Siriska, 22. Februar 1893

Schon den Abend zuvor hatte sich der Himmel getrübt, und in der Nacht begann Regen in Strömen niederzugehen. Die Umgebung der Zelte wurde tief durchweicht, doch hielten die Dächer unserer Behausungen zum Glück stand. Schlechte Aussichten für die Jagd, da der Tiger zwar bei solchem Wetter reißt, dann aber umherstreift, wogegen er bei warmem, sonnigem Wetter sich in der Nähe seines Opfers niedertut und von den Schikäris mit nahezu untrüglicher Sicherheit bestätigt werden kann. Vormittags ließ der Gussregen etwas nach; ich beschloss daher nach einer längeren Beratung mit dem Head-Schikäri und über dessen Anraten, da auf Tiger nichts unternommen werden konnte. zuerst auf Sambarhirsche zu pürschen und dann einen Trieb auf dieses Wild, sowie auf Schakale zu versuchen.

Alsbald brachen wir auf und strebten hoch zu Ross den nächstgelegenen Hügeln zu, wo uns ein Schikäri eilfertig entgegen kam, der einen Sambarhirsch bestätigt hatte. Alle Herren blieben zurück; ich allein pürschte mit dem Schikäri und Janaczek einen überaus steilen Bergrücken hinan, von dessen Grat aus der Schikäri nach der gegenüberliegenden Lehne auf einen angeblich starken Sambarhirsch deutete. Ich konnte diesen jedoch aller Bemühung ungeachtet durch längere Zeit nicht wahrnehmen, da er unbeweglich auf uns herüberäugte und sich durch seine braungelbliche Färbung von dem ihn umgebenden trockenen Gras gar nicht unterschied. Endlich ersah ich den Hirsch; der Schikäri wollte mich durchaus bewegen, sofort zu schießen, doch schien mir die Distanz — bei 400 Schritte — für einen sicheren Schuss zu groß. Da aber ein Anpürschen durch das zwischenliegende Tal nicht möglich war, so gab ich dem Drängen des Schikäri nach und schoss von dem einen Bergrücken auf den andern; der Hirsch zeichnete zu meiner besonderen Genugtuung gut auf Blattschuss, wurde flüchtig und verschwand auf der anderen Seite des Rückens. Mit großer Anstrengung kletterte ich über die Steine und das dornige Gestrüpp die eine Lehne herab, die andere hinan und fand am Anschuss Schweiß. Der Fährte folgend, sah ich den kranken Hirsch durch dichtes Gestrüpp ziehen und schoss noch einmal, fehlte jedoch in der Hitze des Gefechtes.

Die im Tal zurückgebliebenen Herren und die eingeborenen Jäger hatten nach dem Schuss den Hirsch ebenfalls krank flüchten gesehen, und nun ging es mit wildem Geschrei und Durcheinander hinter dem angeschossenen Stück her. Der Oberstjägermeister brüllte mit Stentorstimme Befehle von seinem Elephanten herab, die Schikäris wollten nach englischer Methode gleich nachlaufen, bis ich mich endlich, nach vielem Flehen und Schreien, mit den Leuten soweit verständigte, dass alle Eingeborenen sich von meinem Leibjäger in Ordnung anstellen ließen und, nachdem ich mit den Herren 1000 m vom Anschuss in der Lehne Posto gefasst, auf ein Signal gleichzeitig und regelrecht angingen. In der Tat kam der angeschossene Hirsch nach wenigen Minuten in Sicht und endete unter drei von mir und Wurmbrand abgegebenen Schüssen. Er war ein ausnehmend starkes Exemplar, anscheinend ein besonders rauflustiger Geselle, da er ganz verkämpft war und die Spuren davon an den Läufen, der Decke, sowie besonders an den völlig zerschnittenen Lauschern zeigte, so dass er, was ich lebhaft bedauerte, nicht einmal zum Ausstopfen geeignet erschien. Sehr schön waren die schmalen dunklen Grandln.

Während der Pürsche hatten die wartenden Herren im Tal sich die Zeit mit kindlichen Spielen wie „Blindekuh“, „Plumpsack“ u. dgl. m. gekürzt, zum besonderen Ergötzen des Oberstjägermeisters, der in eine Art Lachkrampf verfiel, vor Freude auf seinem Elephanten hin und her sprang und am liebsten mitgespielt hätte, wäre dies mit seiner Würde vereinbar gewesen.

