Tandur, 22. Jänner 1893

Da die Uhr erst die zweite Stunde zeigte, streifte ich mit meinen Herren noch durch einige Zeit quer durchs Land, um wenigstens die ornithologische Sammlung und die Küche zu bereichern. In den bebauten Feldern, in welchen, auf Hühner oder Schakale zu stoßen, wir zuversichtlich gerechnet hatten, trafen wir merkwürdigerweise gar kein Wild; dafür aber waren die Ränder der vielen kleinen Teiche und die nassen Reisfelder so reich an Bekassinen und Strandläufern, dass wir deren bald eine ansehnliche Anzahl erlegt hatten, die unserem Koch übergeben wurden.

Vor unserem Aufbruch hatte ich mitten zwischen den neben unserem Camp gelegenen Hütten der Eingeborenen ein abgehäutetes Schaf als Luder niederlegen lassen und konnte nun, nach der Rückkehr im Verlauf weniger Minuten 13 Schmutzgeier (Neophron ginginianus) und 2 Schmarotzer- oder Pariah-Milane (Milvus govinda) erlegen.

Die englischen und die einheimischen Jäger wollten erst gegen 11 Uhr vormittags ausziehen, mit der Begründung, dass um diese Stunde die Tiger träger und leichter zu treiben seien. Ich war zwar mit diesem späten Aufbruch nicht einverstanden, doch fügte ich mich den landesüblichen Sitten, und so schickten wir denn unsere Jäger und Gewehre mit einer Anzahl Elephanten voraus, um nach einer halben Stunde auf den Pferden des Nisams zu folgen.

Diese Pferde sind ganz eigentümlich zugeritten, oder in unserem Sinn gesprochen, eigentlich verritten; ganz hinter der Hand, sind sie gewöhnt, von ihren Reitern durch beständige Hilfen gezwungen zu werden, eine schöne Figur zu machen, so dass sie ununterbrochen tänzeln und croupieren, was auf die Länge der Zeit kaum erträglich ist.

Die Jagdgelegenheit, in der auf Tiger getrieben werden sollte, bildeten niedrige, mit Strauchwerk überzogene Hügelketten, durchquert von kleinen Schluchten und Tälern, die in Charakter und Aussehen mich an die Hügel der Ödenburger Gegend erinnerten.

Schon in Bombay hatten wir jeden Tag mindestens drei Telegramme erhalten, welche uns die Nachricht brachten, dass die Tiger stets an einer bestimmten Stelle gerissen hätten und daher der Erfolg beinahe sicher sei. Somit durften wir die besten Hoffnungen hegen und zogen frohgemut unseres Weges fürbass. Wir waren kaum einige Meilen geritten und näherten uns eben dem Jagdplatz, als verschiedene Schikäris herbeigelaufen kamen und lebhaft gestikulierend unserem Jagdarrangeur Mr. Stevens eine Meldung erstatteten. Auf meine Frage wurde mir bedeutet, dass die Chancen nicht so günstig stünden, als ursprünglich gedacht, die Nachricht von dem gerissenen Kalb sei eine irrtümliche gewesen, das Kalb habe sich losgemacht und lebe vergnügt.

Nicht lange darauf kamen Eingeborene, mit welchen die Schikäris eine lange Beratung pflogen, deren Ergebnis war, dass sie mir erklärten, es sei für heute nichts mehr zu machen, der Tiger hätte nicht gerissen und das Beste wäre, ins Lager zurückzukehren. Bitter enttäuscht durch diese Nachricht, nahmen wir unter einer großen Tamariske ein Trostfrühstück ein und kehrten auf demselben Weg in das Lager zurück, welchen wir vor kurzem in der sicheren Erwartung gekommen waren, die in Aussicht gestellten Tiger zu finden.

Links

  • Ort: nächst Tandur, Indien
  • ANNO – am 22.01.1893 in Österreichs Presse,  Die Neue Freie Presse meldet, dass die Kaiserin Elisabth momentan Sightseeing in Sevilla unternimmt. Ebenfalls wird gemeldet, dass sie Gebäck im dortigen Café Suizo, berühmt für ihre Schokolade, verspeist hat. Angesichts der strengen Diätregimes der Kaiserin war dies wohl berichtenswert.
  • Das Wiener Salonblatt berichtet über Franz Ferdinand in Indien. Interessant ist, dass Franz Ferdinands  eigener Bericht die Teilnahme an den Empfängen von Erzherzog Leopold Ferdinand komplett verschweigt, Das schwarze Schaf der Familie wurde in Bombay nun endlich nach Hause zurückbestellt, so dass Franz Ferdinand nun seine Reise ungestört fortsetzen kann.
The Archdukes Franz Ferdinand and Leopold Ferdinand are received by the dignitaries of Bombay.

Die Erzherzoge Franz Ferdinand und Leopold Ferdinand in Bombay (Wiener Salonblatt, 22 January 1893, no. 4, p. 4)  .

  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater gibt am Nachmittag Grillparzers Tragödie „Sappho“ und abends das Lustspiel „Der Störefried“, während die k.u.k Hof-Operntheater Gounods „Margarethe (Faust)“ aufführt.

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