Port Kennedy, 6. Mai 1893

Der Resident, welcher doch auch zur Bereicherung meiner Sammlung von Vogelbälgen behilflich sein wollte, hatte uns für den heurigen, zum Kohleneinschiffen auf der „Elisabeth“ bestimmten Tag eine Fahrt an das australische Festland proponiert und hiezu in sehr freundlicher Weise den Regierungsdampfer „Albatross“, eine kleine Yacht, zur Verfügung gestellt. Beizeiten holte uns der Resident selbst mit dem genannten Dampfer ab, und wir traten in Begleitung mehrerer Herren die Fahrt an, die sich um das Cap York herum bis in die Somerset Bay ausdehnen sollte. Als Gäste nahmen drei Herren an dem Ausflug teil: ein französischer Missionär, der eben aus Neu-Guinea gekommen war, wo er, wie seine Erzählungen bewiesen, genaue Kenntnis des Landes und seiner Leute gewonnen hatte; ferner der Kapitän eines englischen Kriegsschiffes, der seinen längeren Urlaub dazu benützte, um im Norden des australischen Kontinentes und in Neu-Guinea Schmetterlinge zu fangen, endlich ein Botaniker, dessen Ausrüstung aber auf nichts weniger denn auf seine friedlichen Zwecke hindeutete, da er statt der gewöhnlichen Berufsutensilien, als da sind: Botanisierbüchse, Schaufeln und dergleichen, nur eine Menge von Revolverpatronen umgeschnallt trug und überhaupt das Aussehen eines echten Squatters hatte.

Der Morgen war schön, nur wehte ein ziemlich frischer Ost, der unseren etwas altersschwachen „Albatross“, als wir nach Passierung der Nordküste von Horn-Island in die Flinders-Passage gekommen waren, derart umherwarf, dass wir nach und nach beinahe alle von dem bösen Übel der Seekrankheit befallen wurden. Überdies war uns die starke Strömung entgegen, so dass die See sehr kurz ging, was ein bedeutendes Stampfen des Schiffes zur Folge hatte. Nach etwa vierstündiger Fahrt erst liefen wir in den Albany-Pass ein und gingen gegenüber der Insel Albany in der Somerset Bay vor Anker.

Für die etwas stürmische Fahrt und deren bedauerliche Folgen entschädigte uns zweierlei: das Bewusstsein, nun endlich das australische Festland zu betreten, und die schöne landschaftliche Szenerie der Bai. Auf der einen Seite erhebt sich die Insel Albany, auf der anderen Seite das Festland mit seinen bewaldeten Hügeln, deren einer ein großes Gebäude trägt, das, weißschimmernd weithin sichtbar ist und, von den grünen Bäumen des Hintergrundes sich wirksam abhebend, die Bai dominiert. Die Bai von Somerset hätte ursprünglich das werden sollen, was jetzt Port Kennedy ist, nämlich Hafen- und Kohlenstation für die Dampfer, welche die Torresstraße passieren, doch erwies sich späterhin der Somerset-Hafen als minder günstig gelegen, zu klein und zu seicht, so dass Thursday gewählt wurde.

Wir bestiegen den Hügel und betraten das schon vom Schiff aus wahrgenommene Gebäude. Ursprünglich, zu der Zeit nämlich, als Somerset zum Haupthafen der Torresstraße ausersehen war, zum Sitz der Lokalbehörden bestimmt, dient das umfangreiche, ringsum mit Drahtzäunen umgebene Bauwerk gegenwärtig einem reichen „Pächter“ und den Seinen als Wohnhaus. Ich nenne ihn hier »Pächter«; doch konnten wir nicht recht feststellen, wer und was er eigentlich sei. Die einen nannten ihn einen Sportsmann, die anderen bezeichneten ihn als Squatter und betonten, dass er große Viehherden besitze. Den Mann selbst bekamen wir nicht zu Gesicht, da er, wiewohl von unserem Besuch im vorhinein verständigt, es vorgezogen hatte, den Tag außer Hause zu verbringen.

Durch das Rätselhafte, welches über der Person dieses „Pächters“ waltete, neugierig geworden, befragten wir seine beiden Söhne, welche uns der Resident schon an Bord des „Albatross“ vorgestellt hatte, und die Frau des geheimnisvollen Mannes, welche uns in dem Hause aufs freundlichste empfing. Diese, Jardine mit Namen, in Farbe und Gesichtsbildung eine typische Südsee-Insulanerin, steigerte nur unsere Neugier, indem sie erklärte, sie sei die „Nichte des Königs Malietoa von Samoa“. Die beiden Knaben aber berichteten, ihr Vater sei vormals lange Jahre hindurch auf dem Meere gewesen und habe viele Schiffe besessen; jetzt aber habe er das Seefahren aufgegeben und nenne nun ungeheuere Viehherden sein eigen.

