Dobo, 25. Juni 1893

In der Nacht wurde der Südteil der Aru-Inseln umschifft und dann auf die Insel Wammar gesteuert. Morgens verhüllten heftige Regenböen den Ausblick, die so stark waren, dass die Fahrgeschwindigkeit vermindert werden musste. Endlich ließ das Unwetter nach und kamen einzelne ganz flache Inseln der Aru-Gruppe in Sicht, zunächst Trangan, hierauf Maikoor und Kobroor, dann Wokam sowie das kleine Eiland Wammar, an dessen Nordwestküste die Handelsstation Dobo liegt, die unser nächstes Ziel war.

Der Aru- oder westliche Papua-Archipel, zu der niederländischen Residentschaft Amboina gehörig, begreift 22 größere und 73 kleinere, zum Teil unbewohnte, ja selbst unbenannte Inseln, welche sich um das Hauptland von Aru, von den Eingeborenen Tanah Besar genannt,
gruppieren. Dieses besteht aus einer Reihe von durch schmale Meeresarme getrennten Inseln, deren größte in der Richtung von Nord nach Süd die schon genannten Wokam, Kobroor, Maikoor und Trangan sind. Der Gesamtflächeninhalt der Gruppe wird mit 8613 km2 angegeben; die Inseln werden in Vorwall- und Hinterwall-Eilande unterschieden, je nachdem sie mehr gegen Westen oder gegen Osten gekehrt sind. In den Zeiten der Holländisch-Ostindischen Compagnie wurde mit Voorwal die den großen Handelswegen zugewandte, mit Achterwal die von diesen abgewandte Seite der Inseln bezeichnet.

Die Gesamtzahl der Bewohner der Aru-Inseln wird auf etwa 25.000 geschätzt; weitaus die meisten derselben sind Heiden, zum Teile mit stark entwickeltem Fetischdienst. Der Rasse nach erscheinen die Arunesen, wenn auch mit fremden Elementen durchsetzt, vorwiegend als ein Gemisch papuanischer und malayischer Elemente.

Der Boden der Inseln besteht hauptsächlich aus korallischen Gebilden; hie und da felsig, mit Sandschichten bedeckt oder sumpfig, zumeist aber, besonders an den Ufergebieten, aus Korallen zusammengesetzt, zeigen die Eilande fast durchwegs eine wellenförmige, nur ab und zu von kleinen Erhebungen unterbrochene Oberfläche. Urwald und humose Strecken wechseln miteinander ab. In reichster Fülle kommen allerorten Palmen vor, neben der Kokos-, der Sago-, der Nipapalme finden sich hier Vertreter seltenster Arten; prachtvoll entwickelt sind die Baumfarne, zahlreich die Kanarien, und an manchen Gestaden umschließen seltsamerweise Kasuarinen den Hochwald. Feldbau ist im allgemeinen wenig verbreitet, da nur gepflanzt wird, was hier neben den Früchten des Waldes zur vegetabilischen Nahrung dient: Mais, Pisang, Bataten, Yamswurzeln und, wo der Boden dies begünstigt, Zuckerrohr. Den hervorragendsten Betriebszweig bilden Fischerei und Jagd, welche den Arunesen auch die wichtigsten Tauschartikel liefern. Erstere bietet Fische, Trepang, Perlen und Perlmuscheln, Schildpatt, letztere essbare Nester der Salangane, einer Gattung von Mauerschwalben, Salanganen, Kasuare, Paradiesvögel, Papageien und zahlreiche Vögel anderer Arten, Tüpfelcuscus (Cuscus maculatus), Beuteldachse (Perameles doreyana), Wildschweine, Wallabies u. s. w.

Der Einfahrtskanal in den Hafen von Dobo bietet großen Schiffen nur eine schmale Passage, und die Tiefe des Fahrwassers wechselt hier so rasch, dass zum Beispiele bei mehreren, unmittelbar aufeinanderfolgenden Lotungen steuerbord 6 Faden und backbord 22 Faden gemeldet wurden.

