Sydney, 27. Mai 1893

Ganz Sydney sprach heute nur vom Ball der „Austrians“. In den Straßen wurden Photographien der „Elisabeth“ verkauft; die Zeitungen brachten spaltenlange Berichte über unser Fest, und unsere Kabinen waren von Blumen überflutet, die Damen an Bord gesandt hatten. Ja einige Damen sollen sogar beabsichtigt haben, sich — geführt von einer besonders schönen Sprecherin — als Deputation an Bord einzufinden, um eine Verlängerung des Aufenthaltes der „Elisabeth“ zu erwirken. Leider hätte diese schmeichelhafte Bitte angesichts der Strenge des Reiseprogramms, von welchem wir in Sydney durch Erstreckung der diesem Hafen ursprünglich gewidmeten Frist ohnehin schon abgewichen waren, erfolglos bleiben müssen. Ich glaube, dass sich auf dem Schiff niemand befand, der nicht eine Ausdehnung des Besuches im herrlichen Neu-Süd-Wales und namentlich in dem heiteren Sydney mit Freude begrüßt hätte, und allgemein wurde scherzhaft die Hoffnung geäußert, dass eine kleine Havarie der Maschine erzwingen werde, was das offizielle Programm nicht gestatten wollte. Mehrere Damen standen — wenn Fama Recht hat — im Verdacht, dass sie versucht hätten, unseren Ingenieur zur Herbeiführung einer solchen Havarie zu verleiten.

Ich benützte den heutigen, eigentlich letzten Tag des Aufenthaltes in Sydney zu einigen Besuchen sowie zu verschiedenen Einkäufen. Auch begab ich mich nochmals in das Museum, um die in der Tat höchst interessante Sammlung ethnographischer Objekte aus den von Eingeborenen bewohnten Gebieten Australiens und von den Südsee-Inseln genau zu besehen. Außer zahlreichen Waffen, die lediglich aus Holz und geschliffenen Steinen hergestellt sind, da in jenen Gegenden zum Teil Eisen noch unbekannt ist, fand ich hier ebenso originelle, als greuliche Tanz- und Kriegsmasken. Viele derselben waren aus menschlichen Skalpen hergestellt, wie denn in manchen Gebieten überhaupt Bestandteile der erschlagenen Feinde bei Erzeugung der verschiedenartigsten Gegenstände, so Schmucksachen, Trinkgeschirre, Waffen u. dgl. m., mit Vorliebe Verwendung finden. Kriegsschmuck, Produkte einer sehr primitiven Hausindustrie und eine ganze Sammlung von Kanus mit geschnitzten und bemalten Rudern geben hier ein treues Bild von der Kulturstufe ihrer Erzeuger. Auch durchstöberte ich die Vogelsammlung, um mehrere Arten, von welchen ich einzelne Vertreter während der Jagdexpeditionen im Land erlegt hatte, genauer zu bestimmen.

Bei einem Privatsammler gelang es mir, einen großen Teil seiner ethnographischen Objekte, die ausschließlich von den auf der niedersten Kulturstufe stehenden, im Aussterben begriffenen Urbewohnern Australiens, den „Aborigines“, herrührten, zu erwerben. 1891 zählte man in Neu-Süd-Wales im ganzen 8280 „Aborigines“, — 4559 männlichen, 3721 weiblichen Geschlechtes — welche unter dem Schutz eines besonderen Vereines, der „Aborigines Protection Society“, stehen, der sich die Aufgabe gestellt hat, nach Möglichkeit für die Zivilisierung der ehemaligen Herren des Landes zu sorgen und so manche an denselben begangene Greuel zu sühnen.

Im Lauf des Diners, das wir abermals in dem ausgezeichneten Australian Hotel einnahmen, ereignete sich eine heitere Szene, welche von der Naivität, aber doch auch von der Zutraulichkeit, ich möchte sagen Gemütlichkeit, die hier herrscht, Zeugnis gibt und deshalb vielleicht verdient, in der Erinnerung festgehalten zu werden. Während ich mit Clam und Sanchez an einem Tisch saß, näherten sich ersterem zwei gut gekleidete Herren, stellten sich als die Chefs einer Sydneyer Firma vor und frugen, auf mich deutend, ob ich der Prinz sei. Auf die bejahende Antwort baten sie, mir die Hand drücken zu dürfen, und ersuchten, als Clam ihnen bedeutete, dass dies nicht wohl angehe, ich möge wenigstens ein Glas auf ihr Wohl leeren — eine Zumutung, der ich ob ihrer unterhaltenden Originalität gerne entsprach, worauf die Herren beruhigt von dannen zogen.

Den Abend verbrachten wir in einem Zirkus, der zwei Tage zuvor in Sydney eingetroffen war. Er bot, bis auf das letzte Plätzchen dicht gefüllt, Leistungen, welchen Anerkennung nicht versagt werden konnte, obwohl selbstverständlich auf dem Gebiete dieser viel gepflegten Kunst Neues nicht erwartet werden durfte. Besondere Erwähnung sei eines in jüngster Zeit im Innern des Landes eingefangenen Aborigine-Knaben getan, der sich mit seinem Schicksal offenbar schon ausgesöhnt hatte und Proben erstaunlicher Geschicklichkeit bot. Hingegen ließen der Zustand und die Klasse der Pferde einiges zu wünschen übrig. In einer Pause kam der Direktor zu mir, um mich einzuladen, die Stallungen anzusehen, in denen er mir vor allem mit Stolz zwei Pferde vorwies, die mit besonderer Hochachtung betrachtet werden mussten; denn die Tiere hatten früher den vom Direktor hoch angeschlagenen Vorzug genossen, von Sarah Bernhardt geritten worden zu sein. Es schien, als erblicke der Herr des Zirkus in diesem Umstand eine besondere Eignung der Pferde für ihren nunmehrigen Beruf. Jene Künstlerin ist zweifellos mit der Tragödie viel vertrauter als mit der Hippologie; ihre ehemaligen Renner waren nämlich recht garstig und reich an Fehlern.

In seinem Zelt stellte mir der Direktor — was sich nicht wenig drollig ausnahm — der Reihe nach alle männlichen und weiblichen Artisten vor, deren bunte, mit allerlei Flitter geschmückte und nicht mehr in erster Frische prangende Kostüme seltsam genug mit dem wahrhaft künstlerischen Selbstbewusstsein kontrastierten, das sich in den Mienen und der Haltung all dieser Meister und Meisterinnen ihres Faches ausdrückte. Unter den Damen zeichnete sich das Schlangenmädchen durch ihre hübschen Gesichtszüge besonders aus. Eine durch den ganzen Zirkus flott gerittene Steeplechase, in deren Verlauf einige gute Sprünge produziert wurden, beschloss die Vorstellung.

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  • Ort: Sydney, Australien
  • ANNO – am 27.05.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater spielt „Faust“, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet “Die goldene Märchenwelt“ darbietet.

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