Mijanoschita — Tokio — Jokohama, 17. Aug. 1893

Bei strömendem Regen, der mit geringen Unterbrechungen den ganzen Tag anhielt, mussten wir Mijanoschita schon um 5 Uhr morgens verlassen, um, von unserem befrackten Kutscher desselben Weges, den wir gekommen waren, geführt, rechtzeitig in Kosu einzutreffen und so den von hier um 7 Uhr abgehenden Zug zu erreichen, der uns nach Jokohama brachte. Hier bestiegen der Gesandte Baron Biegeleben, Coudenhove, Generalkonsul Kreitner sowie unser Kommandant Becker den Zug. Vom Bahnhof aus ersah ich, über die Häuser hinwegblickend, im Hafen die „Elisabeth“, die aus der Menge aller anderen Schiffe durch die mächtigen und doch eleganten Formen hervorstach — ein Anblick, der mein Herz erfreute.

Während der Fahrt von Jokohama bis Tokio musste ich mich in Gala werfen, was innerhalb des nicht eben geräumigen Waggons mit Schwierigkeiten verbunden und des Kohlenstaubes halber nur mit Gefährdung des weißen Rockes möglich war; doch das Werk gelang innerhalb der Fahrtdauer von 40 Minuten. Ein Blick aus dem Fenster belehrte mich zu meiner nicht geringen Erheiterung, dass die Regierung in ihrer Besorgnis um meine Sicherheit so weit gegangen war, selbst das Meer polizeilich besetzen zu lassen; denn ich nahm dort, wo die Bahn hart an der Küste hinzieht, Wachleute wahr, die, auf Strecken von je einigen hundert Metern in Booten postiert, bei Vorbeifahrt des Zuges salutierten. Bei der Ankunft in Tokio gab eine 7 cm Gebirgsbatterie auf einer Wiese den Salut ab.

Auf dem Bahnhof der Schimbaschi-Station, welcher völlig abgesperrt war, so dass nur offizielle Persönlichkeiten Zutritt gefunden hatten, begrüßte mich im Auftrag des Kaisers der kaiserliche Prinz Arisugawa, — des Mikados Oheim und der Verfasser des erwähnten Sinnspruches im Offizierscasino zu Otsu — welcher schon im Bürgerkrieg des Jahres 1868 und im Satsuma- Aufstand des Jahres 1877 als Oberbefehlshaber die Truppen des Kaisers zum Sieg geführt hatte und gegenwärtig Armee-Oberkommandant ist. Auch alle Minister und Hofwürdenträger waren zum Empfang erschienen; Baronin Biegeleben, die Schwester unseres Gesandten, und Frau von Kreitner überreichten mir im Namen der österreichisch-ungarischen Kolonie duftende Blumensträuße. Nach der üblichen Vorstellung der beiderseitigen Suiten und der obersten Würdenträger bestieg ich, während eine Ehrenkompanie unter den Klängen des japanischen Generalmarsches präsentierte, mit dem Prinzen einen Hofgalawagen und fuhr, von einer Escadron Garde-Lanciers escortiert, durch ein Spalier von Truppen nach dem kaiserlichen Lustschloss O-hama-goten, welches ziemlich weit außerhalb der Stadt am Meeresstrand gelegen ist.

Der erste Eindruck, welchen Tokio während unserer Fahrt nach dem Palais machte, war kein sehr freundlicher, weil der Blick nur auf kleine, wenig reinliche Häuser, lange Kanäle, Fabriken und schmucklose Mauerfronten fiel. Unser Absteigequartier, bei welchem gleichfalls eine Ehrenkompanie aufmarschiert war, die präsentierte und das Spiel rührte, trägt eigentlich mit Unrecht den Titel eines Lustschlosses, da es sich als eine kleine Villa erweist; sie ist in europäischem Stil erbaut und stellt sich hinsichtlich der inneren Einrichtung als Versuch dar, abendländischen Komfort mit japanischem zu verschmelzen, wobei ich jedoch hervorheben muss, dass die Gegenstände indigenen Ursprunges sich durch ihre geschmackvolle Ausführung vorteilhaft auszeichnen.

