In See nach Vancouver, 26. August bis 4. September 1893

An den beiden ersten Tagen war das Wetter mild und angenehm, wir konnten in leichten Kleidern auf Deck verweilen; dann kamen wir aber in die Nähe der Aleuten und in die Region der Nord- und Nordostwinde, welche eiskalte Luft aus den Polargegenden führten, so dass das Thermometer mit einem Schlag bis auf 7° C. sank und der Temperatursunterschied sich empfindlich genug bemerkbar machte. Hatten wir doch noch vor wenigen Tagen 34° C. zu verzeichnen gehabt! Alle Passagiere legten Winterkleider, Pelze oder Plaids an, und die Luftheizung der Kajüten wurde in Tätigkeit gesetzt.

Das Leben an Bord nimmt einen ziemlich regelmäßigen Verlauf; um halb 8 Uhr rufen Gongschläge zum Frühstück, die Mahlzeiten werden in dem schönen, geräumigen Dining-room eingenommen, im übrigen verbringen wir jedoch den größten Teil des Tages auf dem langen Deck. Ein sehr rühriges Komitee, bestehend aus dem heiteren zweiten Kapitän und einigen Passagieren, inszeniert hier eine Reihe von Spielen, welche die Mehrzahl der Mitreisenden beschäftigen. Jene, die nicht am Spiel teilnehmen, sitzen, in Plaids gehüllt, in langen Rohrstühlen und lesen oder eilen, Bewegung zu machen, auf und nieder. Diese „Runs“ sind besonders nach den Mahlzeiten beliebt, namentlich bei den englischen und amerikanischen Damen, welche hiebei schier Unglaubliches leisten; dieselben dürften die besten Records erzielen, indem sie, Arm in Arm zu zweien oder dreien, mit sehr langen, nicht immer graziösen Schritten den Rand des Deckes unsicher machen.

An den ersten Tagen nahm mich die Ergänzung meiner Reiseerinnerungen aus der Zeit des Aufenthaltes in Japan in Anspruch, später lernte ich nach und nach auch die Mitreisenden kennen, unter welchen sich einige sehr nette Leute befanden. Meiner Kajüte gegenüber haust ein englischer Maler, welcher erfreulicherweise der französischen Sprache mächtig ist; er fährt zum dritten Mal um die Erde, während seine Frau diese „kleine Tour“ bereits zum achten Mal unternimmt. Das unruhige Leben scheint dem Künstler allerdings nicht mehr zu behagen; denn als wir ihn fragten, ob diese zahlreichen Reisen seiner Gattin nicht beschwerlich fielen, entgegnete er: „Enfin, c’est une maladie comme une autre!“ Zur Reisegesellschaft gehören auch ein Fürst Galitzin, der in Paris einen Arm auf ziemlich prosaische Weise verloren hat, ein reicher Teehändler mit zwei blonden Töchtern sowie eine Anzahl anderer Damen der verschiedensten Altersstufen.

Mit einer reizenden, kleinen Amerikanerin spiele ich täglich mehrere Partien Tennis, ohne mit ihr, die nur englisch spricht, konversieren zu können, doch unterhalten wir uns trotzdem sehr gut; Clam und eine andere Amerikanerin sind die Partner. Unser Ground ist eigentlich entsetzlich, weil viel zu schmal, nur ungefähr die Hälfte eines Normalplatzes umfassend und auf 3 m Höhe gedeckt; bei Rollbewegungen stehen wir überdies auf schwankender Basis; auch müssen wir die zwei vorhandenen Ballen stets selbst aufheben, die nach jedem Schlag auf dem ganzen Schiff umherrollen, so dass es hiebei immer eine kleine Hetzjagd und Suche gibt. Dies alles stört uns aber in dem Vergnügen nicht, auf hoher See Tennis zu spielen.

