Kumamoto, 5. Aug. 1893

Bald nach Tagesanbruch war ich in die Hände eines Barbiers gefallen, der seine Aufgabe zwar in überaus zierlicher Weise mittels einer Unzahl kleiner Messerchen löste, aber meine Geduld auf eine harte Probe stellte.

Im Phaethon, von Sannomija geleitet, ging es bei drückender Hitze, die sich ungeachtet der Morgenstunde geltend machte, nach dem Kastell von Kumamoto, woselbst mich Prinz Joschihisa empfing.

Die Stadt Kumamoto, der Hauptort des gleichnamigen, die Provinzen Higo und Tschikugo begreifenden Departments und nach der Zählung von 1891 über 54.000 Einwohner umfassend, liegt am Schiragawa, etwa 6 km oberhalb der Mündung dieses Flusses, und war im Jahre 1877 durch Feuer zerstört, sowie später durch ein Erdbeben sehr schwer geschädigt worden. Zum Teil neu aufgebaut, macht die Stadt in ihrer Anlage einen regelmäßigen Eindruck und zeichnet sich durch breite, mit Bäumen bepflanzte, reinlich gehaltene Straßen aus; die Häuser sind klein, mit den charakteristischen Dächern versehen, gestatten allenthalben unbehinderten Einblick in das Innere des Hausfriedens sowie auch in das Familienleben und enthalten, von Teehäusern und den Palais reicherer Besitzer abgesehen, den Straßen zugewandte Kaufläden, welche mit Unmassen origineller Waren vollgepfropft sind.

Das Kastell, von Kato Kijomasa, einem der Obergeneräle im Krieg Japans gegen Korea (1592) erbaut, ist gleich dem Park zerstört, so dass heute die weite Fläche von einer ganzen Reihe militärischer Baulichkeiten, Kasernen, Baracken, Ställen, Magazinen, Munitionsdepots u. dgl. m. eingenommen wird. Auffallend sind die ungemein hohen, aus gewaltigen Steinblöcken aufgeführten Mauern und die trotz der erfolgten Verschüttung kenntlichen, tiefen Wallgräben; selbst im Innern war die Festung noch von Mauern durchzogen, welche durch Tore unterbrochen wurden. Heute befinden sich die Mauern nicht mehr in verteidigungsfähigem Zustand, und der ehemals so starke Platz vermöchte eine durch moderne Geschütze unterstützte Belagerung umso weniger auszuhalten, als die umliegenden, die Burg überhöhenden Hügel weder Forts noch Batterien tragen. Gegenwärtig hätte daher das Kastell als Festung keine Rolle mehr zu spielen, obschon es im Jahre 1877 seinem Zweck noch vollkommen entsprochen hat; denn in dem Satsuma-Aufstand hielt sich die von General Tani befehligte. durch einen Teil der Garnison von Kokura verstärkte Besatzung. die aus einem Infanterieregiment, aus vier Batterien Feldartillerie, aus einer Kompanie Genie und aus zwei Kompanien von Fukuoka, insgesamt etwa aus 3000 Mann, bestand, durch 52 Tage gegen die Rebellen, welche in der Stärke von ungefähr 16.000 Mann das Kastell belagerten. Damals wurde der im Umkreis der Festung liegende Stadtteil von der Besatzung, die darauf bedacht war, für ihre Geschütze hinlänglichen Ausschuss zu haben, gänzlich niedergebrannt.

Der Weg, welcher zu der auf dem höchsten Punkt des Hügels gelegenen Kommandantur führt, zieht sich durch alle ehemaligen Werke hindurch und zeichnet sich durch besondere Steilheit aus, so dass schließlich die dem Phaethon vorgespannten Pferde vollständig stützig wurden. Diese zogen nicht mehr an, was eine Rückwärtsbewegung des ganzen Gefährtes zur Folge hatte und Sannomija in größte Verlegenheit versetzte. Er hieb auf die Pferde ein, erteilte ihnen kräftige Risse an den scharfen Stangen und machte seinem Unmut in Kraftworten Luft, welche er abwechselnd dem deutschen und dem japanischen Sprachschatz entnahm. Hiedurch wurde die Sache nicht besser, so dass wir die Fahrt erst wieder fortsetzen konnten. nachdem einige Läufer als Retter in der Not herbeigeeilt waren und. in die Räder greifend, den Wagen emporschoben.