Bald nachdem Prinz Arisugawa sich verabschiedet hatte, erwiderte ich dessen Besuch und ließ meine Karten bei den kaiserlichen Prinzen Komatsu Akihito, gleichfalls einem Oheim des Mikados und Kommandanten der Garde-Division, und Kan-in Kotohito, dem Adoptivbruder des Kaisers und Escadrons-Chef.

Der Weg, welchen ich behufs Abstattung dieser Besuche zurückzulegen hatte, führte mich durch das Herz Tokios, welcher Umstand mir in Verbindung mit den bedeutenden Entfernungen — ich brauchte, obschon ich keinen der Prinzen zu Hause traf, zwei Stunden — die Möglichkeit gab, einen Überblick über die Stadt zu gewinnen. Tokio oder Jedo, wie die Stadt früher hieß, ist an der Stelle erstanden, wo in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine kleine Festung, umringt von vereinzelt liegenden Ortschaften, erbaut worden war, die im Jahre 1524 in den Besitz des zu Odawara residierenden Hodscho Udschitsuna gelangt ist.

Nach Zertrümmerung der Hausmacht dieser Hodschos und Belehnung Ijejasus mit den jenem Geschlecht gehörigen acht Provinzen des Kwanto, erhob Ijejasu im Jahre 1598 Jedo zu seiner Residenz, welche rasch wuchs und gedieh, da sämtliche Fürsten des Landes verpflichtet waren, hier Paläste zu bauen und einen Teil des Jahres daselbst zu verbringen. Die Glanzzeit Jedos ist mit jener der Schogune aus dem Hause der Tokugawa enge verknüpft, deren Residenz die Stadt bis zur Abschaffung des Schogunates blieb. Einer neuen Epoche ging und geht Jedo, welches 1869 den Namen Tokio, das ist Osthauptstadt, erhalten hat, entgegen, seit der Mikado hier seinen Sitz aufgeschlagen hat.

Die Stadt erhebt sich, etwa 260 km2 bedeckend, nördlich der seichten Bucht von Jedo und westlich sowie östlich des Sumida-gawa, an dessen rechtem Ufer Tokio gegen Norden und Westen zu etwa 30 m hohen, flachen Hügeln ansteigt. Die Anzahl der Einwohner wird auf 1.628.000 angegeben, wobei allerdings auch Tokio-Fu, das ganze städtische Gebiet, also etwa Groß-Tokio, in Rücksicht gezogen ist. Von den 15 Distrikten, Ku genannt, in welche die Stadt eingeteilt ist, bilden jene den Mittelpunkt des Gemeinwesens, welche innerhalb der äußersten, mit ihren Gräben in die Jedo-Bucht und in den Sumida endenden Enceinte des O-Schiro liegen, des alten, durch Festungswerke, Ringmauern und Gräben versicherten und nach dem Bürgerkrieg in Flammen aufgegangenen Schlosses der Schogune.

Kodschimatschi, einer dieser Distrikte, ist der Sitz der Regierung des modernen Japan; denn hier befinden sich außer dem kaiserlichen Palast auch die Gebäude, in welchen die Ministerien sowie andere Behörden und Ämter untergebracht sind, und die Palais der Gesandtschaften; diese Baulichkeiten sind dort emporgewachsen, wo einst die Jaschiki genannten Behausungen der Daimios das Schloss umgaben.

Seit dem Jahre 1872 hat sich die neueuropäische Baukunst Bahn gebrochen, so dass die öffentlichen Gebäude und viele andere den Eindruck moderner Baulichkeiten einer englischen oder einer mitteleuropäischen Stadt machen; an den in Gärten gelegenen Palais und Villen sind alle erdenklichen Stile und Stilvariationen zu beobachten, und ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren, als ich die rein gotische Fassade des Palais eines der Prinzen erblickte. In unmittelbarer Nähe erheben sich gleichwohl noch Behausungen japanischen Gepräges, so dass ein baulicher Widerspruch in diesem Teil Tokios zutage tritt, der nicht schlimmer sein könnte, wenn ein original japanisches Stadtviertel etwa in der Mitte von Linz erstünde, worüber die wackeren Oberösterreicher gewiss nicht weniger erstaunt wären als der Europäer bei dem Anblick des befremdlichen Kontrastes, welchen das moderne Tokio bietet.

