Katni, 20. März 1893

Die Eingeborenen und namentlich die leitenden Führer hatten uns schon tagszuvor erklärt, dass bei Andauer des Regenwetters an ein Abbrechen und Fortschaffen des Lagers nicht zu denken sei, da sämtliche Kamele und Wagen im Kot stecken bleiben müssten und überdies die nassen Zelte beim Verpacken Schaden leiden würden. Da aber auch zugegeben wurde, dass die Gegend, in der wir uns befanden, keine sonderliche Jagdausbeute, insbesondere keine solche an Tigern erwarten lasse und wir auf Erfolge erst im nächsten Lager rechnen dürften, so drang ich mit allem Nachdruck darauf, das Lager abzubrechen und unter jeder Bedingung zu versuchen, die nächste Station. Katni, zu erreichen. Nach langen Debatten gelang es, die Jagdleiter zu überreden, und zeitlich morgens schritt man daran, das Lager abzubrechen. Das Fatalste bei der Sache war, dass wir einen langen Marsch von 23 km in südöstlicher Richtung vor uns hatten; dafür lugte aber die Sonne hervor und trocknete wenigstens unsere durchnässten Kleider.

Wir ritten mit den Reit- und Jagdelephanten voraus, da ein Tiger in der Nähe des neuen Lagerplatzes gekillt hatte; die Karawane sollte folgen. Im Verlauf unseres langen Rittes sahen wir aber mit Besorgnis die Verwüstungen, welche der nachhaltige Regen an den Waldpfaden angerichtet hatte; denn überall gab es Wasserlachen und Kot, so dass unsere Elephanten allerorts tief einsanken; die sonst trockenen Erdrisse, welche die Wege kreuzen, waren stellenweise meterhoch mit Wasser angefüllt.

Auf dem Lagerplatz von Katni lief bald die Meldung ein, die Karawane sei völlig stecken geblieben, könne nicht vorwärts und werde, da alles umgeladen werden müsse, wohl nicht vor dem nächsten Morgen anlangen. Die Kamele glitten nämlich in dem kotigen Terrain derart aus, dass ein Weitertreiben derselben nicht möglich war, und die schwächlichen, schlecht genährten Ochsen und Büffel waren nicht im Stande, die unpraktisch gebauten, zweiräderigen Karren fortzuschleppen.

Auf Strohbündeln sitzend harrten wir, während die Schikäris mit den Elephanten auszogen, um den gemeldeten Tiger zu bestätigen, der Dinge, die da kommen sollten. Nach und nach trafen einige Vorboten des Trains, die Kulis mit ihren Lasten und einzelne Soldaten der Eskorte ein. So mochten wir ungefähr fünf Stunden gewartet haben, als die sehr erfreuliche Botschaft kam, es sei den Schikäris gelungen, den Tiger zu finden und einzukreisen. Im schnellsten Lauf, dessen Elephanten fähig sind, ging’s an den bezeichneten Platz, wo wir ganz durchgerüttelt ankamen, aber zu unserer Befriedigung den Kreis in schönster Ordnung fanden; rasch waren die Plätze verteilt, und die gewöhnliche Arbeit der Schikäris nahm ihren Anfang.

Der Jagdplatz war sehr hübsch gelegen, ein dichtes, grünes Grasdschungel, umgeben von hohen Sal-Bäumen und anderen, mir unbekannten Bäumen, die wohlriechende, rosarote Schmetterlingsblüten trugen. Der Tiger riss bald vor den Elephanten aus, schlich einige Zeit in dem Dschungel umher und fuhr dann plötzlich gegen Kinsky, der ihn fehlte, heraus, um sofort wieder im Grasdickicht zu verschwinden; nach einigen Minuten stürzte derselbe mit Gebrüll abermals hervor und nahm meinen Elephanten an. Ich roulierte den Tiger nun zu den Füßen meines tapferen Hathi, der sich nicht gerührt hatte, worauf der Tiger, der einen Hochblattschuss hatte und auf dem Boden lag, das Haupt gegen mich wendete, brüllend den Rachen öffnete und mir die Zähne wies. Ein prachtvoller Anblick, über dem ich vergaß, dem Tiger noch einen Fangschuss zu geben, so dass das mächtige Tier plötzlich wieder hoch wurde und sich, wenn auch noch von einer zweiten meiner Kugeln getroffen, neuerdings in das Grasdschungel zurückzog.

Nun begann eine sehr aufregende Jagd, da der schwerverwundete Tiger sich auf das energischeste verteidigte und alles annahm, was ihm in die Nähe kam. Wir durften unsere Stände im Kreise nicht verlassen, weil sonst Lücken entstanden wären, durch welche der Tiger hätte entwischen können; so ritten denn die Schikäris in das Gras, um ihn herauszutreiben. Der Tiger war jedoch schon zu schwach, um den Platz, auf dem er lag, zu verlassen, und verteidigte nur mehr in sitzender Stellung sein Leben. Ein besonders tapferer Elephant ging ihn direkt mit dem schrillen Kampfesruf, welchen diese Tiere bei solchen Gelegenheiten ausstoßen, an, warf sich auf ihn und brachte ihm mit den Stoßzähnen eine tiefe Risswunde am Schlegel bei; doch hatte der Tiger noch hinlängliche Kraft, den Elephanten anzuspringen und sich in einen Vorderfuß desselben zu verbeißen, so dass das Blut in Strömen hervorquoll. Nach einigen Attacken dieser Art hörten das Gebrüll und der Kampf endlich auf; der Tiger war verendet.

Wir konnten bei dieser Szene nur als Zuschauer fungieren und keinen Fangschuss anbringen, da der Elephant mit seinem Mahaut und der Tiger immer knapp aneinander waren und wir befürchten mussten. den Elephanten oder den Mahaut zu treffen. Der Tiger, ein altes Männchen, das über 3 m maß, war der stärkste, den ich bisher erbeutet hatte; erst als er verendet war, konnten wir die klaffende Wunde in der Flanke beobachten, welche ihm der Elephant mit den Stoßzähnen beigebracht; aber auch dieser war schlimm zugerichtet, hob schmerzerfüllt den Fuß empor und sog das stromende Blut mit dem Rüssel auf.

Nachdem der Tiger noch photographiert worden ist, nahmen wir fröhlich den Weg zum Lager, wo uns abends wieder ein Tigeralarm Stoff zur Unterhaltung bot. Das angebliche Erscheinen eines Tigers hatte unter den Kulis große Aufregung hervorgebracht, bis sich schließlich herausstellte, dass der „Tiger“ nur ein seinem Wärter entkommener Büffel war, welcher in der Finsternis mit einem anderen Büffel kämpfte.

Links

  • Ort: Katni, Nepal
  • ANNO – am 20.03.1893 in Österreichs Presse. Auf ihrem Weg nach Genua hat die Kaiserin in Lugano in der Schweiz gerastet.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Bernhard Lenz“, während das k.u.k. Hof-Operntheater Massenets „Manon“ aufführt.

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