Calcutta, 2. Februar 1893

Kinsky, der sich glücklicherweise von seinem Fieber erholt hatte, führte mich früh morgens in einem kleinen Kutschierwagen durch die Native-Stadt, welche ich zu sehen gewünscht hatte, die aber nicht so viel des Interessanten bietet wie in Bombay und Haidarabad. Die Straßen sind, wenn möglich, noch enger, die Häuser nicht geschmückt und wenig Abwechslung aufweisend. In den Kaufläden und auf der Straße herrscht zwar dasselbe Leben wie in anderen Städten; doch ist das Bild kein so bunt bewegtes, da die Tracht der Eingeborenen meist nur in schmutzigem Weiß erscheint.

Die Reihe der Besichtigungen eröffneten wir heute mit jener des großen Museums, in welchem die zoologischen, mineralogischen, geologischen, ethnographischen und kunstindustriellen Sammlungen untergebracht sind. Das Museum birgt recht interessante und wertvolle Schätze; sie gründlich zu besehen, würde viele Tage erfordern. Nur die Aufstellung und Gruppierung der Objekte, die Beleuchtung einiger Räume, die Reinlichkeit und die Sorgfalt der Instandhaltung in sämtlichen Sälen und Zimmern lassen vieles zu wünschen übrig. Zunächst wurden wir in die sehr reichhaltige mineralogische und geologische Abteilung geführt, die auch manches aus unserem Vaterland stammende Stück aufzuweisen hat. In einem wenig erfreulichen Zustande fand ich die zoologische Abteilung, besonders die darin verwahrten Säugetiere; das feuchte Klima und mangelhaftes Ausstopfen wurden als Entschuldigungsgründe angegeben. Jedenfalls sind die Tiere meist nach einer Schablone ausgestopft und haben fast alle die gleiche Statur und Farbe, so dass es manchmal schwer fällt, bei flüchtiger Besichtigung der Schränke eine Otter von einem Mungo oder einem anderen Angehörigen ähnlicher Familien zu unterscheiden. Interessant ist in diesem Saal eine durch Schenkungen entstandene Sammlung von Geweihen und Hörnern aller in Indien vorkommenden Zweihufer, sowie eine vergleichende Zusammenstellung von Menschen- und Affenschädeln als Beleg für die »Darwinsche« Theorie, zu deren Bekennern ich mich übrigens nicht zähle.

An die Säugetiere schließen sich die Reptilien an, die sich in besserem Zustand befinden, wogegen sich die Vögel um so ungünstiger präsentieren, die mich aber doch lebhaft interessierten, da sämtliche Gattungen der indischen Ornis hier vertreten sind. Mit einiger Phantasie konnte man sich immerhin zurecht finden und so Material an Namen und sonstigen Daten für die fernere Reise gewinnen. Die Sammlung von Fossilien ist sehr reich und wissenschaftlich geordnet; ein besonders großes Megatherium nimmt die Mitte des Saales ein. Die in den ebenerdigen Räumen untergebrachte Kollektion von Conchylien, Schwämmen und Korallen ist namentlich durch die verschiedenartigen aus Singapur und aus dessen Umgebung stammenden Exemplare bemerkenswert.

Den Schluss unseres Rundganges bildete die Besichtigung der Sammlung kunstindustrieller Erzeugnisse, welche einen belehrenden Überblick über die so mannigfaltigen Produkte des Landes auf diesem Gebiete gewährt; denn alles findet sich hier, von den Werken der einfachsten Hausindustrie angefangen bis zu den schönsten, künstlerisch ausgeführten Gegenständen, bei denen Silber und Kupfer die hervorragendste Rolle spielen.

Angeregt durch das im Museum Gesehene, besorgte ich in der Calcuttaer Niederlage der Firma S. J. Tellery & Co. den Ankauf von zahlreichen Gegenständen; darunter von Musikinstrumenten absonderlichster Form, sowie von alten, gemalten Bildern mit Darstellungen aus der indischen Göttersage, auf welchen Wischnu als Räma-Tschandra und in der Inkarnation als Krischna mit seinen Hirtenmädchen am häufigsten zu finden ist.