Dass die Stadt der fremdenfeindlichen Tokugawa-Schogune mit Jokohama schon vor 20 Jahren durch eine Eisenbahn verbunden wurde, dass sie sich einer Tramway, einer Gesellschaft für elektrische Beleuchtung, des Telephons und einer elektrischen Bahn erfreut, ja dass sie schon zwei große industrielle Ausstellungen hinter sich hat, mag als Kulturfortschritt anerkannt werden, aber in der Entnationalisierung ihrer Bauten gehen die Japaner weiter, als gebilligt werden kann. Haben sie ja doch einen so charakteristischen Baustil, der harmonisch mit der Landschaft zusammenklingt, der aufs engste mit der hochentwickelten Kunst und Industrie, mit dem Menschen selbst und seinem Leben zusammenhängt! Es scheint, dass man auch der Stadt ein anderes Kleid anziehen wollte, seit die Zwei-Schwertmänner aus ihren Straßen verschwunden sind, seit der Ruf des dem prunkvollen Aufzuge des Daimios voranschreitenden, mit dem Fächer winkenden Herolds: „Schita-ni-oru!“ (Werfet Euch nieder!) nicht mehr erschallt. Zugunsten der europäischen Bauart und der Verwendung von Stein lässt sich freilich auf die hiedurch verminderte Feuersgefahr hinweisen, unter welcher Tokio zu leiden gehabt; denn ein Teil seiner Geschichte ist in Flammen geschrieben, wiederholt wurde die Stadt eingeäschert, und ein japanisches Sprichwort sagt: „Das Feuer ist Jedos Blume“.

Glücklicherweise bekam ich diese Blume nicht zu schauen, sondern nur jene Kinder Florens, welche in den freundlichen Gärten leuchten; diese sind stilgerecht gepflegt, hier haust noch das Japan der alten Zeit — auf dem Gebiete der Horticultur sind die Japaner offenbar konservativ.

Unsere Fahrt ging des öfteren über Wassergräben der alten Schlossumwallung, worin im Winter Tausende von Wildenten hausen, die hier geschont, auf anderen Kanälen der Stadt aber mit Netzen gefangen werden.

Um die Mittagsstunde sollte die Aufwartung bei den Majestäten vor sich gehen und fuhr ich zu diesem Behuf in voller Gala, bei strömendem Regen in einem purpurroten Wagen „eskortiert, ansalutiert, angeblasen und bekomplimentiert“ nach dem kaiserlichen Palais.

Der Weg führte über einen freien Platz innerhalb der äußersten Schloss-Enceinte, wo früher wohl ebenfalls Jaschikis gestanden hatten und sich jetzt in grellem Widerspruch zu dem Schauplatz ehemaliger feudaler Herrlichkeit das Gebäude des japanischen Parlamentes erhebt. Letzteres wurde bereits im Jahre 1890 eröffnet, doch spross schon zwei Monate später aus dem Gebäude Jedos Blume, so dass es in Asche versank, um jedoch im folgenden Jahre wieder neu zu erstehen. Immerhin scheint der Parlamentarismus sich hier noch keiner ungeteilten Sympathien zu erfreuen; wenigstens verlauteten, wie mir erzählt wurde, in japanischen Kreisen anlässlich jenes Brandes Ausdrücke des Bedauerns darüber, dass während der Katastrophe keine Sitzung stattgefunden habe. Unweit des Parlamentsgebäudes wächst ein für das Marineministerium bestimmtes Palais empor, das eine im Hinblick auf die zahlreichen Erdbeben recht bedenkliche Höhe erreicht hat. Die fortifikatorischen Anlagen des alten O-Schiro passierend, gelangten wir in den Garten des kaiserlichen Palais und befanden uns, nachdem wir unter mehreren Torbogen hindurchgefahren waren, sowie eine steil berganführende, mit Kies bestreute Wegstrecke — das Palais liegt auf einem dominierenden Hügel — überwunden hatten, vor der kaiserlichen Residenz. Diese stellt sich, im Jahre 1889 an der Stätte des einstigen Schlosses der Schogune errichtet, als ein in japanischem Stil gehaltener kolossaler Holzbau dar — doch wie lange wird es dauern, bis auch dieses Stück Alt-Japan fallen und einem modernen Bauwerke Platz machen wird!

