Von Gwalior nach Calcutta, 31. Jänner 1893

Auf dem Weg von Gwalior nach Calcutta durchzogen wir die englischen Nordwestprovinzen, weiterhin die Präsidentschaft Bengalen, deren Hauptstadt Calcutta an den Mündungen des Ganges, des Hauptstromes Vorderindiens, liegt, und gelangten schließlich, da die Entfernung zwischen Calcutta und der See noch 160 km beträgt, in den Küstenbereich des bengalischen Meerbusens. Vom Plateau von Malwa senkten wir uns in die Ebenen der Dschamna und des Ganges, welch beide Ströme sich bei Allahabad vereinigen. Abgesehen von diesen Überblicken über die Bodengestaltung und die administrative Einteilung des nordöstlichen Teiles Vorderindiens, fanden wir auf dieser Route Gelegenheit, flüchtige Eindrücke von dem Reichtum der Bodenproduktion des Gebietes, das wir durchquerten, aufzunehmen.

Dasselbe gehört, wie fast ganz Vorderindien bis zum Himalaya und zum Pendschab hin, dem Florenreich der indischen Savannen an. Im nordwestlichen Teil desselben bilden die Bohne, die strahlfrüchtige und die kleine Mungobohne, im Südosten, das heißt in der Gegend des Ganges-Deltas mit seinen größeren Niederschlägen, der Pisang, das Zuckerrohr, Reis und Baumwolle die wichtigsten Charakterpflanzen der Kulturzone. Der Anbau des Weizens ist besonders in den oberen Becken des Ganges und der Dschamna ein intensiver. Dieser Zweig des landwirtschaftlichen Betriebes Vorderindiens erregte mein Interesse um so mehr, als ja heute der indische Weizen auf dem Londoner Weltmarkt in Konkurrenz mit dem europäischen und amerikanischen Weizen tritt. Die Zahl der Eingeborenen Indiens, die sich von Weizenmehl nähren — dies ist hauptsächlich in den Nordwestprovinzen der Fall — lässt im Vergleich einerseits zu den Reis- und Maisessern in Bengalen und in den Küstenstrichen, andererseits zu den indischen Konsumenten von Gerste und Hirse eine Reihe von Betrachtungen über den Sinn des Spruches zu: »Der Mensch ist, was er isst.«

Auch der Obstbau, der Halbbruder des Feldbaues, nimmt im Land jener, die aus religiöser Überzeugung Vegetarier sind, eine hervorragende Stelle ein. Ich beobachtete während der Fahrt durch Bengalen, das am stärksten bevölkerte Gebiet Indiens, den Hauptsitz des Ackerbaues und der indischen Reiskultur, die zunehmende Zahl der Bäume, die vielen Mangobaum-Wäldchen mit besonderem Vergnügen; mit ernsteren Empfindungen aber die zahlreichen Mohnkulturen, deren Leib und Seele vergiftendes Erzeugnis, das Opium, ebenso unheilvoll als erträgnisreich ist, und —- wie der »Opiumkrieg« zwischen England und China beweist — selbst eine politische Rolle zu spielen vermag.

Die Hauptpunkte der Route Gwalior — Calcutta, welche wir über Dschansi nach Kahnpur (Cawnpur) mit der Indian Midland und von Kahnpur nach Calcutta mit der East Indian Railway zurücklegten, sind Kahnpur, ein auch militärisch wichtiger Handelsplatz, Allahabad, Mirsapur und Patna. Allahabad, die »Gottesstadt«, am Zusammenfluss der Dschamna und des Ganges gelegen, ist eine strategisch und kommerziell höchst wichtige, für den Reisenden jedoch nur wenig anziehende Stadt. Das unscheinbare Eingeborenen-Viertel, die modernen englischen Stadtteile und die Regierungsgebäude dieses Sitzes der Verwaltung der Nordwestprovinzen bilden Sehenswürdigkeiten Allahabads. Besonderes Interesse bietet die Stadt zur Zeit der Jahreswende, zu welcher die Handelsmesse und die Heiligtümer dieses Wallfahrtsortes Hunderttausende von Kaufleuten und Pilgern an den Ufern des Ganges versammeln. Die Bahn überschreitet auf einer großen Brücke die Dschamna und gewährt an dieser Stelle Aussicht auf das alte, in der Gabel der beiden Ströme, Dschamna und Ganges, gelegene Fort.

Mirsapur und Patna sind beide alte Mogulnstädte. Ersteres ist durch große Teppichindustrie, letzteres als Zentrum des Mohnbaues des nördlichen Distriktes bekannt. Besonders stark ist der Mohnbau Indiens in den Gangesniederungen entwickelt. Die Erzeugung und der Vertrieb von Opium bilden in Indien ein Monopol der britischen Krone, weshalb jeder der genauer Aufsicht unterliegenden Mohnpflanzer das gesamte gewonnene Opium der Regierung nach Maßgabe des Lizenzscheines zu bestimmten Preisen abzuliefern hat, ein Verhältnis, das an die Einrichtung unseres Tabakmonopols erinnert. Der Händler aber darf gegen Erlag sehr hoher Abgaben und bei Erfüllung der — namentlich in den abhängigen Staaten überaus strengen — Kontrolmaßregeln das Opium nur in den Regierungsdepots erwerben. Infolge dieser Bestimmungen, sowie der Beschränkung der Mohncultur auf gewisse Teile des Landes kann der Anbau von Mohn zur Opiumgewinnung nur langsam zunehmen und die Regierung eine derartige Steigerung der Verkaufspreise des fertigen Produktes erzielen, dass sie von den etwa 250.000 ha umfassenden Mohnkulturen im Jahre 1891 einen Reingewinn von 65,791.170 fl. ö. W. gezogen hat; eine bedeutende Summe, aber allerdings aus einer recht odiosen Quelle gewonnen. Übrigens nimmt der Ertrag des Opium-Monopols alljährlich in dem Maße ab, als sich die Mohnkultur in China ausbreitet.

Links

  • Ort: Patna, Indien
  • ANNO – am 31.01.1893 in Österreichs Presse. Der 30. Januar war der vierte Jahrestag von Kronprinz Rudolf. Seine Witwe hat allein in schwarz seine Gruft besucht.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater gibt das Lustspiel „Ein Erfolg“, während im k.u.k. Hof-Operntheater die Kombination „Cavalleria Rusticana“ und „Rouge et Noir“ wiederholt wird.

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