Drei andere Spiele, an denen ich mich öfters beteilige, erfordern eine gewisse Geschicklichkeit im Werfen von Scheiben und Kautschukringen nach bestimmten Nummern. Beim Cricket, welches die Engländer nicht missen können, geht es sehr lebhaft zu, so dass gleich am ersten Tag einem Herrn ein Finger gebrochen wurde und auch zwei andere der Mitspielenden verwundet den Kampfplatz verließen. Ein vom Yergnügungskomitee arrangierter Ball missglückte, da anfänglich niemand musizieren und tanzen wollte, später aber, als der Wagner-Enthusiast, obschon er dies unter seiner Würde hielt, einen Walzer zum besten gab, sich nur einige amerikanische Ehepaare zu drehen begannen, so dass der Ball rasch ein Ende erreichte. Wenn alle Damen in der Neuen Welt der Sitte huldigen, nur mit ihren Gatten zu tanzen, wie langweilig müssen die Bälle in diesem Kontinent sein!

Nebst den Spielen auf Deck wurde, insbesondere abends, auch dem Gesang gehuldigt, teils in Einzelvorträgen, teils im Chor; doch bildete dies bei dem gänzlichen Mangel guter Stimmen und bei dem Umstand, dass die Teilnehmer anscheinend aus Grundsatz falsch sangen und so die Leistung keineswegs dem an den Tag gelegten Eifer entsprach, keinen sehr erquickenden Ohrenschmaus.

Mit echt englischer Genauigkeit kamen die strengen Sonntagsvorschriften zur Anwendung; der Zahlmeister hielt den Gottesdienst ab, vor- und nachmittags sang man endlose Chorale, kein Spiel durfte unternommen werden, selbst der Wagnerianer musste das Klavier feiern lassen, und unseren Jägern, die im Bar-room ein harmloses Kartenspiel versuchten, wurde dies sofort untersagt. Am Abend des 3. Septembers kam noch eine Art Disputation zwischen zwei protestantischen Geistlichen hinzu, welcher die Passagiere mit Andacht zuhörten. Einer der beiden war Anglikaner, der andere ein norwegischer Missionär, ein eigentlich bedauernswerter, missgestalteter Mann, der während eines sechsjährigen Aufenthaltes im Innern Chinas fast alle europäischen Sprachen und Gewohnheiten verlernt hatte und an Bord zum Ziel der Witze und Sticheleien wurde. Besondere Heiterkeit erregte es, als er sich eines Tages von Hodek im Kostüm eines tibetanischen Lamas photographieren ließ.

Bis zum 1. September war das Meer stets ruhig, nur zuweilen von einer Nordostbrise leicht gekräuselt — Witterungsverhältnisse, welche zu dieser Jahreszeit eigentlich nicht zu erwarten standen. Der Horizont war morgens und abends trübe, doch heiterte sich das Wetter mitunter gegen Mittag etwas auf; in den ersten Nächten hatten wir noch herrlichen Mondschein. Die Färbung des Meeres zeigte nicht mehr das schöne Blau oder Grün, welches wir bisher gewohnt waren zu sehen, sie schien vielmehr bleigrau, ins Schwärzliche übergehend.

Eine große Zahl der verschiedenartigsten Alken, Möven und Sturmsegler umschwärmte das Schiff, ja sogar Vertreter einer kleinen Albatrosart zeigten sich; doch konnte ich diese Segler der Lüfte nicht näher bestimmen, gibt es ja selbst keinen Fachmann, der in den genannten Vogelspezies, welche ein ziemlich undurchforschtes und noch wenig bekanntes Gebiet der Ornithologie darstellen, genügend Bescheid weiß.

Am 30. August passierten wir den 180. Längengrad, und nun wurden die 24 Stunden, welche durch die Richtung der Reise gegen Osten entgangen waren, eingebracht, so dass wir an zwei aufeinanderfolgenden Tagen den 30. August zählten.

Das Schiff legte täglich 350 bis 360 Meilen zurück, bei günstigem Wind setzte man auch Segel, doch geschah dies ohne besonderen Einfluss auf die Geschwindigkeit.