Nun sollte ein Trieb versucht werden, doch kam abermals ein Schikäri mit der Meldung, dass in der Nähe noch ein Sambar bestätigt sei, worauf „Tisza“ mich zur Pürsche „befahl“ und die Herren auf die umliegenden Hügelspitzen verteilte. Ich keuchte, so schnell ich konnte. den steilen Hang hinan und musste, in einen kleinen Talkessel gelangt. unter ähnlichen, nur vielleicht noch ungünstigeren Umständen schießen wie das erste Mal, da der Hirsch spitz stand. Als ich ihn jedoch im Feuer geschossen hatte und das mächtige Tier, gefolgt von einer Lawine von Steinblöcken, mit Gepolter in die Tiefe stürzte, kam das ganze Corps der Schikäris laut jubelnd auf mich zu und beglückwünschte mich unter den drolligsten Kundgebungen der Freude. Befriedigt lächelnd empfing mich der Oberstjägermeister und ordnete den Weitermarsch an, der alsogleich auf den Elephanten angetreten wurde.

Auf einem steilen, steinigen Pfad zog die Karawane über ein Joch in ein langgestrecktes Tal, das mit hohem, trockenem Gras und dichten Dornen bedeckt war. Bei dem Abstieg über eine besonders schlechte Stelle, einen Felsabsatz, setzten sich die klugen Elephanten zuerst auf das Hinterteil, sprangen, auf den Rüssel gestützt, mit den Vorderfüßen hinab und zogen dann den Hinterleib nach.

Von den ausgesandten Schikäris kam die Meldung, dass sich leider keine Sambarhirsche in dem Tale befänden, weshalb wir beschlossen, ein besonders dichtes Dschungel an einer Berglehne abtreiben zu lassen. Wir stießen jedoch mit diesem Vorhaben auf den heftigen Widerstand Harnarains, der hievon nichts wissen, wohl aber ein Frühstück einnehmen und abermals Jäger ausschicken wollte, um allenfalls Sambarhirsche zu bestätigen. Gegen diesen Machtspruch war nicht aufzukommen und wir mussten uns fügen. Als die Ruhepause lange genug gewährt hatte, litt es uns nicht weiter; wir drangen in den Gewaltigen, der schließlich einen Trieb durch das Dschungel gestattete.

Wir verteilten uns rasch, Wurmbrand blieb am Ende des Dschungels, Clam und ich wollten die Höhe der Lehne erklimmen, um die nach oben gehenden Wechsel zu besetzen und einen Einblick in das Gewirre des Dschungels zu gewinnen: Prónay, Stockinger und Fairholme aber sollten mit den Treibern streifen. Das Erklimmen des Bergabhanges war jedoch leichter gesagt als getan; denn er war so steil und mit glatten Steinplatten und Felsblöcken besäet, dass wir nur als Ouadrupeden kriechend hinaufkommen konnten. Ich postierte mich an eine kleine Schlucht, die mir als Wechsel nach oben günstig erschien. Nach einiger Zeit begann der Trieb, wurde aber so schlecht geführt, dass wir kein Stück Wild zu Gesicht bekamen, da die tapferen Treiber wieder jede größere Dickung umgingen. Die Anwendung der kleinen Sammlung hindustanischer Kraftausdrücke, die ich mir bereits angeeignet hatte, fruchtete leider gar nichts, da der Jagdgewaltige kein Interesse mehr an den Tag legte und sich erst nach Beendigung des leeren Triebes, mit großer Seelenruhe und verschmitztem Lächeln nahend, wieder sehen ließ.
Solange noch Schusslicht andauerte, streiften wir in der Ebene beim Camp und brachten zahlreiche Hühner und Sand grouse zur Strecke. Wurmbrand hatte das Waidmannsheil, eine Gazelle zu erlegen.

Die im Lager verbliebenen Herren, darunter Kinsky, hatten nachmittags zu Pferd Schweine und Schakale gehetzt und einen Frischling gefangen, wobei auch Dr. v. Lorenz mitgeritten war, nicht ohne den sträflichen Leichtsinn mit zweimaliger Berührung der Mutter Erde büßen zu müssen.
Der Abend gehörte der Korrespondenz, da die Post den nächsten Tag abgehen sollte. Leider begann es neuerlich heftig zu regnen und strömte fast die ganze Nacht hindurch. Das Wetter verfolgt uns mit seinen Tücken; gerade jetzt, wo wir auf Tiger jagen wollen, müssen wir eine zweite Sintflut erleben!

Links

  • Ort:  Sariska, Indien
  • ANNO – am 22.02.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt Schillers „Jungfrau von Orleans“,  während das k.u.k. Hof-Operntheater Gounods „Margarethe (Faust)“ aufführt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Solve : *
16 − 15 =


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.