Dieser Hinweis auf den früheren Beruf und auf den Reichtum des „Pächters“; der Umstand, dass dieser unserem Besuch ausgewichen war; die Beziehungen zu Samoa durch seine Verbindung mit einer Häuptlingstochter; endlich verschiedene auffallendere Schiffsbestandteile, die wir in seinem Haus bemerkten: alles dies zusammengenommen wäre geeignet gewesen, den Glauben zu erwecken, dass der „Pächter“ vor Zeiten in den Gewässern zwischen Samoa und dem Korallenmeer kühne Schiffahrtsunternehmungen betrieben habe. Weit zurückliegende Reminiscenzen aus Cooper und aus Walter Scott, Gestalten wie „der rote Freibeuter“ und „der Pirat“ tauchten vor mir auf; ein Eindruck, der aufs neue lebendig wurde, als wir, gegen Abend von der Jagd zurückkehrend, den „Pächter“ in einem kleinen Kutter segeln und dann mit großem Geschicke pfeilschnell die Bai hereinlavieren sahen. Das mystische Dunkel, welches diese Existenz, gleich mancher anderen in Australien, umhüllt, wurde auch späterhin nicht erhellt, und um so romantischer steht die Figur des „Pächters von Somerset“ in meiner Erinnerung da.

Als Leiter der Jagd, auf die wir nun auszogen, das heißt als Führer auf derselben, hatte der Resident die beiden Söhne des „Pächters“ bestimmt. Das jugendliche Alter der beiden, von welchen der eine zwölf, der andere gar nur acht Jahre zählte, hatte mir anfangs wenig Vertrauen eingeflößt, doch wurde ich im Verlauf der Streifung durch den Wald anderer Meinung, da die beiden kleinen Halb-Samoaner. die offenbar den größten Teil des Tages in Wald und Busch zu verbringen pflegen, hier vortrefflich Bescheid wussten.

Sobald wir den Jungen erklärt hatten, dass wir jagen und Vögel schießen wollten, führten sie uns an die besten Stellen, machten uns auf Fährten und Scharrplätze von Känguruhs aufmerksam, zeigten uns seltene Blumen und andere Pflanzen — alles gleich echten Kindern des Waldes. Der ältere äußerte schon eine bedeutende Energie, kommandierte und traf mit Bestimmtheit seine Anordnungen; der kleinere war ein rechter Schlingel, der uns auf die Frage, ob er die Schule besuche, mit einem gewissen Pathos antwortete: „Früher pflegte ich in die Schule zu gehen, jetzt aber habe ich es aufgegeben.“ Und dabei war er erst acht Jahre alt!

Wir trennten uns in verschiedenen Partien zu je zwei Herren und ich drang mit Regner unter Führung des älteren Knaben in den Wald, der im allgemeinen ähnlichen Charakter trug wie jener, den ich tagszuvor auf Horn Island besucht hatte. Nur erschien im Walde von Somerset an Stellen, wo mehr Feuchtigkeit vorhanden war oder kleine Bäche rieselten, die Vegetation reicher, üppiger; ja zuweilen erinnerte sie an tropischen Wald. Da fanden sich hohe, schöne Bäume, dazwischen Palmen und farnartige Kräuter; selbst Orchideen und rankende Lianen fehlten nicht. Ich erlegte Exemplare verschiedener Arten der australischen Vogelwelt, doch konnte ich leider weder Kakadus, noch Papageien zu Gesicht bekommen. Der Tag war ziemlich heiß; brennend sandte die australische Sonne ihre Strahlen auf uns herab. Endlich kam ich an einen größeren Bach, der zu meiner Freude einen heimatlich klingenden Namen: Pola River trägt und ganz dunkelbraunes, eisenhaltiges Wasser, gleich jenem unserer Hochmoorbäche führt. Hier war die Vegetation besonders reich zu nennen und die schönsten buntfarbigen Schmetterlinge, darunter manche von erstaunlicher Größe, flatterten umher.

Am Ufer des Pola River fortschreitend, kam ich mit Wurmbrand und Clam zusammen, von denen letzterer das Waidmannsheil gehabt hatte, das erste Känguruh zu erlegen — ein Zwergkänguruh aus der Gattung der Hasenspringer, das aber immerhin von der Nase bis zum Schwanzende 1,75 m maß. Der kleine Führer der beiden Herren hatte zwei Haushunde in den Wald mitgenommen; diese gaben plötzlich Laut, worauf das Beuteltier bei Clam in voller Flucht vorbeikam, so dass er es mit einem Kugelschuss strecken konnte.