Prinz Joschihisa empfing mich in den nicht eben großen, aber wohnlich ausgestatteten Appartements auf das zuvorkommendste und zeigte mir daselbst ein die frühere Festung darstellendes Bild, welches er mir ebenso wie drei reizende Porzellanfiguren von hohem künstlerischen Werte zum Geschenk anbot. Von einer vor dem Hause gelegenen Bastion, in der einige alte Geschütze der Ausrangierung entgegensehen, genossen wir einen nach allen Seiten hin freien Rundblick auf das Kastell, auf die zu Füßen desselben sich hinstreckende Stadt und deren Umgebung.

An der Hand von Karten und tabellarischen Daten gab mir der Prinz eine äußerst interessante Darstellung des Aufstandes vom Jahre 1877, in dem Kumamoto, wie erwähnt, eine wichtige Rolle gespielt hatte. Diese erst nach sieben Monaten niedergeschlagene Rebellion von Satsuma bedeutete die ernsteste Prüfung, welche das modernisierte Japan bestehen musste. Die Seele der gefährlichen Bewegung war General Saigo Kitschinosuke, welcher sich um die Wiederherstellung der Macht des Mikados die größten Verdienste erworben hatte; schon seit dem Jahre 1873 schmollend und unzufrieden in seiner Heimat weilend, gründete Saigo im Verein mit gleichgesinnten Freunden in Satsuma Privatschulen für Samurais, worin diese in chinesischer Literatur und in militärischen Übungen unterwiesen wurden. Allmählich stieg die Zahl dieser Samurais auf 30.000, welche ein Saigo blindlings folgeleistendes Heer bildeten.

Im Jänner 1877 kam endlich die lange vorbereitete Bewegung zum Ausbruch, und Saigo marschierte an der Spitze von 14.000 Aufständischen, deren Zahl sich in der Folge durch Zuzüge bedeutend vermehrte, gegen Kumamoto; dieses wurde von einem Teil der Rebellen belagert, während etwa 9000 Mann nordwärts gegen die von Kokura unter Arisugawa-no-mija heranrückenden kaiserlichen Truppen zogen, jedoch bald bei Tawarasaka geschlagen wurden, worauf die Belagerung von Kumamoto aufgegeben werden musste. Nach einer Reihe kleinerer Kämpfe fielen die Stützpunkte der Aufständischen, die Städte Mijakonodscho und Nobeoka in die Hände der Kaiserlichen, was jedoch Saigo nicht hinderte, an der Spitze von 500 Treugebliebenen sich Kagoschimas und reicher daselbst aufgestapelter Vorräte zu bemächtigen. Doch schon am 24. September wurde Saigo mit seiner kleinen Schar auf dem Berge Schira bei Kagoschima von 15.000 Mann kaiserlicher Truppen umzingelt. Die tapferen Rebellen waren bald getötet oder gefangen; Saigo fiel durch die Hand seines Kampfesgenossen Beppu, welcher ihm den Kopf abhieb und so dem Führer den letzten Freundschaftsdienst erwies, sich selbst aber durch Harakiri, das ist durch Aufschlitzen des Bauches, den Tod gab.

Auf der Bastion waren Zelte errichtet, in welchen kühlende Getränke und Gefrorenes serviert wurden und uns die eingeborenen Adjutanten — einer landesüblichen, bei der tropischen Hitze sehr schätzenswerten Verwendung dieser Funktionäre entsprechend — Kühlung fächelten. Die sich uns darbietende Aussicht auf die Stadt, die lachende Landschaft, die umsäumenden Hügelketten sowie auf die Festung ist ungemein pittoresk und um so anziehender, je länger sich der Beschauer dem Eindrucke des malerischen Bildes hingibt. Etwa 100 m von der Bastion entfernt erhebt sich als letztes Überbleibsel früherer Befestigungskunst ein aus Holz erbauter, hoher, pagodenartiger Turm, welcher gewissermaßen als historisches Wahrzeichen belassen wurde und nun als Aussichtswarte benützt wird. Eine steile Holztreppe emporkletternd, erklommen wir die drei Stockwerke des Turmes, um von dessen schwindelnder Höhe hinabzublicken. Wie bildliche Darstellungen zeigen, trugen in den guten alten Zeiten, da Pulver unbekannt und die Schusswaffen durch Pfeil und Bogen vertreten waren, alle Mauern und vorspringenden Winkel solche Türme, deren stattliche Anzahl der Festung wohl ein befremdliches Äußere verliehen haben muss.