An der Treppe empfing mich der Kaiser Mutsu Hito in der Uniform eines japanischen Marschalls, welche der französischen sehr ähnelt, und geschmückt mit dem Band des Stephans-Ordens. Die den Kaiser cortegierenden Würdenträger waren teils im golddurchwirkten Staatsfrack, teils in militärischer Paradeuniform erschienen. In der Reihe der Mikados der 121., oder nach einer anderen Zählung der 123., ist der Kaiser im Jahre 1852 geboren und regiert seit 1868; eine kräftige Erscheinung, zeigt der Kaiser in seinen Zügen den Typus, welcher, wie man sagt, dem Japaner der nördlicheren Gebiete eigen ist. Die Konversation wurde, weil dem Kaiser keine europäische Sprache geläufig ist, durch Vermittlung eines Dolmetsches geführt, was den Verkehr natürlich hemmt und um so bedauerlicher ist, als der Mikado ein reges Interesse für die verschiedensten Fragen an den Tag legt.

Unter den schwierigsten Verhältnissen in jungen Jahren zur Regierung gelangt, hat der Kaiser, obschon seine Erziehung noch völlig von dem alten System beherrscht war, in Japan nicht nur Reformen eingeführt, sondern das Land auch auf eine ganz neue Grundlage gestellt. Bei diesen Umwälzungen galt es, dem Mikado, welcher bisher in der Zurückgezogenheit eines göttliche Verehrung genießenden Wesens dahingelebt hatte, während die kaiserliche Macht in den Händen des Schoguns ruhte, die ganze Fülle der Herrschaft zurückzuerobern, die Feudalherren und die Samurais ihrer Prärogative zu entkleiden, die das Volk teilenden rechtlichen Schranken zu beseitigen und mit dem Systeme der Abschließung gegenüber dem Ausland zu brechen. Das Geschick und die Entschlossenheit, womit Japan durch schwere innere Erschütterungen hindurch den ins Auge gefassten Zielen zugeführt wurde, sind aller Anerkennung würdig, und Bedeutendes gewollt zu haben, muss allein schon dem Kaiser Mutsu Hito in der Geschichte seines Landes einen hervorragenden Platz sichern. Ein abschließendes Urteil darüber, inwieweit die modernen Errungenschaften tiefe Wurzeln geschlagen haben und so in den dauernden Besitzstand des Volkes übergegangen sind, kann heute umsoweniger gefällt werden, als ja der großartige Prozess, eine nach vielen Millionen zählende Nation ihrer ererbten staatlichen und der damit innig zusammenhängenden gesellschaftlichen Einrichtungen zu entkleiden, gewiss noch lange nicht zu Ende gediehen ist und daher Rückschläge sowie die Notwendigkeit theilweiser Umgestaltungen des bisher Erreichten nicht unwahrscheinlich sind.

Aber soviel dürfte wohl jetzt schon feststehen, dass Japan endgiltig aus der Zahl der asiatischen Theokratien und Despotien ausgeschieden und in das Konzert der zivilisierten Staaten eingetreten ist. Hiedurch kann Japan bei der Verschiedenheit der Interessen, welche die europäischen Staaten in Asien verfolgen, dereinst leicht zu einem Faktor werden, mit dem in Fragen der äußeren Politik anders gerechnet werden muss als früher, ja es ist nicht ausgeschlossen, dass Japan die europäische Lage mindestens indirekt zu beeinflussen vermag. Ob dies gerade ein wünschenswerter Erfolg der auf die Erschließung Japans gerichteten Bestrebungen ist und nicht vielleicht eine Mahnung sein sollte, nicht gar so viel Kultur nach dem Osten zu tragen?

