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Vancouver — Banff, 8. Sept. 1893

Da der Zug, welcher uns auf der Kanadischen Pazifik-Bahn durch die Rocky Mountains führen sollte, erst gegen 11 Uhr vormittags abging, begab ich mich noch rasch zu zwei Fellhändlern, die auch ausgestopfte Tiere feilhielten; es geschah dies weniger in der Absicht, Erwerbungen zu machen, als um die Fauna Nordkanadas, wenn auch nur flüchtig, kennen zu lernen. Wir sahen hier mächtige Seelöwen von der Insel Vancouver, Wapiti-Geweihe und Häupter, Büffelhörner, Mule-Hirsche, deren Haupt mit den hängenden Lauschern jenem eines Maultieres ähneln soll, Black -tails oder Schwarzschwanzhirsche, — die beiden letztgenannten Arten ausgezeichnet durch kurze, sehr starke und geperlte Geweihe, deren zahlreiche Enden nach oben und nach vorne gestellt sind — Bergschafe und weiße Bergziegen; an Flugwild waren verschiedene Polartaucher und nordische Eisenten, Gänse und die weißköpfigen Seeadler vertreten.

Der eine der beiden Händler, ein Deutscher namens Zimmer, ist ein Original; er nennt sich Indianer-Doktor und führt in seinen Annoncen den Titel Professor. Dessen ärztliche Tätigkeit beschränkt sich allerdings darauf, dass er den Indianern die unglaublichsten Arzneien und Mixturen gegen Felle in Tausch gibt; diese sind zumeist nicht gegerbt und in einem recht mangelhaften Zustand. Der Verkaufsladen bietet den Anblick ärgster Unordnung; die Felle liegen eingeölt umher, dazwischen finden sich Arzneien und heilkräftige Kräuter; ein Stich, Kaiser Wilhelm in Lebensgröße darstellend, prangt über einem Haufen von Mammutknochen und Wapiti-Stangen; einige dickleibige Spinnen und Skorpione in Spiritus gruppieren sich um eine preußische Pickelhaube; verschiedene Köter und Kaninchen tummeln sich in allen Räumen. Schließlich ließ ich mich doch zu Käufen verleiten und wurde mit dem alten Mann, der auch schöne Felle von Grizzly-Bären, Seeottern und Bergziegen besaß, handelseins, worauf er zum Schluss noch eine gebleichte Wapiti-Stange ergriff und zu uns gewendet sagte: „Wer die Durchlaucht ist, dem mache ich dies zum Präsent“.

Mit dem nur einmal des Tages verkehrenden Personenzug der Canadian Pacific Railway verließen wir Vancouver, um eine der interessantesten Bahnstrecken der Erde kennen zu lernen. Die genannte Bahn führt quer durch ganz Kanada von Vancouver bis Montreal und bildet die rascheste Verbindung zwischen dem Pazifischen und dem Atlantischen Ozean, zunächst die schönsten Teile Nordamerikas, nämlich die berühmten Rocky Mountains, die amerikanische Schweiz durchziehend, ehe sie in die schier unermesslichen Prairien hinabsteigt; dann führt sie nördlich der großen Seen hin und erreicht schließlich ihr östlichstes Endziel Montreal; die Länge dieser Bahn samt den Nebenlinien beträgt 4677 km.