Aus luftiger Höhe ließ sich die imponierende Ausdehnung des Kastelles und die Zahl der Baulichkeiten überblicken, welche hier errichtet worden sind; außer den Resten ehemaliger fortifikatorischer Werke lagen unter uns die Kasernen des 13. und des 23. Infanterieregimentes, welche nach modernem Muster, also im System der Pavillonanlage, erbaut und mit geräumigen Höfen versehen sind, in denen Truppenabteilungen in der weißen Sommeradjustierung Zugs- und Kompanie-Exerzitien übten. In einiger Entfernung befinden sich eine Kavallerie- und eine Artillerie-Kaserne, wovon namentlich die erstere mit den Mannschaftspavillons, den langgestreckten Zugställen, den Schmiedewerkstätten und den Marodeställen an eine vaterländische Kaserne gemahnte und einen ehemaligen Kavallerie-Regimentskommandanten geradezu anheimelte.

Obgleich die Besichtigung der Kavallerie-Kaserne nicht auf dem Programm stand, bat ich den Prinzen, bei dem begreiflichen Interesse, welches ich meiner Waffe entgegenbrachte, dieses militärische Etablissement besehen zu dürfen, und knüpfte hieran auch das Ersuchen, eine Abteilung zu Pferd ausrücken zu lassen. Ich hatte keine Ursache, die Erfüllung dieser Wünsche zu bereuen; denn was ich hier zu sehen bekam, setzte mich in der Tat in gerechtes Erstaunen.

Da die Einrichtung der Kavallerie nach europäischem Vorbild erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgt ist, müssen die erzielten Resultate geradezu als hervorragende bezeichnet werden; wenngleich sich noch unleugbare, kaum vermeidliche Mängel zeigten, so wurden meine Erwartungen doch weit übertroffen. Nach der Organisation der japanischen Kavallerie soll diese Waffengattung aus 6 Linienbataillonen zu je 3 Escadronen und 1 Gardebataillon mit 2 Escadronen bestehen; für jedes Linienbataillon ist eine Gesamtstärke von 497 Mann und von 459 Pferden festgesetzt.

Die Stallungen, welche Raum für je zwei Züge bieten, sind aus Holz erbaut und sehr luftig; in den Ständen befindet sich keine dauernde Streu. Das Aussehen der Pferde lässt, obschon einige derselben wohlgenährt waren und sich durch glänzendes Haar auszeichneten, im allgemeinen viel zu wünschen übrig; manche der Tiere waren stark abgemagert, und viele derselben wiesen Satteldrücke auf; auffallend war die große Anzahl von Hengsten. Das Futter, welches dreimal des Tages verabreicht wird, besteht aus Gerste und recht schlechtem, schilfigem Heu. Die Heeresleitung hat den bisher üblichen Sattel beseitigt und durch einen neuen ersetzt, der einem deutschen Modell nachgebildet ist, mir aber nicht praktisch erscheint, was auch von den eingeführten Schnürlgurten gilt; die Packtornister sind rückwärts, der Mantel nebst zwei kleinen Taschen, deren jede zwei Sprengbüchsen mit je drei Patronen enthält, vorne an der Käpa aufgeschnallt. Früher war die Stange, wie überhaupt die Zäumung, der bei uns üblichen sehr ähnlich, wurde jedoch in neuerer Zeit durch eine englische Stange mit sehr langen Unterbäumen ersetzt, was meiner Ansicht nach keinen Vorteil bietet. Ganz unzweckmäßig sind die viel zu dünnen, achtfach zusammenzulegenden, grasgrünen Satteldecken, welche wohl die Ursache der zahlreichen und mitunter recht bedeutenden Satteldrücke bilden.