Im Schatten der hohen Bäume hielten wir einen Augenblick Rast, welche Ramberg benützte, um mehrere photographische Aufnahmen zu machen. Dann ging’s wieder quer durch den Wald und an mehreren Gräbern von Eingeborenen vorbei nach Somerset zurück, wo wir bereits Prónay und Bourguignon vorfanden. Letzterem war ein Unfall zugestoßen, welcher leicht von den übelsten Folgen hätte begleitet sein können. Bourguignon hatte nämlich, da seine Patronen durch den gestrigen Regenguss feucht geworden waren, mit weißem Pulver geladene Patronen Prónays benützt, denen jedoch das Gewehr nicht gewachsen war. Nach einigen Schüssen platzte die Kammer und es bildete sich eine Öffnung von mindestens 10 cm Länge, wobei das infolge der Explosion wegspringende Stück des Laufes den Schützen ziemlich bedeutend am Arm verletzte. Hätte Bourguignon das Gewehr in etwas geneigterer Lage gehalten, so wäre eine sehr bedenkliche Verwundung unvermeidlich gewesen. Er war nach Somerset zurückgeeilt, wo die Frau des „Pächters“ seine Wunde auf das beste verband.

Überhaupt erfüllte die „Nichte des Königs von Samoa“ ihre Pflichten als Hausfrau in der allerfreundlichsten Weise; denn sie beschenkte mich mit Orchideen und Zitronen aus ihrem Garten und gestattete uns auch, die Wohnräume des Hauses zu besichtigen, in welchem alles in malerischer Unordnung und vernachlässigt durcheinanderlag; nur ein wahres Arsenal von Gewehren und Revolvern machte hievon eine Ausnahme. Diese Waffen waren sämtlich in vorzüglichem Stand, doch konnte man sehen, dass sie häufig in Gebrauch genommen worden waren. Darob befragt, erklärte unsere Wirtin, die Gegend von Somerset sei in früheren Jahren so unsicher gewesen, dass die Bewohner der Ansiedlung jeden Augenblick eines Überfalles seitens der Eingeborenen gewärtig sein und stets Waffen zur Hand haben mussten. Sogar der achtjährige Schlingel nannte zwei Gewehre sein eigen; das eine, fügte er bei, diene zum Erlegen von Vögeln, das andere im Kampf wider Menschen. Selbst Geschütze fehlten in diesem wohl armierten Hause nicht; denn ein Paar alter Schiffskanonen lag in einem der Zimmer unter dem hier aufgestellten Billard, ein zweites Paar vor der gedeckten Veranda des Hauses.
Uns von den Bewohnern dieses seltsamen Heimwesens verabschiedend, nahmen wir vor dem Einschiffen am Meeresstrand einen Imbiss ein und steuerten dann nach Thursday Island zurück.

Wir hatten nun die Strömung mit uns; auch hatte sich der Wind gelegt, so dass der „Albatross“ ziemlich ruhig ging und die Fahrt in der Abendkühle sehr angenehm verlief. Im Vorbeifahren zeigte mir der Resident die Stelle, auf welcher im Jahre 1862 über Befehl Bowens, des Gouverneurs von Queensland, zum Zeichen der Besitzergreifung dieses Gebietes im Namen der Königin, das erste Mal die britische Flagge gehisst worden war. Die Matrosen hatten trotz der verhältnismäßig schnellen Fahrt eine Schleppangel ausgehängt; plötzlich hieß es die Maschine stoppen, ein großer Fisch hatte angebissen und mit vereinten Kräften zogen der Kapitän und seine Leute einen mehr denn 1 m langen Fisch an Bord, der in seinem Aussehen an einen Thunfisch erinnert und hierlands Kingfish genannt wird.

An Bord der „Elisabeth“ war noch alles mit dem Einschiffen der Kohle beschäftigt, was in Port Kennedy keine Kleinigkeit war; denn sonderbarerweise besitzt dieser Hafen hiefür weder Lichterboote, noch sonstige praktische Hilfsmittel. Der Kommandant war sonach gezwungen gewesen, die „Elisabeth“ an einen kohlenführenden Hulk, der mitten im Hafen verankert war, anzulegen und die ganze Kohle über Deck einzuschiffen — eine langwierige und äußerst schmutzige Arbeit. Auch war das Anlegen an das altersschwache und bereits ganz morsche Kohlenschiff bei Seegang und Strömung keine Kleinigkeit; denn ohne die allergrößte Vorsicht hätte unser Eisenkoloss mit seinen hinausragenden Türmen die Bordwand des Hulks nur allzuleicht unversehens eindrücken können.

Links

  • Ort: Thursday Island
  • ANNO – am  06.05.1893 in Österreichs Presse. Das Wiener Salonblatt und die Neue Freie Presse vermerken die Ankunft Franz Ferdinands auf Thursday Island in guter Gesundheit.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt “Torquato Tasso”, während da k.u.k. Hof-Operntheater die Oper “Die Hugenotten” aufführt.

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