Livingston—Mammoth Hot Springs Hotel, 21. Sept. 1893

Unsere Nachtruhe wurde durch das beständige Verschieben unseres Waggons, welches unter rücksichtslosen Stößen bewerkstelligt wurde, sowie durch das unaufhörliche Pfeifen und Glockengeläute der Lokomotiven empfindlich gestört, so dass wir das Abgehen des Zuges, der uns nach dem Endpunkt der Strecke, der Station Cinnabar, bringen sollte, freudig begrüßten.

Die zweistündige Fahrt führte längs des Yellowstone-Flusses in einem Tal, das sich nach Passierung einer Schlucht, des Gate of the Mountains, erweitert und Paradise Valley genannt wird; hohe Berge mit schneebedeckten Gipfeln, darunter der 3340 m hohe Emigrant Peak, ragen zu beiden Seiten empor. Eine halbe Stunde vor Cinnabar verengt sich das Tal wieder und bildet eine felsige, romantische Schlucht mit Sandsteinwällen, die sich bis zu einer Höhe von 600 m den Berg hinanziehen; schon hier tritt der vulkanische Charakter des Gebietes in manchen Gesteinsarten und Formen zutage.

In Cinnabar harrten der ankommenden Passagiere große, mit vier bis sechs sehr guten Pferden bespannte Coaches, in welchen die Fahrt nach dem ersten interessanten Punkt im Yellowstone-Park, den Mammoth Hot Springs, angetreten wurde. Beim Verlassen des Waggons begrüßte uns empfindliche Kälte, und nach kaum einem halben Kilometer Weges befanden wir uns in einer Schneelandschaft. Die Vegetation war, der hohen Lage — etwa 1600 m über dem Meer — entsprechend, ziemlich spärlich, doch fanden sich an den Wasserläufen und Berglehnen Tannen, eine kleine Thuja, Pappeln und besonders ein graugrüner Ginsterstrauch, der hier vorherrschend ist; sehr erstaunt war ich, allenthalben einen mit langen Stacheln bewehrten Zwergkaktus zu sehen, der am Boden kriechend wächst.

Die Straße war stellenweise ziemlich steil geführt, da sie in der zurückzulegenden Distanz von etwa 13 km um 368 m aufsteigt. Bei der kleinen Ansiedlung Gardiner, welche an der Mündung des gleichnamigen Flusses in den Yellowstone River liegt, fielen mir die zahlreichen umherliegenden Wapiti-Geweihe auf. Hier erreichten wir das Gebiet des Yellowstone-Nationalparks.

Dieser berühmte und vielbesuchte Park, dessen Areal 22.560 km2 beträgt, wurde durch Kongressakt vom Jahre 1872 als öffentlicher Park erklärt und darf als solcher in keiner Weise angetastet werden: das Holzfällen, die Jagd, der Betrieb von Bergwerken u. dgl. m. ist untersagt. Dieser löbliche Beschluss erhält die Originalität des durch seine Naturschönheiten sowie durch die eigentümlichen vulkanischen Erscheinungen ausgezeichneten Landstriches und schützt denselben vor der Verwüstung durch Menschen. Das ganze Gebiet ist vulkanischer Bildung, welche durch die große Zahl von Geysern, heißen Quellen, Terrassen- und Kraterbildungen, Obsidianfelsen und Schwefelhügeln das Erstaunen und die Bewunderung des Besuchers wachruft; sollen doch beispielsweise die hiesigen Geyser jene Islands weit übertreffen.

Etwa dritthalb Kilometer von dem Punkt entfernt, bei dem man den Park erreicht, wird die Grenze von Wyoming überschritten, auf welches der größte Teil des Parkes entfällt, während Montana und Idaho mit weit kleineren Landstrichen an dessen Areal partizipieren.

Nach Überwindung der letzten Steigung lag das Mammoth Hot Springs Hotel, fast 2000 m über dem Meer, vor uns, ein unförmlicher, riesiger Holzbau mit mehreren Annexen, in roter und gelber Farbe prangend; einige rechts hievon gelegene Pavillons dienen als Kasernen und Stallungen einer Kavallerieabteilung, welche für die Bewachung des Parkes und die Aufrechthaltung der Ordnung daselbst zu sorgen hat. Das Sternenbanner auf einem hohen Mast bezeichnet den Rallierungsplatz dieser Truppe.

Der Park wird alljährlich mit Ende September für den Fremdenverkehr geschlossen, so dass jetzt die Saison schon ihrem Ende nahegerückt war; dennoch zählte das Hotel noch viele Gäste und unter diesen eine beträchtliche Zahl übellauniger Deutscher, die anscheinend von der Ausstellung in Chicago hieher gekommen waren. Obgleich das Hotel Raum für 400 Betten besitzt und das beste des Parkes sein soll, mangelte es dennoch an jedem Komfort und an jeglicher Bequemlichkeit für die Reisenden, ein Übelstand, welcher durch die Bedienung noch verschärft wurde, die eine recht nachlässige war, soweit sie nicht gänzlich fehlte.