Die Mannschaftszimmer sind mit Holz ausgelegte, luftige, reinlich gehaltene Räume, in denen mir der reichliche Vorrat an Uniformstücken und an Schuhwerk auffiel, mit dem die Mannschaft versehen ist; jeder Mann hat außer der Parade- und Exerziermontur sowie der Sommeradjustierung noch drei bis vier gestreifte Jacken, ein überaus bequemes Kleidungsstück. Auf den Brettern, welche oberhalb der Lagerstätten angebracht sind, stehen überall nette Teeschalen. Die Mannschaft, deren Aussehen ein gutes und kräftiges ist, erhält drei Mahlzeiten täglich, welche zumeist aus Reis, dem Nationalgericht, und einer hinreichenden Zugabe von Fischen oder Fleisch besteht.

Was die Bewaffnung der Kavalleristen anbelangt, so fiel mir der Säbel auf, dessen Klinge dünn und schmal ist, während der Korb so wenig Spielraum bietet, dass mir diese Waffe beinahe den Eindruck eines für Kinder bestimmten Säbelchens machte; der Karabiner wird nicht wie bei uns durch einen Leibriemen festgehalten und baumelt bei jeder Bewegung des Mannes auf dessen Rücken umher. Die Revolver der Unteroffiziere sind leicht handliche und viel praktischere Waffen als die bei uns üblichen.

Während wir die Räumlichkeiten der Kaserne besichtigten, war über Befehl des Kommandanten, der einen überaus günstigen militärischen Eindruck machte, im großen Hof unter Befehl eines Offiziers ein Zug in der Stärke von 14 Rotten zu Pferd ausgerückt. Diese Abteilung führte vor uns alle Evolutionen des Zugsexerzierens in jeder Gangart durch, und dieses glich, weil die Japaner für ihre Kavallerie das deutsche Reglement zum Vorbild genommen haben, welches selbst wieder unserem Reglement nachgebildet ist, vollkommen den Bewegungen eines Kavalleriezuges unserer Armee, mit Ausnahme einer Abweichung, indem beim Empfang auch die Mannschaft grüßt, die Säbel hoch und mit dem Korb vor dem Gesicht haltend.

Alle Bewegungen, die Schwenkungen, die Ziehungen, die Aufmärsche und die Abmärsche zu Zweien und zu Vieren vollzogen sich ruhig. Zum Schluss der Übung ritt die Mannschaft einzeln im Kreis um uns herum, was Gelegenheit bot, sich ein genaues Urteil über das Pferdematerial und das Reiten der Leute zu bilden. Die japanische Regierung hatte vor einer Reihe von Jahren eine Anzahl ungarischer Deckhengste ankaufen lassen und dieselben in verschiedenen Teilen des Landes aufgestellt; die Produkte nach diesen Vatertieren bilden Japans heutiges Soldatenpferd, welches auf den ersten Blick das ungarische Blut verrät. Die Auswahl der Hengste scheint jedoch keine sehr glückliche gewesen zu sein, denn die Nachkommen haben kurzen, fehlerhaften Hals mit starken Ganaschen und mitunter schlechten Rücken, während die Gänge zumeist gut sind. Ich würde das vorgeführte Material unseren Kommisspferden einer minderen Klasse gleichstellen. Die Pferde der japanischen Kavallerie werden um den erstaunlich geringen Preis von nicht ganz 200 fl. ö. W. per Stück direkt durch die Truppe assentiert, soweit nicht die Remonten von den Staats-Fohlenhöfen geliefert werden.

Das Reiten der Mannschaft ließ nach unseren Begriffen manches zu wünschen übrig, schon weil der Reiter durch den vorn angeschnallten Mantel und die Taschen mit den Sprengbüchsen gezwungen ist. die Faust sehr hoch zu halten, was eine unruhige Führung bedingt, wie denn überhaupt die Leute trotz der scharfen Zäumung mit den Pferden, die zumeist in den Ganaschen steif und im allgemeinen wenig geritten sind, sehr rüde umgehen. Hingegen ist bei der Mannschaft ein weicher, guter Sitz nicht zu verkennen, und ich glaube, dass eine Abteilung wie die uns vorgeführte in der Hand eines europäisch durchgebildeten Kommandanten bei dem natürlichen Geschick und dem guten Willen der Leute binnen kurzer Zeit hinlänglich geschult sein müsste, um einem Zug eines guten europäischen Reiterregimentes vollkommen ebenbürtig zu sein. Jedenfalls habe ich in meiner Praxis kontinentale Reiterabteilungen exerzieren gesehen, die ihre Sache lange nicht so gut machten, wie der uns vorgeführte japanische Zug, zu dessen Ehre betont sein muss, dass die Besichtigung keine geplante, sondern eine improvisierte war, so dass die Übungen nicht vorher gehörig einstudiert werden konnten, wie dies mitunter anderwärts der Fall sein soll. Mit Worten des aufrichtigen Lobes und herzlichen Dankes verließ ich, den wackeren Obersten zu den Leistungen der Abteilung beglückwünschend, die Kaserne, nicht ohne lebhaftes Bedauern, dass die knapp bemessene Zeit nicht mehr gestattete, die Infanterie und die Artillerie zu besehen.