Das, wie erwähnt, bis zum 1. September ruhige Wetter änderte sich dann, der Wind sprang gegen Südost um und brachte so hohen Seegang, dass selbst die riesige „Empress“ tüchtig umhergeworfen wurde, obschon das Schiff die See recht gut verträgt und angenehme Bewegungen ausführt. Gleichwohl wurden alle Passagiere mehr oder weniger seekrank, und endlich war, als das Wetter sich auch am 2. September nicht beruhigte, außer mir und meinen Herren beinahe niemand auf Deck zu sehen, wo übrigens der Aufenthalt infolge der Kälte und der Sturzseen nicht gerade zu den Annehmlichkeiten gehörte. Der nächste Tag brachte uns aber die Sonne wieder, und wir hatten abermals so schöne Fahrt wie früher.

Am 4. September, dem vorletzten in See verbrachten Tage, wurde unter den Passagieren eine Kollekte veranstaltet und der eingelaufene Betrag zu Mannschaftsspielen gespendet, welche recht animiert verliefen und den englischen Matrosen Gelegenheit boten, ihre Geschicklichkeit an den Tag zu legen. Das Programm umfasste 12 Nummern, darunter ein Hindernisrennen über Taubarrieren und Bänke sowie durch Rettungsringe, wobei die Konkurrenten im „Finish“ noch durch ein mit Mehl bestreutes Windsegel kriechen mussten und manche Heiterkeit erregende Szene mitunterlief; auch ein Flachrennen, ein Sacklaufen, ein Tauziehen und ein „Potatoe race“ wurden veranstaltet. bei dem jener auf den Preis Anspruch erheben durfte, welcher eine bestimmte Anzahl von Kartoffeln, die auf dem Deck verteilt waren, als erster in einen Kübel geworfen hatte; hieran reihten sich noch Hahnenkämpfe, ein Wettspringen u. dgl. m.

Nach dem Diner wurde ein von dem Wagnerianer verfasstes und komponiertes Festlied auf Kapitän Archibald und seine Offiziere von einem gemischten Chor in greulichen Dissonanzen vorgetragen.

Endlich kam auch der Augenblick, in dem ich mich freute, der englischen Sprache nicht mächtig zu sein, da ich durch meine Unkenntnis einem bösen Schicksal entging; denn als der Rundgesang verklungen war, erschallte es im Kreis unter Nennung des Namens eines der Herren: „Speak, speak“, so dass dem unglücklichen Auserkorenen nichts erübrigte, als sich zu erheben und eine Ansprache zu halten. Diese Zwangsmaßregel wurde so oft angewendet, bis fast alle Herren an die Reihe gekommen und das Schiff sowie die glückliche Fahrt hinlänglich gepriesen waren. Als später der allgemeine Schiffsonkel Fürst Galitzin, den Damen und Herren, die sich während der Fahrt bei den Spielen als die geschicktesten erwiesen hatten, mit freundlichem Lächeln und einigen aufmunternden Worten Broschen oder Photographien des Schiffes überreichte, wiederholte sich die für die Opfer recht unangenehme Redetortur.

Schließlich trat wieder der Gesang in seine Rechte, aber ich ergriff, da jedermann bemüht war, unbarmherzig sein ganzes Repertoire zum besten zu geben, die Flucht und erfreute mich auf Deck der Pracht des wolkenlosen, gestirnten Himmels.

Links

  • Ort: auf See im pazifischen Ozean
  • ANNO – am 26.08.1893 in Östereichs Presse. Das Wiener Salonblatt vermeldet FFs Abreise aus Japan an Bord des Dampfers „Empress“ in Richtung Nordamerika.
The Wiener Salonblatt No. 35 reports FF's departure from Yokohama towards North America.

Das Wiener Salonblatt No. 35 informiert über FFs Abreise nach Nordamerika.

  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Afrikanerin“ aufführt.

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