Die Regierung überließ der Gesellschaft 1140 km fertiger Eisenbahnlinien im Werte von 33 Millionen Dollars unentgeltlich und übergab ihr behufs Ausbaues dieser ungeheueren Strecken 25 Millionen Dollars bar, sowie 10.116 km2 Ländereien, welche für immer von allen Steuern und Abgaben befreit sind; im Jahre 1884 wurden der Gesellschaft neuerdings 22,5 Millionen Dollars bewilligt. Die Gesamtkosten der Canadian Pacific-Bahn betrugen 250 Millionen Dollars. 1884 wurde von Osten her der Gipfel des Felsengebirges im. Kicking Horse-Pass erreicht und im darauffolgenden Jahre die Verbindung mit der von Vancouver aus gebauten Strecke bewirkt.
Welch enorme Schwierigkeiten haben sich diesem kühnen Unternehmen entgegengestellt! Die hohen Bergketten mit ihren steilen Abhängen, den Lawinen und Felsstürzen, die zahlreichen Flüsse und Schluchten und nicht zum wenigsten die klimatischen Verhältnisse schienen dem Vordringen der kühnen Ingenieure halt gebieten zu wollen. Technische Wunder mussten in Gebieten geschaffen werden, in denen weit und breit kein menschliches Wesen hauste, außer einigen nomadisierenden, wilden Indianerstämmen, und die tracierenden Söhne des 19. Jahrhunderts waren in einigen Gebieten die ersten Weißen, deren Fuß die Täler und Berge betrat, welche nun der Schauplatz eines Triumphes moderner Technik werden sollten. Der Bau wurde nur dadurch erleichtert, dass das Material nicht schwierig zu beschaffen und dessen Transport unschwer zu bewerkstelligen war; denn die mächtigen Zedern lieferten vorzügliches Holz für Schwellen, Wasser und Stein fehlte nirgends; hingegen war die Arbeitskraft äußerst kostspielig, weil nur mit Mühe erhältlich, und der Kampf mit der Natur ein beständiger.

Unser Train besteht aus einer langen Reihe von Schlafwagen, welche mit Sitzen versehen sind, durch deren Umklappen nachtsüber Betten hergestellt werden, die zwar etwas kurz, aber im allgemeinen ganz gut sind; ein Mittelgang führt durch alle Waggons, so dass man hier dem ganzen Train entlang frei zirkulieren kann. Da der Restaurationswagen seines Gewichtes wegen auf den steilsten Strecken des Felsengebirges nicht mitgeführt werden kann, wird ein solcher von Zeit zu Zeit in den Zug eingeschaltet. Der Observation Car ermöglicht. die Naturschönheiten besser als von den Coupes aus zu genießen, so dass, wer den lästigen Kohlenstaub und die Kälte nicht scheut, sich in diesem Wagen einer prächtigen Aussicht erfreut. Eine mächtige Lokomotive mit starken Scheinwerfern und einem vorgespannten Pflug schleppt den Zug; streckenweise muss eine zweite, ja auch eine dritte Maschine nachhelfen. Wächterhäuser, Schranken und sonstige Sicherheitsvorkehrungen kennt man hier nicht, drei Stunden vor Passierung des Trains fährt ein Mann auf einer Draisine die Strecke ab, um etwaige Störungen zu erheben und zu melden; was sich eventuell noch später ereignen sollte, das bleibt der Aufmerksamkeit des Maschinenführers überlassen und — dem guten Glück.

Die sonst so trefflich eingerichteten Sleeping and Parlor Cars haben auch ihre Schattenseiten; die Fenster sind der oberhalb herabzuklappenden Betten wegen niedrig und klein, so dass man sich immer tief bücken muss, wenn man einen Blick auf die vorbeifliegende Gegend werfen will. Bei der bekannten Rücksichtslosigkeit der Yankees bringt sogar die angenehme Möglichkeit der freien Zirkulation durch alle Wagen den Nachteil mit sich, dass jedermann hin- und herläuft,
umhertollende und schreiende Kinder alles unsicher machen und ein ständiger Luftzug herrscht. Erfreulicherweise hatte mir der Bahndirektor einen eigenen Wagen beigestellt, so dass ich von alledem nichts zu leiden hatte und auch durch das sonst in Kraft bestehende Rauchverbot nicht berührt wurde. In der Regel wird nur eine Wagenklasse mitgeführt; doch sind auch sogenannte Kolonistenwaggons angehängt, welche eine Art zweiter Klasse repräsentieren.