Prinz Joschihisa geleitete uns nach-dem nicht ganz 2 km von der Stadt gelegenen Park, Suisendschi genannt, welcher seinerzeit den Garten des der Familie Hosokawa gehörigen Landsitzes gebildet hat. Die Japaner sind nicht wenig stolz auf diesen Park, der ihnen als Ausflugsort dient, und mit Recht; denn derselbe bildet eine Sehenswürdigkeit ganz eigentümlicher Art, da er typisch für die Gartenkunst Japans ist. Man gewinnt den Eindruck, als wären einer Spielzeugschachtel Bäumchen, Sträucher, Blumen, Hügel, Felsen, Teiche und Wässerchen entnommen und in geschmackvoller Gruppierung und buntem Wechsel zu einer in den zierlichsten Dimensionen gehaltenen Gartenanlage geordnet worden.

Hatte sich schon entlang dem Weg beiderseits eine große Menge von Menschen angesammelt, so harrte unser am Eingang des Parkes ein Heer von Würdenträgern, deren Spitzen vorgestellt wurden, während die übrigen ein schön ausgerichtetes Spalier bildeten, welches wir durchschritten, um zu einer mit Fahnen und Laubwerk geschmückten Hütte zu gelangen, in der Erfrischungen und Tee serviert wurden. Letzterer wurde uns in der Weise geboten, wie ihn die Japaner trinken, als bitter schmeckende, grüne Brühe, die mit einer Sauerampfersauce Ähnlichkeit hatte und mir gar nicht mundete.

In Japan wird fast nur grüner Tee erzeugt und sind der Kultur des Teestrauches meist nur Grundstücke in der Ebene oder auf sanft geneigten Abhängen gewidmet; die besten Sorten japanischen Tees, der Pulver- und der Perltee, werden beinahe nur im Inland konsumiert, während zum Export in der Regel Tee von Blättern zweiter Qualität gelangt. Während wir versuchten, durch Genuss erfrischender Getränke die Wirkungen der drückenden Temperatur einigermaßen zu paralysieren, wurde ein brillantes Tagfeuerwerk abgebrannt.

Die klug auf Gewinn bedachten Kaufleute Kumamotos hatten in einem.unweit des Parkes gelegenen offenen Theater eine Ausstellung aller erdenklichen Erzeugnisse der japanischen Kunst und Kunstindustrie veranstaltet, um uns in Versuchung zu führen. Da gab es prächtige Dinge, auserlesene Objekte aus Bronze, Lackmalereien, kunstvoll gefügte und gearbeitete Gegenstände aus Bambus, Porzellan, Seidenwaren und namentlich Rüstungen sowie Waffen, worunter besonders kunstvoll geschmückte Schwerter zu nennen sind. Die Preise, welche gefordert wurden, waren enorme; gleichwohl musste ich ehrenhalber einige Einkäufe machen, was meinen Herrn Prinzen-Vetter nicht wenig zu unterhalten schien.

Ein in unserem Häuschen serviertes Frühstück, dem einige höhere Offiziere der Garnison anwohnten, beschloss den Aufenthalt in Kumamoto. Der freundliche Prinz Joschihisa gab uns sodann durch ein Spalier von Truppen das Geleit zum Bahnhofe, den wir alsbald unter dem Donner der Geschütze in einem Hof-Extrazug auf der Linie der Kiuschiu-Eisenbahn verließen, welche die Insel Kiuschiu von Kumamoto ab in nördlicher Richtung bis zur Endstation Modschi durchquert.

