Alwar—Siriska, 20. Februar 1893

Für sieben Tage sollten wir ein 40 km von Alwar bei Siriska — einer durch das Vorkommen von Tigern bekannten, vor uns schon vom Herzog von Connaught besuchten Gegend — gelegenes Zeltlager, welches die Regierung von Alwar hatte errichten lassen, beziehen, um auf Tiger zu jagen. Der Morgen war schön und beizeiten standen wir bereit, den Marsch anzutreten; aber der Aufbruch verzögerte sich noch lange. Zuerst verlautete, wir sollten direkt bis ins Lager teils fahren, teils reiten, unterwegs nebenbei auf Hühner streifend, bis die Bagage Zeit hätte, vorauszukommen; doch lief bald die Nachricht ein, in der Nähe des einzuschlagenden Weges sei ein Tiger bestätigt worden, auf welchen unverzüglich Jagd gemacht werden würde.

Die Folge dieser wechselnden Pläne war eine heillose Verwirrung, ein arges Durcheinander, wie das in Indien fast bei jeder Jagdexpedition der Fall zu sein scheint. Hier vermochte ein Jäger die erforderlichen Gewehre nicht sofort zu finden; dort fehlten Patronen; da waren zu wenig Wagen; ein Herr schrie nach seinem Koffer, ein anderer nach dem photographischen Apparat. Endlich wurden wir flott und traten den Zug ins Lager zunächst in einem vierspännigen Gesellschaftswagen an, während die Jäger in anderen Wagen und die Bagage auf zvveirädrigen. mit Zebuochsen bespannten Karren folgten. Die berittene Leibgarde und ein ganzes Heer von Kamelen begleiteten uns im Trab, ohne anderen ersichtlichen Zweck, als jenen, sehr viel Staub aufzuwirbeln.

Die Gegend, die wir durcheilten, bot neue und, da wir so lange in der Ebene geweilt, willkommene Bilder; denn das schmale Tal ist von steilen, sehr steinigen Hügeln eingeschlossen, an denen spärliche Vegetation — verkrüppelte Bäume und dornige, undurchdringliche Gebüsche — bemerkbar ist. Die Landschaft erinnert hier an Palästina und Syrien: doch sind die Berge in diesen Ländern noch kahler als jene von Alwar. In mehreren Dörfern stand die gesamte Bevölkerung an der Straße und Männlein sowie Weiblein sangen zur Begrüßung unisono eine Art Choral, der übrigens nicht so unangenehm klang, wie die bisher vernommenen indischen Gesänge.

An einem reizenden Plätzchen wurde Halt gemacht, angeblich um Nachrichten über den angekündigten Tiger zu erwarten, in Wirklichkeit aber, um einem Frühstück zu fröhnen. Die Ruinen eines alten Tempels lugen unter dem Schatten riesiger Bäume hervor, ein dunkelgrüner Weiher erfreut das Auge, steile Lehnen ragen rechts und links empor. Der Haltplatz war auch das Rendezvous für sämtliche Jagdelephanten, die — 14 an der Zahl — schön ausgerichtet mit ihren Mahauts und Haudas dastanden, sowie für sämtliche Pferde und Tragkamele.

Da man uns erst in zwei Stunden nähere Nachrichten über Tiger in Aussicht gestellt hatte, so benützten wir die Zeit zu einer Streifung. die wir auf die umliegenden Felder, auf einen kleinen, aus dem Tal emporragenden Kegel und auf eine der steilen Felslehnen ausdehnten. Im Anfang ging alles gut; als wir aber in die Berglehne kamen. wurde das Gehen äußerst beschwerlich, da Felsplatten und Felsblöcke mit dornigem Gebüsch abwechselten. Auch hier hatte ich, wie in Dardschiling, den Mangel genagelter Schuhe sehr zu beklagen. Ganz unglaublich war die Menge der Pfauen, die fortwährend vor unseren Füßen aufstanden oder über unsere Köpfe strichen, aber wir durften leider keinen dieser Pfauen schießen, da dieselben als heilige Vögel erklärt sind, was wir Jäger als einen uns recht unbequemen Einfall der Hindus empfanden.

Hingegen erlegten wir eine Anzahl der kleinen, langlöffeligen Hasen, sowie Indische Rebhühner, Gemeine Wachteln, Papageien einer uns noch neuen Art (Palaeornis cyanocephala), einen reizenden Honigsauger (Arachnechthra asiatica) und mehrere schöngefärbte Fruchttauben (Crocopus chlorigaster). Leider führte ich einen Stutzen mit, den ich noch nicht versucht hatte, so dass ich, allerdings auf große Distanz, einen Caracal (Felis caracal), der an einem Felsrand flüchtig wurde, und ein gewaltiges Krokodil, das sich am Rand eines Tümpels behaglich sonnte, fehlte. Beide Tiere wären prächtige, für meine Sammlung sehr willkommene Beutestücke gewesen!