Für Nachmittag war, und zwar in Gesellschaft des Vizekönigs und seiner Gemahlin, ein Besuch des berühmten botanischen Gartens projektiert, welcher am rechten Ufer des Huglis, südwestlich von der Vorstadt Haura liegt.

In einer reizenden Dampf-Yacht, die den Namen der Vizekönigin »Maud« trug, fuhren wir den Hugli hinunter, mitten durch alle vor Anker liegenden Schiffe, deren Zahl Legion ist. Auffallend sind namentlich große Segelschiffe, Viermaster englischer oder amerikanischer Provenienz mit zwei- bis dreitausend Tons Gehalt, welche zu vieren oder fünfen nebeneinander vertäut liegen. Zwischen den Schiffen fahren, bald pfeilschnell dahinschießend, bald bedächtig die Fluten durchfurchend, zahllose Boote der Eingeborenen hin und her, teils schmale Kanus, teils viereckige, ungeschlachte, Dahabiyen ähnliche Fahrzeuge, welche von den Insassen weiterbewegt werden, indem diese, hiebei affenartig gestikulierend, mit Händen und Füßen rudern. Eigentümlich geformt sind die Flussdampfer, welche hohen Oberbau bei geringem Tiefgang. ein Heckrad und eine kleine Maschine besitzen; sie ähneln mehr einem schwimmenden Haus als einem Dampfschiff.

Eine Fahrt von 20 Minuten brachte uns an die Landungsstelle des botanischen Gartens. Gegenüber, auf dem linken Ufer, liegt der Palast des verstorbenen Königs von Audh, der ob seiner Grausamkeiten im Jahre 1856 von der englischen Regierung abgesetzt worden war und dann in Calcutta lebte. Zu seinem Unterhalt wurden ihm monatlich 150.000 Rupien ausgefolgt. Sein Hauptvergnügen bildete eine Sammlung von vielen hundert lebenden Tieren, besonders Schlangen; nebstbei hielt er über 10.000 bunter Tauben, welche abgerichtet waren, nach Signalen, die mit Flaggen gegeben wurden, allerlei Flugbewegungen auszuführen. Während seiner mehr als dreißigjährigen Internierung hat er, wie man erzählt, nie den Palast verlassen und nie einen Europäer empfangen.

Der botanische Garten ist im Jahre 1786 gegründet worden, untersteht der Regierung und nimmt einen Flächenraum von 110 ha ein. Was Schönheit und Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Bäume anbelangt, hält dieser Garten ebenso wie der Victoriagarten in Bombay jenem von Peradenia zwar nicht die Wage; gleichwohl ist er seiner hübschen Anlage halber, sowie wegen der zahlreichen kleinen Teiche und Wasserläufe, die, vom Hugli gespeist, viel Leben in das Bild bringen, in hohem Grad sehenswert. Gleich beim Eingang wird die Aufmerksamkeit auf zwei schöne, in gerader Richtung geführte Alleen gelenkt; die eine derselben besteht aus kerzengeraden, schlanken Palmyra-Palmen, die andere aus Mahagonibäumen. Bemerkenswert sind hier auch allerlei indische Koniferen, Kasuarinen und Palmen verschiedener Arten, sowie die interessanten Schlingpalmen. Mitten im Park sind zwei große Orchideenhäuser und ein Treibhaus, deren Eisengerüste, zum Schutz der Gewächse gegen allzu starke Sonnenstrahlen, statt mit Glas bloß mit Schlingpflanzen und Kokosnussfasern leicht überdeckt ist.

Die Pièce de résistance des Gartens bildet einer der größten Bäume Indiens, ein mächtiger Banian-Baum (Ficus indica), welcher in der bekannten Weise durch Absenker neue Stämme bildet. Mit seinen sämtlich vom Hauptstamm ausgehenden Luftwurzeln nimmt dieser Baum eine Kreisfläche von ungefähr 300 m Umfang in Anspruch. Erwähnenswert sind noch das Herbarium und die reichhaltige Fachbibliothek des botanischen Gartens.