Einen im Hafen liegenden kleinen Dampfer hielten wir anfangs für das Regierungsfahrzeug, welches der Resident von Amboina dem Programm gemäß hieher zu dirigieren hatte, erfuhren jedoch bald, dass dies ein Merkantilschiff und auf einer Rundfahrt zu den verschiedenen Häfen der Residentschaft Amboina begriffen sei. Außer diesem Handelsdampfer waren im Hafen von Dobo von größeren Fahrzeugen nur zwei Perlfischer-Schooner, deren einer die englische Flagge trug, sichtbar; dagegen wimmelte es hier von Praus, welche in diesen Gewässern der Küstenschiffahrt dienen.

Das Dorf Dobo — mehrere Reihen dicht nebeneinander befindlicher Gebäude — liegt auf einer schmalen, mit Sand bedeckten Landzunge, an deren Südende, bereits auf dem Gestade der eigentlichen Insel, üppiger Hochwald sichtbar ist.

Die Gebäude, große, nach Art von Schoppen errichtete, mit steilen Dächern versehene Hütten, sind im vorderen Trakt zu Wohnungen bestimmt, während die rückwärtigen Räume als Vorratskammern und Warenmagazine benützt werden.

Der Handelsverkehr ist in den Monaten Jänner bis August ein namhafter, weil zu dieser Zeit Fahrzeuge aller Art, von großen Praus an bis zu kleinen Booten aus Macassar, von Ceram, Goram, den BandaInseln u. s. w. hieher zu kommen pflegen; dann entwickelt sich ein lebhafter Tauschhandel mit den Eingeborenen.

Der Charakter Dobos als eines Handelsplatzes gelangt auch in dem Typus der etwa 500 Köpfe starken Bevölkerung — einem Gemisch papuanischer, malayischer, javanischer, selbst chinesischer Elemente — zum Ausdruck, und dürfte unter den ständigen Einwohnern kaum ein einziger Arunese reinen Blutes zu finden sein; denn die eigentlichen Arunesen, die Urbewohner dieses Archipels, leben, wie auf anderen Inseln dieser Gruppe, so auch auf Wammar, zumeist verborgen im Innern, in kleinen Dörfern, welche sie nur verlassen, um in Dobo Tauschhandel zu bewerkstelligen.

Die Eingeborenen sind dem Reiz berauschender Getränke, namentlich des 50 Prozent Alkohol und darüber enthaltenden und daher seiner Stärke halber besonders beliebten Arraks, so sehr ergeben, dass sie ohne Bedenken oft ihre ganze Ware, die Beute vieler mühevoller Wochen, für ein Paar Fässchen dieses Gifttrankes an die Händler geradezu verschleudern. Unter allen Breitegraden haben Feuerwaffen weniger zur dauernden Unterwerfung der Eingeborenen beigetragen als Feuerwasser!

Da nun Dobo an und für sich nichts Bemerkenswertes bietet und lediglich von Händlern niederster Kategorie und übelsten Rufes besiedelt ist — der Genius des Handels ist hier ein gar unsauberer Geselle — so verzichtete ich darauf, diese Factorei weiter in den Kreis meiner Beobachtungen zu ziehen, und wollte die kurze Frist, welche mir in diesen Gewässern gegönnt war, zu Expeditionen nach anderen Teilen der Inselwelt von Aru benützen. Mehrere Herren aber und auch die nach frischen Lebensmitteln fahndenden Schiffsköche ließen sich nach Dobo überführen, wo letztere über die fabelhaften Preise in Entsetzen gerieten. Hatte man doch zum Beispiele für ein Schwein 60 fl., für 5 Eier 1 fl. verlangt! Auch hatten die Herren nicht einmal ethnographische Ausbeute zu machen vermocht, weil die ihnen von Händlern angebotenen Gegenstände zumeist europäischer Provenienz und insgesamt unverschämt teuer waren.
Möglicherweise wurden übrigens die exorbitanten Preise nur uns zu Ehren verlangt; denn offiziell hatte Dobo, als Teil der Residentschaft Amboina und seiner Stellung als Handelsstation eingedenk, von unserer Ankunft dadurch Akt genommen, dass es mit Einmütigkeit geflaggt hatte und alle Hütten, ja selbst die zahlreichen, am Strand vertäuten Praus mit Wimpeln in den Farben der niederländischen Tricolore geschmückt waren.