Durch lange Korridore geleitete mich der Mikado, während die Suiten in den großen Speisesaal geführt wurden, in die Audienzhalle, wo mich die Kaiserin Haru-ko, eine auffallend kleine, aber zierliche, anmutige Frauengestalt in tadelloser Pariser Toilette und umgeben von ihren gleichfalls europäisch gekleideten Hofdamen, erwartete.

Die Kaiserin, welcher der Ruf vorangeht, die ihr durch die neuen Verhältnisse auferlegten Pflichten in anerkennenswerter Weise zu erfüllen und namentlich der Erziehung des weiblichen Geschlechtes Aufmerksamkeit zuzuwenden, ist die Tochter des Itschitscho Tadaka aus dem Geschlecht der Fudschiwaras, einer Kugen-Familie von höchstem Rang. Die Kugen, den Hofadel bildend, leiten sich von Mikados ab, ja einige dieser Geschlechter, darunter die Fudschiwaras, führen ihren Stammbaum so weit zurück wie der Mikado, und dieser darf die Kogo, die ebenbürtige Frau, nur aus den fünf ersten Kugen-Familien erwählen, während den niedrigeren Kugen-Familien zwölf Nebenfrauen, Go-tenschi, entnommen werden können. Ursprünglich die einflussreichste Klasse, verloren die Kugen ihre Macht zugunsten der Feudalherren, giengen diesen aber im Rang immer voran und hatten wie die Mitglieder der kaiserlichen Familie das Recht, sich bei Reisen von Ochsen ziehen zu lassen. Die Kaiserin Haru-ko ist die Kogo des Mikados, welcher noch fünf Nebenfrauen besitzt, deren dritte, Madame Janagiwara Aiko, ihm 1879 einen Sohn, Joschihito benannt, geschenkt hat, der — die Kaiserin ist kinderlos — 1889 zum Erben des Reiches erklärt wurde.

Das Kaiserpaar und ich nahmen in der Mitte des Saales Platz und konversierten des längeren, wobei die Majestäten sich namentlich über Wien sehr genau unterrichtet zeigten. Nach einiger Zeit traten die in Tokio eben anwesenden Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses ein, welch letzteren ich bei der Vorstellung die zarten Hände küsste, was zwar noch nicht ganz in die japanische Etiquette übergegangen zu sein scheint, gleichwohl aber von den Damen gut aufgenommen wurde.

Außer dem Prinzen Arisugawa waren erschienen die Prinzen Komatsu Akihito und Kan-in Kotohito, welcher, dank der in Frankreich genossenen Erziehung und der bei einem französischen Kavallerieregiment erworbenen Ausbildung, vortrefflich französisch spricht; ferner die Prinzessinnen Tadako, Arisugawas Gemahlin; Jasuko, des letzteren Schwiegertochter; Joriko, Komatsu Akihitos, und Kan-in, Kan-in Kotohitos Gemahlin; endlich jene des Prinzen Jorihito, des Sohnes von Komatsu Akihito. Die Letztgenannte, eine außerordentlich schöne und liebreizende Dame, war von dem traurigen Schicksal betroffen worden, dass ihr Gemahl sie nach nur achttägiger Ehe verlassen hat, um eine einjährige Reise nach Chicago und Europa anzutreten. Leider konnte ich der Prinzessin mein Mitgefühl nicht ausdrücken, da sie nur der japanischen Sprache mächtig ist.