Diese Eisenbahnstrecke berührt einige größere Orte, so Kurume, früher die Residenz des Daimios von Arima und jetzt die Hauptstadt der Provinz Tschikugo; ferner die durch den Fluss Naka getrennten Zwillingsstädte Hakata-Fukuoka, wovon die erstere den Hafen der letztgenannten bildet und ehemals das Handelsviertel umfasste, während Fukuoka als Soldatenquartier die Wohnungen vieler tausend Samurais enthielt und nunmehr die Hauptstadt der Provinz Tschikusen ist; endlich knapp vor der Endstation Kokura, die Hauptstadt der Provinz Busen. Die Bahnstrecke wendet sich bald gegen Westen, zieht dann einige Zeit die Küste entlang und weiterhin nordwärts, um sich von Hakata in einem großen Bogen gegen Osten und Nordosten nach Modschi zu wenden.

Nicht nur auf den Bahnhöfen der größeren Orte, sondern auch auf jenen der kleineren Stationen, ja selbst dort, wo der Zug gar nicht anhielt, waren an der Spitze großer Menschenmengen Gouverneure, Kommandanten und sonstige Würdenträger aller Kategorien zu meiner Begrüßung erschienen. Ich entzog mich jedoch, um der Ruhe pflegen zu können, den in den Haltestellen des Zuges geplanten Vorstellungen und Ansprachen, indem ich vorgeben ließ, dass ich schliefe, so dass die erschienenen Honoratioren sich darauf beschränkten, ihre Visitkarten im Waggon abzugeben.

Längs der ganzen Strecke waren die umfassendsten polizeilichen Maßregeln zu unserem Schutz getroffen worden, ja selbst überall dort, wo ein Weg den Schienenstrang überquerte, stand ein salutierender Wachmann im Vollbewusstsein seiner Würde und Verantwortlichkeit. Ich darf, glaube ich, nicht mit Unrecht behaupten, dass Japan noch nie ein derartiges Aufgebot polizeilicher Machtentfaltung auf beschränktem Raume gesehen hat, aber auch ich habe mich in meinem Leben noch nie so bewacht gefühlt wie hier.

Der Extrazug flog auf dem schmalspurigen Schienenstrang nicht eben dahin, so dass es ein wahres Vergnügen bildete, auf der Plattform des Waggons zu stehen und in die heitere Landschaft zu blicken. Der Charakter des Landes ist harmonisch mit jenem der fröhlichen, artigen Bewohner zusammengestimmt, obwohl sich auch umgekehrt behaupten ließe, dass die Bewohner sich in ihrem Wesen dem Gepräge der Landschaft angepasst haben. Allenthalben öffnen sich freundliche Täler, lugen, die Gegend belebend, aus saftigem Grün zahllose kleine Ortschaften hervor; Berge und Hügel sind an manchen Stellen reich mit Nadelholz bestockt, unter dem dichtes Bambusgesträuch emporschießt. Leider finden sich auch hier bedeutende Flächen, welche vollständig abgestockt sind, was bei dem großen Holzbedarfe des Landes nicht Wunder nehmen darf; auf den Schlägen wächst unkrautartig Bambus empor. Ab und zu erblickt man ganz unvermittelt aus den Talebenen aufragende Hügel von halbkugelförmiger Gestalt, welche eine reiche Vegetation, darunter häufig abenteuerlich geformte Kiefern tragen, wie wir deren schon manche in japanischen Gärtchen in natura und auf Lackschachteln, Vasen u. dgl. in mehr oder weniger gelungener Darstellung gesehen hatten.

Bei Kokura begrüßten wir dort, wo die Eisenbahn hart an das Meer herantritt, die von dem prächtigen Farbenspiele der untergehenden Sonne übergossene See, aus deren tiefem Grund die Spiegelbilder der vergoldeten Häupter der Berge emporleuchteten; Hunderte von schneeweißen Silberreihern gaben uns in langem Zuge das Geleit.