Zunächst zieht sich das Bahngeleis längs eines langen Meeresarmes hin, der weit ins Land reicht und aus dem Lachse munter emporschnellen, während Reiher fischend am Ufer stehen und kleine Flüge Enten schnatternd aufstreichen; dann biegt die Trace in eine kleine Ebene ein, die sich als bebautes, mit Wiesen durchsetztes Land am Ufer des Fraser oder Thompson Rivers ausbreitet. Bald aber weht uns frische, stärkende Luft entgegen, und Bergland nimmt uns auf; an beiden Seiten sehen wir grünende Höhen, die noch den vollen Schmuck der Wälder tragen, und hin und wieder schimmert durch das dunkle Grün ein kleiner, stiller See oder ein Flüsschen.

Je weiter wir kommen, desto höher türmen sich die Berge, mächtige Felspartien treten hervor und die Talwände rücken näher aneinander, das Tal wird enger. Leider passieren wir bald wieder eine Zone verbrannter Bäume, deren kahle, ragende Stangen traurige Wahrzeichen der beim Bahnbau vorgenommenen sinnlosen Verwüstungen sind; die damals gelegten Brände wurden vom Winde oft weitergetragen und nahmen dann erschreckende Dimensionen an, ganze Lehnen und Kuppen ergreifend, so dass wir stundenlang durch Regionen fuhren, in denen die Wälder erstorben sind. Ab und zu hat das verheerende Element ein kleines Plätzchen verschont, welches schön grün, einer Oase in der Wüste gleich, zu uns herabsieht. Auch jetzt noch steigen an vielen Stellen Rauchsäulen auf, die Waldbränden entquellen, welche von jagenden Indianern oder anderen Waldläufern gelegt wurden. Wie viele Millionen der schönsten Bäume sind solcherart nutzlos zugrunde gegangen!

Ungefähr nach Verlauf je einer Stunde erreicht der Train ein Stationsgebäude; es sind dies eigentlich nur zur Speisung der Lokomotivkessel bestimmte Wasserstellen, in deren Nähe mit der Zeit kleine Ansiedlungen von Arbeitern oder Trappern entstanden sind. Irgend eine elende Holzbaracke mit zwei oder drei Zimmern führt stets den stolzen Namen Hotel. Zumeist ärmlich oder verkommen aussehende Gestalten stehen, die kurze Pfeife im Munde, bei den Stationen und betrachten neugierig die in den Waggons befindlichen Reisenden.

Beinahe in jeder Station verließ ich meinen Wagen, um mich an der herrlichen Gebirgsluft zu erquicken, die uns nach zahlreichen heißen, in den Tropen verbrachten Tagen wahrhaft köstlich dünkte.

Leider verfolgte uns die Ungunst des Wetters, es regnete fast den ganzen Tag und die mächtigen Spitzen der felsigen Berge waren beinahe fortwährend in Nebel und Wolken gehüllt. Wir passieren manchen Tunnel und manch enge, durch steile, besonders nahe aneinander tretende Felsen gebildete Schlucht, während unter uns der Fraser River, ein echtes Kind der Berge, in die Tiefe stürzt und, weithin rauschend, durch seine milchweiße Farbe das Schneewasser verrät. Unwillkürlich wurde ich an unsere Enns gemahnt, welche in einzelnen Strecken ganz ebenso durch das prächtige Gesäuse braust. Auf den am Ufer emporragenden Felsen und Steinen sieht man häufig Indianer hocken. die mit seltener Ruhe und Ausdauer Lachse fischen; die gefangenen Tiere werden in Streifen geschnitten und in kleinen, offenen Hütten reihenweise an Stangen aufgehängt und geräuchert. Hunderte solcher Räucherhütten mit dem schönen, roten Lachsfleisch sind längs des Flusses sichtbar.

Gegen Abend hört der Regen auf, der Nebel verzieht sich, die mächtigen Formen der Berge kommen zum Vorschein, und wir erblicken auf den Hohen den ersten Schnee. Das Gebirge nimmt mit einem Schlag einen ganz anderen Charakter an, welcher — wenn dieser Vergleich zulässig ist — an afrikanische Formen erinnert: sandige Lehnen, ohne jeden Unterwuchs und spärlich mit Kiefern bedeckt, machen einen recht trostlosen Eindruck; hohe und steile Felswände, unregelmäßig geschichtet und durchwegs gelb in gelb erscheinend, ragen auf; in den Tälern wächst nur kümmerlich ein mageres Kraut.