Als wir endlich einquartiert waren, begaben wir uns zu den Mammoth Hot Springs, heißen Quellen, die durch ihre Kalksinterablagerungen Terrassen bilden, deren Colorit und malerischer Aufbau sich zu einem prächtigen Schauspiel gestalten, wie es auch in Neuseeland, in Island und Kleinasien nicht schöner gefunden werden soll. Bei heftigem Schneegestöber schritten wir das ganze Terrain ab, welches etwa 70 Quellen und 10 bis 12 Terrassen umfasst; neben der weißen, grellgelben oder braunroten Farbe der Ablagerungen nahm sich das tiefe Blau der Quellen, die brodelnd ihr heißes Wasser aus unergründlichen Tiefen bringen, umso effektvoller aus. Manche dieser Quellen, deren Temperatur zwischen 12 und 47° C. schwankt, zeigen übrigens eine ganz ruhige Oberfläche, so dass wir, wenn der beständig aufsteigende Dampf sich im Wind verflüchtigte, in den azur- oder dunkelblauen Schacht hinabsehen und die Struktur der Ablagerungen sowie des Gesteines beobachten konnten; trotz der mitunter hohen Temperatur des Wassers setzen sich dünne Schichten von Algen am Gestein an. Der bröckelige Rand der Quellen schimmert infolge der Niederschläge meist in bräunlicher oder auch zinnoberroter Farbe, während sich an den Abflüssen schöne tropfsteinartige und feinblätterige Absitzungen bilden; sind dieselben noch ganz weiß oder lichtgelb mit Schwefel durchsetzt, so gilt dies als Beweis, dass die Quelle erst vor kurzem entstanden ist.

Eine jeder vulkanischen Gegend zukommende Eigentümlichkeit, die sich aber hier besonders häufig zeigt, ist das plötzliche Verschwinden und Versiegen der Quellen und Geyser, während ebenso unvermutet neue an anderen Stellen entstellen; so zeigte man uns eine Quelle, die erst vor zwei Wochen zutage getreten war, aber doch schon ansehnliche Ausdehnung erlangt hatte.

Wie in allen von Fremden vielfach besuchten Gegenden, hat auch hier jeder bemerkenswertere Punkt, jede Terrasse und Quelle, einen Namen, der oft genug befremdlicher oder widersinniger Art und auf weißen Tafeln verewigt ist; so heißen zwei mächtige, freistehende Steinkegel erloschener Geyser, die gleich im Beginn des Rundganges besichtigt werden, das Liberty Cap und Giant’s Thumb. Nach Passierung dieser Kegel steigt man auf schneeweißem Kalk die größte der Terrassen, Minerva Terrace genannt, hinan, und nun reiht sich Terrasse an Terrasse, Quelle an Quelle. Zu den bemerkenswertesten dieser Sehenswürdigkeiten zähle ich die Jupiter Terrace, die Pulpit Bassins, die Pictured Terrace, die Narrow Gauge Terrace, die Cupid’s Cave, die Teufels- und die Bärenhöhle, — die drei letztgenannten sind kraterähnliche, tiefe Felsenlöcher, aus denen jedenfalls vor Zeiten Quellen strömten — endlich den Orange Geyser und den Weißen Elephanten. Diese beiden sind heiße Quellen, welche aber keine Terrassen bilden, sondern ihre Ablagerungen kegelförmig auftürmen; die Benennung Orange Geyser ist nur insofern richtig, als der Kalksinter dieser Quelle anscheinend eine Beimengung von Eisenoxyd besitzt und daher orangefarbig aussieht. Der Weiße Elephant gleicht tatsächlich einem riesigen Dickhäuter dieser Art, und warmes Wasser der aufbauenden Quelle rieselte, als wir auf einer der glatten Seitenflächen emporklommen und den „Rücken“ des Gebildes betraten, unter unseren Füßen hervor.

Außer den genannten gibt es noch zahlreiche kleinere Gebilde, Quellen und Sprudel, und beinahe überall, wo wir über diesen vulkanischen Boden hinschritten, klang es unter den Tritten dumpf und hohl; viele Quellen lassen auch ein Zischen, Brodeln oder dumpfes Getöse auf weite Entfernungen hin wahrnehmen.

Am Fuße der Mammoth Hot Springs hat ein unternehmender Yankee einen Laden eröffnet, in dem er verschiedene Gegenstände feilhält, die von den heißen Gewässern, ähnlich wie in Karlsbad, rasch mit einer festen Kalkschicht überzogen werden.

Der Abend war recht ungemütlich, da es in dem Hotel keinen Raum gibt, in dem man nach der Mahlzeit rauchen und plaudern könnte; man ist auf das Stiegenhaus und auf die wenig angenehme Gesellschaft umherlungernder und spuckender Cowboys und Arbeiter, die überall Zutritt haben, angewiesen, so dass wir uns schließlich in eines unserer Zimmer flüchteten.
In dem Mammoth Hot Springs Hotel ist man übrigens gezwungen, frühzeitig zu Bett zu gehen, weil um 11 Uhr ohne Rücksicht auf die Bewohner die gesamte elektrische Beleuchtung eingestellt wird.

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