sonstigen kostspieligen Neigungen des Sultans Abu Bekr häufig eine Überlastung der Civilliste dieses Herrschers zur Folge haben soll. In kluger Berechnung des eigenen Vorteiles weiß jedoch — so wird behauptet — das mächtige England seinem Schützlinge stets wieder aus seinen finanziellen Nöten zu helfen.

Das Reich Dschohor umfasst 24.850 km2 mit circa 300.000 Einwohnern, worunter 210.000 Chinesen, und ist dank der Mitwirkung Englands sehr gut verwaltet. Die Haupteinkünfte des Staates stammen vornehmlich aus den auf die Einfuhr von Opium und von Spirituosen, sowie auf die Ausfuhr von Gambir, Pfeffer und anderen Bodenprodukten gelegten Zöllen, welche übrigens die einzige Auflage bilden, mit welcher die Bevölkerung von Dschohor besteuert ist.

Das Innere Dschohors, ob Sumpfland, welliges Terrain oder bergig, ist durchwegs mit dichtem, tropischem Dschungel bedeckt, wie denn überhaupt unter dem Einfluss der fast täglich erfolgenden Regen, der starken Taufälle und der großen Luftfeuchtigkeit hier überall immergrüne Vegetation zu finden ist.

Palmen, wie die zuckerreiche Cabongpalme, die Kokos-, die Sagound die Arekapalme, Guttaperchabäume (Isonandra gutta), Kampferbaume (Camphora officinalis) und vortreffliches Bauholz liefernde Hochstämme des jungfräulichen Waldes charakterisieren die Baumzone; Harze, Öle und Gifte liefernde Sträucher bilden den Unterwuchs der Dschungel. Das Kulturland ist insbesondere der Produktion von Reis, Mais, namentlich aber von Pfeffer und Katechu, des gerbstoffhaltigen Extrakts aus den Zweigen des Gambirstrauches (Uncaria Gambir), einer Rubiacee, gewidmet.

Die starke Kultur von Pfeffer und Gambir-Katechu, welche vorzugsweise in der Nordwestprovinz Muar und fast durchwegs von Chinesen betrieben wird, kommt auch in der Ausfuhr Dschohors zum Ausdruck, da die beiden genannten Produkte die wichtigsten Exportartikel bilden. Die Einfuhr begreift vor allem Reis, das hauptsächlichste Nahrungsmittel der Bevölkerung.

Bisher sind relativ nur wenig Ländereien in Kulturboden umgewandelt; die Waldungen werden an vielen Stellen des Reiches gar nicht, im übrigen nur irrationell ausgebeutet, woher es denn kommt, dass die Dschungel Dschohors noch zahlreiche Affen der Gattung Gibbon (Hylobates), dann Semnopithecus obscurus u. s. w., vereinzelt auch Elephanten, Rhinozerosse, Tapire, Bisons (Gaur), Bären, ja den Malayischen Tiger, ferner Sambarhirsche und die kleineren Kidschangs (Cervus muntjac), dann Krokodile, Schlangen, endlich mancherlei Vögel bergen.

Die Mineralschätze Dschohors sind bis auf Zinn, woran ja die ganze malayische Halbinsel außerordentlich reich ist, und Gold so ziemlich unerschlossen. Letzteres findet sich insbesondere im Umkreis des Ophir (Gunong Ledang), des höchsten Berges im Gebiete von Dschohor, dessen jäh aufsteigende Spitze wir schon am 5. April von der See aus erblickt hatten.

Alles in allem gewährt das Reich Dschohor, das in die Geschichte als einer der Lehensstaaten des einst so mächtigen Sultanates Malakka eingetreten ist, späterhin aber seine Unabhängigkeit zu erobern und bis heute seine Souveränität zu bewahren gewusst hat, den Aufgaben zeitgemäßer Kultur unzweifelhaft ein überaus günstiges Terrain. Unter Abu Bekr haben die Verwaltung, die Kultur und die Handelstätigkeit Dschohors entschiedene Fortschritte auf jenem Wege gemacht, welcher allein dem kleinen, aber reich ausgestatteten und günstig gelegenen Lande dauernde Blüte zu sichern vermag.

Eine Jagd auf Hirsche und Wildschweine war geplant, und so fuhren wir, nachdem wir noch den Dschohorer kulinarischen Genüssen gefröhnt hatten, auf einer trefflichen Straße landeinwärts, durch eine landschaftlich anmutige Gegend, an zahlreichen nett gehaltenen Ansiedlungen von Malayen vorbei, in deren Gärtchen der Crotonstrauch (Croton tiglium) die hauptsächlichste Zierde bildet. Wir fuhren bequem und rasch; die Wagen, namentlich aber deren Bespannungen waren vorzüglich, da der Sultan Liebhaber von Pferden ist und unter anderen auch ein Paar trefflicher Pferde aus unserem Vaterland importiert hat . Bei einer Polizeistation, wo uns das unter dem Befehl des Bruders des Sultans, eines wohlbeleibten Herrn, sowie des abgesetzten Thronerben — zweier angeblich tüchtiger Jäger — stehende Jagdgefolge erwartete. machten wir Halt.

Nach längerem Parlamentieren wurde bestimmt, dass wir in einem Dschungel in entwickelter Linie Stellung nehmen sollten, während die schon postierten Treiber mit den Hunden das Dschungel gegen uns zu durchtreiben würden. Hinter uns war aus Bastschlingen eine Art Netz gespannt, in dem sich jedes gefehlte oder angeschossene und ausbrechende Stück Wild fangen musste. So standen wir denn in Zwischenräumen von je 50 Schritten, mitten in hohem Gras und in dichten Farnen, mit wenig Ausschuss, der Dinge harrend, die kommen sollten. Aber Stunde um Stunde verrann und es kam nichts als ein gewaltiger — Platzregen, der, unter Donner und Blitz niedergehend, die Aussicht bis auf einige Schritte benahm und uns in wenigen Minuten völlig durchnässte.