Bis zum Einbruch vollständiger Dunkelheit fuhren wir durch solch traurige, einförmige Landschaft.

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  • Ort: Glacier Park, Kanada
  • ANNO – am 08.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Freund Fritz“ aufführt.

Vancouver, 7. Sept. 1893

Wir mussten noch einen Tag in Vancouver verbringen, um den Jagdarrangeuren Zeit für die Vorbereitungen zu unserer Expedition in die kanadischen Rocky Mountains zu lassen, und ich beabsichtigte daher heute mit einem jagdkundigen Herrn in der nächsten Umgebung der Stadt etwas umherzustreifen, um ein Grouse oder ein anderes Getier zu erlegen. Die Ansichten über das zu erwartende Resultat dieses Unternehmens waren sehr geteilt; die einen meinten, wir würden Wild antreffen, die meisten behaupteten aber, dass die richtige Saison hiefür vorüber sei. Mein Vorhaben schien genügt zu haben, den Himmel zu verstimmen — schon früh morgens goss es in Strömen und ein kalter Wind pfiff und heulte über den Dächern, so dass die Abfahrtsstunde verschoben werden musste, bis der Regen nachzulassen begann; dann ging es in einem hohen, leichten Wagen mit drei meiner Herren und dem Jagdkundigen, welcher sich äußerst unpraktisch in einen tadellosen schwarzen Salonanzug gekleidet und mit dünnen Stiefletten sowie mit schwarzem Hut versehen hatte, aus dem Bereich der Stadt.

Unser Weg führte zuerst auf einer langen Holzbrücke über einen Meeresarm, dann einen sanften Bergrücken entlang, der anfangs nur verbrannten, toten Wald aufwies, später aber und besonders auf dem jenseitigen Hang mit üppigen, schönen Bäumen bestockt war. Über eine zweite Brücke hinweg erreichten wir eine große Insel, welche den lieblichen Namen Lulu Island trägt und ziemlich dicht von Farmern besiedelt ist. Zwischen den Waldpartien lagen primitiv mit Kartoffeln, Hafer und Gerste bebaute Felder; landwirtschaftliche Maschinen surrten allenthalben, während Rinder und Pferde auf kleinen Wiesen grasten — den ersten wirklichen Wiesen, die wir fast nach Jahresfrist wieder zu sehen bekamen. Die Wohnhäuser der Farmer unterschieden sich nicht im geringsten von den Häusern Vancouvers.

Wir waren auf dem Schauplatz unserer Taten angelangt, und der Jagdkundige riet, einen am Rande des Meeres sich hinziehenden Rohrbusch zu durchstreifen, blieb aber, während wir eindrangen, seinen dünnen Stiefletten zuliebe wohlweislich zurück. Das Rohr war nicht besonders hoch, doch der vielen eingeschnittenen Wasseradern wegen schwierig zu passieren. Gleich zu Beginn unserer Wanderung sahen wir in unerreichbarer Distanz einige Gänse und Enten vom Meeresspiegel aufstehen, dann aber schien die Gegend wie ausgestorben. Eine Rohrdommel und drei Bekassinen bildeten später unsere ganze Ausbeute, da wir von den in Aussicht gestellten Enten nur noch einmal eine Kitt hoch über unsere Köpfe hinwegziehen sahen; hingegen trafen wir auf eine Menge toter Lachse mit dunkelrotem Fleisch, welche teils auf der Oberfläche des Wassers schwammen, teils durch die Flut an das Land geworfen waren.