In der Endstation Modschi harrte meiner festlicher Empfang: drei vor Anker liegende japanische Kriegsschiffe, der „Jajejama“, der „Takao“ und der „Mandschu“ leisteten, obschon die Sonne bereits untergegangen war, Wanten- und Geschützsalut. Modschi, welches mit dem gegenüberliegenden Schimonoseki tatsächlich nur einen Hafen bildet, ist eine neuere städtische Niederlassung, deren Aufblühen erst vom Jahre 1891 datiert, seitdem die Kiuschiu-Eisenbahn in diesem Ort endet. In einer Barkasse durchquerten wir die hier kaum eine Seemeile breite Meerenge, die Van der Capellen- oder Schimonoseki-Straße. um nach kurzer Fahrt in Schimonoseki selbst und damit auf dem südwestlichsten Punkte der großen Insel Hondo zu landen. Soweit ich in der Dämmerung beurteilen konnte, hatten wir den Fuß wieder auf einen reizenden Fleck Erde gesetzt; im Norden der Hafenstadt erheben sich steile, aber nicht hoch aufragende, zum Teil gut bewaldete Hügelketten, welche die rauhen Nordwinde abwehren und so in Verbindung mit der dem Süden zugewandten Lage Schimonosekis diesem Ort ein überaus günstiges Klima sichern.

Sanjodo — das ist das Gebiet an der Sonnenseite des Gebirges — heißt die Landschaft, in deren Provinz Tschoschiu die Stadt Schimonoseki liegt, die eigentlich nur aus einer mehr als 3 km langen Straße besteht. Durch ein Spalier, welches von einem Bataillon Festungsartillerie gebildet war. schritten wir zu dem für uns bestimmten, den Hafen dominierenden Haus, in dem die gleiche Nettigkeit, der gleiche landesübliche Komfort herrschten wie in den anderen japanischen Behausungen, welche wir bisher kennen gelernt hatten.

Der Eingang in die Meerenge ist fortifikatorisch stark versichert; denn schon oberhalb Kokura beginnen die aus sieben Forts bestehenden und mit modern angelegten Batterien versehenen Befestigungswerke, welche sich über die Insel Hiki nach Schimonoseki ziehen. Diese Fortifikationen sind offenbar die Früchte der Erfahrungen, welche die Japaner im Jahre 1864 gemacht hatten; denn damals wurde Schimonoseki von einer Flotte, in der englische, französische, niederländische Schiffe und ein Kriegsfahrzeug der Vereinigten Staaten Nordamerikas vertreten waren, ungeachtet des tapfersten Widerstandes der Japaner zusammengeschossen, so dass der Daimio von Tschöschiu um Frieden bitten und eine Entschädigung im Werte von fast 7,500.000 fl. ö. W. zahlen musste. Jener Gewaltakt war dadurch veranlasst worden, dass der genannte Daimio begonnen hatte, alle Schiffe fremder Nationen, welche die Straße von Schimonoseki zur Durchfahrt benützen wollten, beschießen zu lassen.

Nach dem Diner, bei dem ich zwischen zwei mir gegenüber stummen, weil nur der japanischen Sprache mächtigen, hohen Regierungsbeamten saß, sollte ein Fischfang im Meere bei Beleuchtung stattfinden. In einem großen Transportboot fuhren wir der festlich beleuchteten Stadt entlang hart am Ufer hin, bis wir zu einer Stelle kamen, an welcher sich etwa 50 Fischerboote umhertummelten, deren jedes am Bug ein grell aufflammendes Kienspanlicht trug. Das Prinzip des Fischfanges war hier sonach offenbar dasselbe wie jenes, welches unser würdiger Bootsmann Zamberlin bei Owa raha zur Anwendung gebracht hatte, mit dem Unterschied, dass die Fische hier nicht, wie von Zamberlin, gestochen, sondern mit kleinen Schöpfnetzen gefangen wurden oder, richtiger gesprochen, gefangen werden sollten; denn eine große Anzahl von Würdenträgern hatte uns das Geleit gegeben, deren pustende, hin- und herschießende Barkassen zwar zur Belebung des Bildes viel beitrugen, das Wasser aber beunruhigten und daher fast alle Wassertiere in der ganzen Umgebung verscheuchten. Einige aalähnliche Fische sowie ein ahnungsloser Tintenfisch bildeten unsere ganze Ausbeute, welche jedoch genügt hatte, die Geschicklichkeit der Fischer erkennen zu lassen; denn diese entdeckten ihre Beute immer schon in bedeutender Tiefe und holten jene dann blitzschnell mit dem Netz heraus.

Links

  • Ort:  Shimonoseki, Japan
  • ANNO – am 05.08.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Die goldene Märchenwelt“ aufführt.

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