Auf dem Rückweg vom botanischen Garten unternahmen wir mit Lord W. L. de la Poer Beresford — dem Military Secretary des Vizekönigs — einem heiteren, lebensfrohen Herrn, der bereits unter dem fünften Vizekönig dient und 26 Jahre im Land verbracht hat, eine Spazierfahrt. Die Coach Lord Beresfords brachte uns in der Umgebung Calcuttas durch viele Dörfer der Eingeborenen, dann durch Haura und schließlich über die Hugli-Brücke nach Calcutta zurück. Lord Beresford, welcher den Viererzug selbst lenkte, bewährte sich als vorzüglicher Kutscher; ist doch das Fahren in den von Kindern, Bettlern, Vieh und Wagen wimmelnden Straßen keine leichte Aufgabe.

Im Belvedere, der offiziellen Residenz des Lieutenant-Governors von Bengalen, jenseits des zoologischen Gartens in der durch ihre Bambus-Alleen interessanten, entlegenen Vorstadt Alipur, erwartete uns um halb 9 Uhr ein Diner. Die Residenz, deren ältester Teil vor mehr als hundert Jahren erbaut worden ist, hat im Laufe der Zeiten allerlei Zubauten und Renovierungen erfahren, so dass der Stil des durch die schöne Facade angenehm wirkenden Gebäudes ein »gemischter Stil« genannt werden muss. Ein schattiger Park umfasst das Bauwerk.

Viele Würdenträger und Generale mit ihren Gemahlinnen nahmen an dem Diner teil, bei dem ich zwischen der Frau des Gouverneurs und jener des deutschen Generalconsuls, Baronin Heyking, saß. Nur ein Toast wurde gesprochen, und zwar vom Gouverneur auf Seine Majestät den Kaiser. Diese Tatsache überraschte allgemein, da es in Indien noch nicht vorgekommen sein soll, dass ein Trinkspruch auf einen fremden Herrscher ausgebracht wurde, ohne dass gleichzeitig ein Toast auf Ihre Majestät die Königin gesprochen worden wäre. Doch hatte der Vizekönig dies ausdrücklich angeordnet.

Dem Diner folgte eine Soiree, an welcher ungefähr 300 Personen teilnahmen, unter welchen einige auffallend hübsche Frauen und Mädchen zu sehen waren, deren Äußeres sie ohneweiters legitimiert hätte, ebenfalls an dem Diner teilzunehmen. Auch alle in Calcutta und Umgebung weilenden Radschas waren gekommen und wurden mir vorgestellt, wobei ich durch den Dolmetsch mit jedem einige Worte wechselte. Man konnte unter diesen indischen Fürsten merkwürdige Typen beobachten und sich nebstbei an den geradezu fabelhaften Schätzen, die sie an sich trugen, weiden. Nur wer es selbst gesehen hat, vermag sich einen Begriff von der Pracht und dem Werte der Edelsteine zu machen, welche die Radschas auf dem Turban und auf der Brust zur Schau stellten. Vor allen zeichneten sich zwei Radschas — ein Bruderpaar — durch den Glanz und den Reichthum ihres Schmuckes aus, indem der jüngere Radscha ein Collier von sieben Reihen Perlen trug, welche dank ihrer Gleichheit und Größe wohl den
Wert einer Million Gulden darstellten. Auf dem Turban und dem Brustschmuck des älteren der Brüder dagegen wechselten kolossale Smaragdtropfen mit à jour gefassten taubeneigroßen Diamanten ab. Diese Steine stammen, wie behauptet wird, aus dem französischen Kronschmuck, — auch Kaiserin Eugenie soll sie getragen haben — welcher ja vor wenigen Jahren durch die Regierung der französischen Republik versteigert worden ist. Die guten Radschas waren alle sehr freundlich und gaben mir durch den Dolmetsch die liebenswürdigsten Versicherungen. Gegen Mitternacht erst kamen wir in das Government House zurück.

Links

  • Ort: Calcutta, Indien
  • ANNO – am 02.02.1893 in Österreichs Presse. Der rumänische Kronprinz Ferdinand ist in Wien auf Visite. Die Bonapartisten hoffen in London 200.000 Pfund in einer Anleihe auftreiben zu können, mit der der Wahlkampf von Prinz Victor im skandalgeschüttelten Frankreich finanziert werden soll.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater zeigt das Lustspiel „Krieg im Frieden“, während im k.u.k. Hof-Opermtheater Richard Wagners „Lohengrin“ aufgeführt wird.

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