Mammoth Hot Springs Hotel — Livingston, 27. Sept. 1893

Da auch mit dem Morgenzug noch immer keine Postsendung eingelangt war, machte ich, die Zeit bis zur Abfahrt nach Cinnabar benützend, dem Captain Anderson, Kommandanten der hier bequartierten Kavallerieabteilung, einen Besuch, um dessen kleine, zur Absendung nach Washington bereitgehaltene Menagerie zu besehen. Captain Anderson hatte mich am Abend vorher in gelinde Verzweiflung versetzt, als er mir versicherte, dass er uns, wenn ihm unsere Wünsche nur wenige Tage vorher bekannt geworden wären, die Erlaubnis hätte erwirken können, im Park Raubwild schießen zu dürfen. Wie leicht hätte ich da einen der konservenlüsternen Bären erlegen können!

Der Kapitän bewohnt ein nett eingerichtetes Holzhaus und wusste mir manch interessantes Detail über die Verhältnisse im Park zu erzählen. Seine Eskadron hat einen sehr anstrengenden Dienst, da viele Posten und Patrouillen zu versehen sind, die hauptsächlich auf die zahlreichen Wilddiebe zu fahnden und bei deren Keckheit wohl auch manche Gefahr zu bestehen haben. Einem Wilderer wurde kürzlich ein nettes Pony abgenommen, das in der Nähe des Wohnhauses stand.

Die Menagerie war klein, zählte aber bemerkenswerte Stücke, so ein Stachelschwein, einen jungen Bussard, ein dachsartiges, mir unbekanntes Tier, drei ziemlich zahme Biber, die sich sogar aus dem Käfig herausnehmen ließen und frei umherspazierten. In einem eisernen Käfige saß ein schwarzer Bär, welcher erst vor wenigen Tagen gefangen worden war und nun auch die Reise nach Washington antreten sollte. Vier reizende Wapiti-Kälber waren ganz zahm, kamen auf einen Ruf herbei, uns neugierig beschnüffelnd, während ein Fuchs schleunigst seinen künstlichen Bau aufsuchte und von Zeit zu Zeit mit schlauem Blick aus einer Röhre hervorlugte, sich aber bei jeder Annäherung sofort wieder zurückzog.

Im Lauf des Vormittags langten einige Karawanen von „Sauerteig-Touristen“ an, welchen Namen hier die mit hochbepackten Wagen, mit Kind und Kegel den Park durchziehenden und ihn nun verlassenden Familien führen, deren mehreren wir bereits am ersten Tag unserer Tour begegnet waren. Gefährte, Gepäck und Insassen trugen deutlich wahrnehmbare Spuren des zigeunerhaften Umherstreifens an sich. Die Art, in der diese Naturschwärmer den Park bereisen, ist zweifellos eine höchst eigentümliche und uns kaum verständliche Form, Sommerfrische zu genießen. Irgendwelchen Ansprüchen an Komfort dürfen die Reisenden nicht huldigen, und ob sie für die mannigfachen Entbehrungen der mühseligen Fahrt in der Ungebundenheit des Daseins Ersatz linden, da dieses doch von der Gunst des Zufalles und von der Laune des Wetters abhängig ist, mag dahingestellt bleiben, scheint aber der Fall zu sein.

Auf dem kleinen Platz besichtigte ich noch eine Abteilung Kavallerie, ungefähr eine halbe Eskadron, welche unter Kommando eines Offiziers exerzierte. Die Truppe übte Aufmärsche und Bewegungen, die etwas komplizierter als bei uns ausgeführt wurden; die Entwickelung einer Schwarmlinie, bei welcher zu Pferde der Karabiner ergriffen wird, scheint eine der wichtigeren Evolutionen zu sein. Die Pferde waren auffallend groß, stark und auch gut, zumeist Schimmel; das Reiten der Leute und besonders die rüde Behandlung der Pferde waren mir weniger sympathisch. Die Reiter trugen einheitlich dunkelblaue Uniformen mit gelben Lampassen auf den Beinkleidern, hiezu graue Schlapphüte und hohe, schwere Stiefel; die Bewaffnung bestand aus Säbel, Revolver und Karabiner; dieser und der Säbel waren am Sattel befestigt.