Der gegenwärtige und der ehemalige Thronfolger, sowie des Sultans Bruder standen triefend hinter mir und erklärten endlich, dass sich nun kaum mehr ein Stück Wild in unsere Nähe verirren dürfte und daher die Heimkehr wohl angezeigt sei. Dieser Ansicht pflichteten wir schleunigst bei und befanden uns bald darauf in der Polizeistation, wo die Arrangeure das Misslingen der Jagd damit entschuldigten, dass ihnen die Zeit zu besseren, Erfolg versprechenden Vorbereitungen gemangelt hätte. Obschon nämlich die Nachricht, dass meine Ankunft bevorstehe, in Singapur und in Dschohor bereits fünf Wochen früher bekannt geworden war, soll der belgische Generalkonsul, vielleicht durch die gleichzeitige Vertretung von vier Staaten zu sehr in Anspruch genommen, den Hof von Dschohor von meinem Eintreffen doch erst kürzlich verständigt haben. Der Generalkonsul hatte auch an der Jagd nicht teilgenommen, sondern mich ersucht, die Zeit zur Besichtigung des Staatsgefängnisses benützen zu können, so dass er seines Anteiles an dem Sturzbad, das wir abbekommen hatten, verlustig ging.

Während der Rückfahrt genoss ich die Gesellschaft des Prinzen-Thronfolgers, welcher mit Entzücken von Wien, das er vor kurzem besucht, und von Frankfurt am Main, wo er ein halbes Jahr geweilt hatte, sprach. Der Sultan hat große Neigung für abendländische Kultur und pflegt seine Verwandten zur  Ausbildung nach Europa zu senden.

An einem Gala-Diner im Palais nahmen wir mit dem Prinzen, einer größeren Anzahl von Würdenträgern und dem von den Engländern abgesetzten Fürsten von Pahang teil. Dieser, vormals der selbständige Fürst eines 25.900 km2 umfassenden, an der Nordgrenze Dschohors gelegenen Reiches, war von den Engländern wegen angeblicher Unruhen in seinem Lande einfach depossediert worden und hatte sich grollend und schmollend nach Dschohor zurückgezogen, wo demnächst eine Verbindung seiner Tochter mit unserem Gastgeber stattfinden soll, und zwar auf besonderen Wunsch des Sultans von Dschohor; doch scheint der Prinz mit diesem Plan nicht ganz einverstanden zu sein und sich vorläufig noch ablehnend zu verhalten. Beim Diner war neben mich der Premierminister zu sitzen gekommen, ein freundlicher und verständiger alter Herr, mit dem ich mich durch Vermittlung eines Dolmetsches lebhaft unterhielt. Er wusste viel von unserer Heimat und von allen Offizieren der Missionsschiffe unserer Marine, die hier zu Gast gewesen, zu erzählen. In Abwesenheit des Herrschers führt er die Regierung und genießt den Ruf, ein sehr geschäftskundiger, tätiger Mann zu sein.

Die goldenen Aufsätze, welche die Tafel schmückten, waren, wenn irgend möglich, noch kostbarer und prachtvoller als jene, die wildes Morgens bewundert hatten. Ein recht gutes Privat-Orchester des Sultans besorgte die Tafelmusik und gleich nach dem Diner die Begleitung zu einem malayischen Tanz, bei dem sich als Mädchen gekleidete Knaben im Reigen drehten; das weibliche Geschlecht ist nach der hier geltenden Anschauung von der Teilnahme an öffentlichen Tänzen ausgeschlossen. Die Vorstellung war übrigens ziemlich interesselos, obgleich die armen Burschen ihr Möglichstes taten.

Nachdem ich von dem Prinzen und den Herren in Dschohor herzlichen Abschied genommen, besuchte ich noch eine chinesische Spielbank, die, früher in Singapur etabliert, nun hier, mehr geduldet als gestattet, ihr Heim aufgeschlagen hat. Die Chinesen fröhnen dem Spiele mit wahrer Leidenschaft, ihm den Erwerb mühsamer Arbeit opfernd, und ziehen an jedem Feiertage in ganzen Karawanen aus Singapur in die Spielbank von Dschohor. Der Spielsaal ist recht sauber eingerichtet. Nebenan befindet sich ein Restaurant und eine Opiumhöhle. Das Spiel ist ein sehr einfaches Hazardspiel, da hiebei auf vier Nummern gesetzt und durch Drehung eines Würfels die Entscheidung herbeigeführt wird.

Als abgesagter Feind des Hazardspieles, das mir — nebenbei bemerkt — weder Unterhaltung noch Interesse bietet, empfing ich in dieser Spielhöhle einen geradezu widerlichen Eindruck. Gleichwohl versuchten wir, um auch dies mitgemacht zu haben, unser Glück und kehrten um einige Dollars erleichtert, in herrlicher, lauer Tropennacht dahin fahrend, auf dem heute morgens eingeschlagenen Weg an Bord der „Elisabeth“ zurück, wo wir spät am Abend einlangten.

Links

  • Ort: Singapur
  • ANNO – am 07.04.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Verbot und Befehl“, während das k.u.k. Hof-Operntheater Wagners Oper „Die Walküre“ aufführt.

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