In einer kleinen Jolle kam der Posthalter von Dobo angefahren, ein Würdenträger, dessen Stellung in den niederländischen Residentschaften des Malayischen Archipels ungefähr jener eines unserer Bezirkshauptmänner entspricht.

Die Häuptlinge der einzelnen in diesem Archipel hausenden Stämme sind von der Regierung anerkannt, unterstehen jedoch deren Organen. Besagter Posthalter, ein komischer, dicker Malaye, der einzige im Dorf, der ein paar Worte einer europäischen Sprache, der englischen, zu reden wusste, berichtete, der Resident von Amboina sei, nachdem er vom 12. bis zum 25. Juni das Einlaufen der „Elisabeth“ in Dobo abgewartet habe, endlich tagszuvor abgereist.

Ich bedauerte lebhaft, dass der Resident unserer Ankunft hier so lange Zeit vergeblich geharrt hatte; doch war er offenbar das Opfer eines Missverständnisses geworden. Wenn es auch bei einer so langen Seefahrt, wie bei der unseren, schwer möglich war, den Tag der Ankunft im vorhinein genau zu präzisieren, so konnte andererseits der Umstand, dass der Resident uns schon vor 14 Tagen erwartet hatte, nur einem Irrtum entsprungen sein.

Die Mangelhaftigkeit, mit welcher sich der gute Posthalter in englischer Sprache ausdrückte, erschwerte und verzögerte die Entwerfung eines Programmes für die Zeit unserer Anwesenheit, so dass erst nach Verlauf einer vollen Stunde alles vereinbart war, worauf er sich sofort nach dem Dorf begab, um die für unsere Expedition notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Gegen Mittag erschien er wieder an Bord, diesmal mit einem neckischen Jagdkostüm angetan und mit zwei überlangen Gewehren mittelalterlicher Konstruktion bewaffnet, um mir auf meinem Ausflug nach der Insel Wokam als Führer zu dienen.

Die Dampfbarkasse brachte uns rasch an die Westküste der Insel, wo das flache, mit Korallen durchsetzte Ufer unserer Ausschiffung einige Schwierigkeit bereitete, umsomehr, als eben ein heftiger Regen niederströmte, der uns auch zwang, in der Hütte eines am Ufer angesiedelten Mischlings-Malayen eine kurze Weile hindurch Unterstand zu nehmen. Hierauf ging in gewohnter Art jeder von uns in Begleitung eines Führers nach einer anderen Richtung aus.

Der Urwald, der mich schon nach wenigen Schritten aufnahm, erinnerte mich durch die Pracht und Üppigkeit der Vegetation lebhaft an die Wälder der Salomon-Inseln und Neu-Guineas, jedoch mit dem Unterschiede, dass der Boden ungemein sumpfig war und sich an manchen Stellen breite morastige Wasseradern quer durch den Wald zogen, deren schwarzes, tiefes Moor die Luft ringsum mit Miasmen erfüllte. Die Farbe des stagnierenden Wassers war dunkles Schwarzblau, und bei jedem Schritt, den wir in dem Moraste taten, wühlten wir eine Menge in Zersetzung begriffener organischer Substanzen auf, welche abscheuliche Gerüche verbreiteten.

Anfangs versuchte ich, diese Moore auf umgestürzten Stämmen zu überschreiten, welche querüber lagen; doch versagte späterhin selbst dieses Auskunftsmittel, so dass ich mich, wollte ich vorwärts kommen, wohl oder übel entschließen musste, das Moor zu durchwaten, wobei es mir stets nur mit großer Anstrengung gelang, den Fuß, den ich in die zähe Masse gesetzt hatte, wieder hervorzuziehen. Dazu kam noch, dass das von Bäumen erfüllte Terrain mit allerlei üppigen Gewächsen überwuchert war und etwa jede halbe Stunde ein neuer heftiger Regenguss niederging.

Unmittelbar nach jedem dieser Güsse lugte die Sonne durch die Wolken und wurden auch, sobald sich jene zeigte, sofort wieder die verschiedenen Vogelstimmen hörbar, die während des Regens verstummt waren. Unter diesen Lauten waren insbesondere vernehmbar jene des weißen Kakadus (Cacatua triton) und des schwarzen Ara-Kakadus, ferner die Rufe von Tauben, einzelner Papageien, eines Buschhuhns sowie von Fischern und Mainas verschiedener Arten. Die enorme Höhe der Bäume erschwerte, wie in Neu-Guinea, so auch hier meine Bemühungen, die Vögel, welche da riefen, zu entdecken.