Nach Cinnabar kamen wir diesmal rascher als bei der Herfahrt, weil die Wege in besserem Zustand waren und es größtenteils bergab ging. In dem genannten Ort mussten wir noch lange auf den Abgang des Zuges der Northern Pacific Railroad warten, welcher uns
über Livingston nach Butte City bringen sollte, von wo aus wir das Zentrum des Mormonentums, Salt Lake City, unser nächstes Reiseziel, zu erreichen gedachten.

Während der Wartezeit in Cinnabar unterhielten wir uns mit einem alten Sachsen, der vor 30 Jahren seiner Heimat entlaufen war, um in Amerika ein freies Jäger- und Trapperleben zu führen, das ihm anscheinend sehr gut anschlug; gegenwärtig betreibt der Mann einen schwunghaften Handel mit Bärenfellen und versteinertem Holz. Mit besonderer Begeisterung erzählte er von seinen Jagdzügen, auf welchen er das aus dem Park auswechselnde Wild schießt, that jedoch, als ich ihn fragte, ob er verheiratet sei, sehr entrüstet und bekannte sich somit als überzeugungstreuer Hagestolz.

Infolge eines günstigen Zufalles bekam ich hier auch die kühnste Reiterin der Gegend zu Gesicht, welche selbst das stützigste und wildeste Pferd zu bändigen vermag, dafür aber, was Schönheit und weibliche Anmut betrifft, von der Natur sehr stiefmütterlich behandelt worden ist.

In Livingston mussten wir unseren Pullmann Car auch als Nachtquartier beziehen, weil der Zug nach Butte City erst um 4 Uhr morgens eintreffen sollte. Erstere Stadt ist ein bekannter Handelsplatz für Felle und Pelze; in den Läden sind käuflich: Puma-, Bären-, Wolf-, Fuchs-, Katzen- und Marderfelle, Büffeldecken, zahlreiche Geweihe, unter welchen sich capitale, vom Wapiti- und Black-tail-Hirsche sowie vom Bergschafe stammende Exemplare befanden; weiters eine Menge Indianerkuriositäten, als Waffen, Schmuck und verschiedene Erzeugnisse der Hausindustrie.

Die Preise, welche die Händler forderten, waren geradezu unverschämt; doch nicht genug an dem, mussten wir es gewissermaßen als einen Akt der Gnade erbitten, das gewünschte Stück um unser gutes Geld kaufen zu dürfen oder gar eine Emballage zu erhalten. Ein einfacher Indianerkotzen kostete 10 Dollars, ein schlecht ausgestopftes Büffelhaupt 600 Dollars und ein Paar Wapiti-Stangen bis zu 200 Dollars; doch ward trotz alledem unsere Kauflust eine sehr rege, weil wir manche schöne Objekte ausfindig machten.

Als ich abends zwei meiner Herren mit allen nötigen Attesten und Beglaubigungen zum Postmeister sandte und diesen ersuchen ließ, die für uns bestimmte und mit uns fast gleichzeitig eingelangte, nach Mammoth Hot Springs Hotel adressierte Postsendung hier in Livingston auszufolgen, musste ich einen neuerlichen Beweis amerikanischer Unfreundlichkeit erleben, der unsere gute Laune arg trübte. Obschon die Herren überdies ein Schreiben des Postmeisters von Mammoth Hot Springs Hotel vorwiesen, worin dieser seinen Kollegen ersuchte, uns die verspätet eingelangte Post einzuhändigen, und letztere eben auf dem Schalter lag, so dass einzelne Adressen lesbar waren und sich konstatieren ließ, dass sich unter den Briefen auch solche befanden, deren baldiger Empfang für mich von Wichtigkeit war, wollte der unhöfliche Postmeister unsere Post um keinen Preis herausgeben, sondern beharrte, aller zur Umstimmung angewandten Mittel ungeachtet, darauf, dieselbe nach ihrem Adressort weiterzusenden; schließlich stülpte er den Hut auf und verließ, ohne weiter ein Wort zu sagen, sein Bureau.

Links

  • Ort: Livingston, Montana, USA
  • ANNO – am 27.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt das Stück „Der Meister von Palmyra“, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Romeo und Julie“ aufführt.

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