Bald traf auf dem Rastplatz die Meldung ein, der Tiger sei unsicher, es empfehle sich, den Weg ins Lager fortzusetzen. Einige Herren ritten, ich aber fuhr in einer altertümlichen Kutsche mit hohen, bogenförmigen Federn; bespannt war sie mit vier Pferden, auf welchen zwei alte, weißbärtige Hindus saßen, die ein Mixtum compositum von englischer und indischer Livree trugen. Das Tal wurde immer enger, die Gegend romantischer; wir durchquerten so manches, jetzt trocken liegende Wasserbett, in welchem während der Regenzeit wilde Fluten tosen. Allmählich wurden die Stöße und das Schwanken in der vorsintflutlichen Kutsche doch zu empfindlich; ich bestieg daher eine kleine arabische Stute und legte in schnellem Tempo die Strecke zurück, die uns noch vom Lager trennte.

War schon das Lager in Tandur großartig gewesen, so wurde es doch weit übertroffen von der Ausdehnung und dem Luxus des Lagers von Siriska, in welchem für unser leibliches Wohlergehen in verschwenderischester Weise gesorgt war. In grünender Umrahmung erhebt sich hier, weithin sich erstreckend und sorgsam angeordnet, eine wahre Leinwandstadt! 46 Zelte sind für mich, meine Suite und die anderen Herren und Funktionäre der Jagdgesellschaft, andere 41 Zelte für die Diener und das Küchenpersonal bestimmt; eine lange Zeltgasse, in deren Mitte meine Standarte auf einem künstlichen, mit Blumen geschmückten Hügel flattert, trennt die schneeweißen Herrenzelte; das Speisezelt mit einem nebenliegenden großen Salon bildet den Abschluss; hinter dem Speisezelte ragt wieder ein künstlicher Hügel empor, beschattet von einem großen Ficusbaum und umrahmt von Anlagen, Rasenplätzen, Blumenbeeten, Springbrunnen und Bassins mit Goldfischen. Den Rand der Beete bedecken aus farbigen Steinchen zusammengefügte Mosaikstreifen, welche Spruchbänder und Jagdszenen darstellen. Ich verfüge nebst dem Wohnzelt noch über einen Salon, in dem mit Gold geschmückte Decken und Möbel prangen, jeder der Herren über ein Zelt, das mit allem nur wünschenswerten Komfort — die Badekabinen nicht zu vergessen — ausgestattet ist. Wenn nur die Anzahl der Tiger, die uns zur Beute fallen sollen, im entsprechenden Verhältnisse zu der aufgewendeten Pracht steht!

Das Lager breitet sich mitten in einem großen, freundlichen Talkessel aus, der rings von steinigen Hügeln umgeben ist. In der Nähe des Hauptlagers berindet sich noch eine Reihe anderer Lager, deren jedes eine große Anzahl von Menschen und Tieren birgt und dem Beobachter manche neue Typen und Szenen zeigt. Da ist zunächst das Lager der Jagdelephanten, ihrer Mahauts und Wärter, wo nach vollbrachtem Tagewerk die großen Tiere gefüttert und dann, sich zu diesem Zweck oft niederlegend, von den Wärtern geputzt, gestriegelt und gewaschen werden. An dieses Lager schließt sich jenes der Treiber und Kamele, ferner das der berittenen Leibwache und der Pferde an; letztere stehen in vier Reihen angebunden und sind gegen die Launen des Wetters durch warme Decken geschützt. Den Schluss bildet der Wagenpark mit den zahlreichen Bagagewagen und den als Bespannung dienenden Zebuochsen.

Die Anzahl der Jäger, der Treiber, der Speer- und Lastträger, der Elephantenführer und Wärter, der Aufseher, der zum Aufstellen der Zelte bestimmten und jener Leute, welchen die verschiedenartigsten Dienste und Verrichtungen obliegen, erhebt sich zu der stattlichen Ziffer von 1793 Mann. 25 Elephanten, 148 Pferde und 39 Hunde stehen für Jagdzwecke zur Disposition. Der Train des Lagers umfasst 84 teils vier-, teils zweiräderige Wagen und Karren. Im Bereich des Lagers sind nicht weniger als 25 Buden aufgeschlagen, in welchen Handwerker ihrem Berufe obliegen und Krämer Waren aller Art feilbieten. Eine unter Kommando eines eingeborenen Offiziers stehende Abteilung von 40 Kavalleristen versieht den Nachrichten- und Postdienst, ein Detachement von 72 Infanteristen den Wachdienst.

Links

  • Ort:  Sariska, Indien
  • ANNO – am 20.02.1893 in Österreichs Presse. Zum Glück keine neuen Cholera-Fälle mehr in Ungarn.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Der Störefried“ anstatt „Verbot und Befehl“ wegen Unpässlichkeit von Frl. Schratt, bekanntlich Franz Josephs Mätresse,  während das k.u.k. Hof-Operntheater Donizettis Oper „Die Regimentstochter“ aufführt.

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