Ich bemühte mich vor allem, einen der schwarzen Kakadus, welche sich durch ihr schönes, mit Weiß gleichsam überpudertes Gefieder, hellrot gefärbte Backen und den prächtigen, aufrecht stehenden Schopf auszeichnen, zu erlegen; doch blieb das Streben vergeblich, obschon ich stundenlang durch die Moore watete. Zwar sah ich einige Exemplare dieser Art, schoss auch eines derselben an, konnte aber selbst dieses nicht erbeuten. Dafür erlegte ich zwei aufgebaumte Buschhühner (Talegallus fuscirostris), mehrere Fischer einer mir neuen Art (Sauromarptis gaudichaudi) und drei große Tauben.

Auf einem dürren Ficus-Baum fand ich den unbesetzten, aber allem Anscheine nach frisch gebauten Horst eines großen Raubvogels. Clam hatte, wie er mir späterhin versicherte, in der Nähe dieses Horstes einen Fischadler gesehen, der an der Küste auf Fische stieß.

Die Angaben, welche Wallace in seinem Werke „Der Malayische Archipel“ über die Fülle, Pracht und Mannigfaltigkeit der Schmetterlinge auf den Aru-Inseln gemacht hat, fand ich bestätigt; denn ungeachtet der häufigen Regengüsse flatterten während meiner Wanderung durch den Urwald überall die prachtvollsten, durch Größe ausgezeichneten Schmetterlinge der mannigfachsten Arten umher. So sah ich unter anderen einen gleich einem Vogel von Ast zu Ast streichenden Schmetterling, wahrscheinlich Ornithoptera aruana, dessen Flügel eine Spannweite von beiläufig 20 cm hatten!

Eine andere Eigentümlichkeit der Aru-Inseln bildet das Vorkommen von Seetieren, insbesondere Muscheln und Schnecken, in größerer Entfernung von der Küste. Ein Teil der Schnecken dürfte von Einsiedlerkrebsen in das Innere vertragen, die übrigen Wesen und Gebilde aber von der Hochflut hieher verschlagen werden; denn das Innere der Inseln liegt an vielen Stellen tief unter dem Niveau des Meeresspiegels, was auch den sumpfigen Charakter der Wälder erklärlich macht.

Unter der schwarzen Humusdecke sind ausschließlich Muscheln und Korallen ganz neuer Bildung zu finden, und dank der schützenden Decke sind manche Formen noch ganz unversehrt und unverwittert erhalten geblieben.

Mein Führer, ein Mischlings-Malaye, erwies sich als fauler Schlingel, für den es nur ein Losungswort gab: immer zurück! Auch dünkte dem Wackeren das Waten in dem moorigen Terrain so wenig behaglich, dass ich ihn nur unter Anwendung aller erdenklichen Mittel weiterbrachte. Dieser Insulaner schien einen Beitrag zur Ansicht jener liefern zu wollen, welche den Mischlingen alle guten Eigenschaften absprechen und meinen, dass die Vermischung von Individuen zweier oder mehrerer verschiedener Rassen lediglich eine Vererbung der üblen physischen und psychischen Eigenschaften jeder der Rassen, welche in dem betreffenden Mischlinge vereinigt sind, begründe.

Bei Sonnenuntergang traf ich an der Küste wieder mit meinen Herren zusammen, deren einige glücklicher gewesen waren als ich — Beweis dafür, dass sie einen schwarzen Kakadu, zahlreiche Papageien und einen schönen, lichtbraunen Reiher erbeutet hatten.

Da inzwischen Ebbe eingetreten war, mussten wir, um zu der Barkasse zu gelangen, über eine ziemlich lange Strecke hin durch Schlamm und Wasser waten.

Links

  • Ort: Dobo, Aru Inseln
  • ANNO – am 25.06.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Das verlorene Paradies“, während das k.u.k. Hof-Operntheater vom 1. Juni bis 19. Juli geschlossen bleibt.

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