Nachdem Freund Sannomija, der heute als Zeremonienmeister fungierte, das Dejeuner angesagt hatte, reichte ich der Kaiserin den Arm, was ebenso wie das Schritthalten bei unseren so wesentlich differierenden Körpergrößen einige Schwierigkeiten bot; der Kaiser geleitete die Prinzessin Arisugawa, und so schritten wir durch die langen Gänge des Schlosses in den Speisesaal, welchen wir unter den Klängen der Volkshymne betraten. An dem Dejeuner nahmen vierzig Personen teil, darunter auch die Herren unserer Gesandtschaft und des Konsulates, Kommandant Becker mit mehreren anderen Herren vom Stab der „Elisabeth“, ferner alle Minister und die obersten Hofchargen. Ich saß neben der Kaiserin, welche eine sehr lebhafte Konversation mit mir führte, an der sich auch der Kaiser beteiligte, indem er sich insbesondere nach den Details der Reise erkundigte. Die Kaiserin scheint mit äußerst sympathischem Wesen ernstere Richtung zu verbinden und nicht die leichtblütigere, heitere Auffassung ihrer Stammesschwestern zu besitzen; dies dürfte wohl damit zusammenhängen, dass ihre Stellung, wie man sagt, zuweilen eine recht schwierige gewesen ist.

Das aus französischer Küche hervorgegangene Dejeuner war vortrefflich, die Getränke reihten sich den Werken der Kochkünstler würdig an, während die Tafelmusik noch nicht ganz auf der Höhe der Situation stand; hingegen servierten reich galonierte Diener — trippelnde Musumes in japanischer Tracht wären zweifellos interessanter gewesen — rasch und geschickt. Heimatlich fühlte ich mich dadurch berührt, dass bei dem japanischen Hofe das Zeremoniell unseres Hofes eingeführt ist. Die Tafelfreuden wurden mir übrigens einigermaßen dadurch verbittert, dass ich unter der hohen Temperatur zu leiden hatte, deren Wirkungen noch durch jene der vorzüglichen Weine und meiner dem Klima nicht angepassten Galauniform in unangenehmer Weise gesteigert wurden. Nach dem Dejeuner wurde Cercle gehalten und erfolgte die Vorstellung der Herren meiner Suite sowie der japanischen Würdenträger.

Von dem Prinzen Komatsu Akihito und von Sannomija geleitet, besichtigte ich sodann das Palais, welches ebenfalls europäische mit japanischer Einrichtung verbindet und ungemein reich, aber doch auch geschmackvoll ausgestattet ist. Die Wände der Korridore und Gemächer sind bedeckt mit Tapeten aus Seide und Goldbrokat, zumeist wahren Meisterwerken der Kunstwebereien in Kioto, während die Plafonds in kleine, durch Malerei und Vergoldung geschmückte Vierecke eingeteilt und die spiegelglatten Parketten mit Prachtteppichen europäischen Ursprunges belegt sind. Das Meublement in dem Audienzsaal, in dem Speisesaal und in den Vorräumen ist fast durchwegs europäisch, die Dekorationsgegenstände hingegen sind Produkte der japanischen Kunst und Industrie. In allen Räumen des Palastes ist elektrische Beleuchtung eingeführt worden, die jedoch, seit das Parlamentsgebäude infolge eines Schadens an einer gleichen Anlage ein Raub der Flammen geworden ist, nicht mehr in Funktion gesetzt werden darf, so dass gegenwärtig nur Kerzenbeleuchtung im Gebrauch steht, zu welchem Zweck an den Wänden kolossale, prächtig gearbeitete und reich vergoldete Bronzekandelaber angeordnet sind.

In unserem Palais, woselbst alle Prinzen vorgesprochen und viele Würdenträger ihre Karten abgegeben hatten, empfing ich noch den Besuch Seiner Majestät und kehrte hierauf nach Jokohama zurück, wo ich abends eintraf und mich sofort auf der ziemlich weit vom Land verankerten „Elisabeth“ wieder einschiffte. Lange saß ich mit den Herren des Stabes auf dem Eisendeck beisammen, über die Erlebnisse der letzten Zeit plaudernd und die empfangenen Eindrücke austauschend.

Links

  • Ort: Yokohama, Japan
  • ANNO – am 17.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Don Juan“ aufführt.

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