Da es während dieser unbefriedigenden Expedition wieder heftig zu regnen begonnen hatte, kehrten wir zu dem Jagdkundigen zurück und fragten nach seinen weiteren Plänen. Ein ansässiger Experte wurde herbeigerufen und versicherte uns, dass in dem Inselgebiet Grouse und Fasanen in Fülle zu finden seien; mehrere Felder und Remisen bezeichnete er als die besten Jagdplätze. Zu diesen ging es nun bei strömendem Regen, nachdem wir zuvor in einer Scheune einen kleinen Imbiss verzehrt hatten. Eine mit hohen Farnkräutern überwucherte Waldparzelle enthielt jedoch kein lebendes Wesen — es hieß daher, dass die Grouse, da sie nicht im Wald seien, in den Feldern zu finden sein müssten. Wir stürmten also unverdrossen kreuz und quer durch die Haferfelder, aber ebenso resultatlos wie im Wald, bis endlich der Jagdkundige erklärte, dass offenbar die Farmer die Grouse selbst schössen und wir wahrscheinlich deshalb dieses Wild nicht angetroffen hätten. Wir dankten mit einigen geflügelten Worten bestens für die etwas spät erteilte freundliche Auskunft und bestiegen ganz durchnässt wieder unsere Wagen, um nach Vancouver zurückzukehren, wo wir den Abend mit Vorbereitungen zu unserer Abreise ausfüllten und ein herzlich schlechtes Diner den Tag beschloss.

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  • Ort: Vancouver, Kanada
  • ANNO – am 07.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Margarethe (Faust)“ aufführt.

Vancouver, 6. Sept. 1893

Vancouver trägt echt amerikanisches Gepräge, denn das jetzt von der Stadt eingenommene Areal war noch im Jahre 1885 mit dichtem Urwald bedeckt, der einer kleinen, sich rasch vergrößernden Ansiedlung weichen musste. Sechs Jahre nach Gründung der letzteren konnte das neue Gemeinwesen bereits eine Stadt genannt werden, welche derzeit 20.000 Einwohner zählt, neben der Hauptstadt Victoria die bedeutendste Stadt Britisch-Kolumbiens ist, als Endpunkt der Canadian Pacific-Bahn sowie als Ausgangspunkt der trans-ozeanischen Dampferlinien nach Japan und China stetig an Bedeutung gewinnt und im Fisch- und Holzhandel des Nordens die erste Stelle einnimmt. Die bauliche Entwicklung Vancouvers vollzog sich nach der schon oft geschilderten amerikanischen Schablone: erst Straßen, dann elektrische Beleuchtung und zum Schluss die Wohngebäude. Die letzteren, ungemein flüchtig und größtenteils nur aus Holz erbaut, scheiden sich in zwei Gruppen; sie sind entweder „praktische Gebäude“ und dann eigentlich nichts Besseres als Kasten für Aufbewahrung von Menschen und deren Besitz, oder aber „schöne Gebäude“, welche, ein Ausbund aller Geschmacklosigkeit und im Villenstil gehalten, mit ihren Türmchen, den Erkern und dem roten Anstrich jenen Häusern ähneln, die von Kindern aus dem Material der bekannten Steinbaukasten zusammengefügt werden. Diese Villen sind häufig von kleinen, nur wenige Quadratmeter umfassenden Gärtchen umgeben, in welchen der Rasen sorgfältig gepflegt und üppig grün erscheint. Städte wie Vancouver bestehen aus einem Kern von Häusern, der die Kaufläden und die öffentlichen Gebäude enthält; hat man aber diesen Kern durchquert, so haben die regelmäßigen Häuserreihen ihr Ende erreicht, da oft nur ein bis zwei Bauwerke in einer langgestreckten, mit einem hochtrabenden Namen belegten Avenue stehen. Dazwischen befindet sich verkäufliches Terrain und ragen die Wurzelstöcke niedergeschlagener sowie die Überreste verbrannter Baumriesen aus dichtem Unkraut hervor.

Ein derartiges Gemeinwesen macht einen überaus ernüchternden Eindruck, da es sofort zeigt, dass dessen Bewohner nur den Erwerb, den raschen Gewinn von Geld bezwecken, ihr Leben ausschließlich dieser Aufgabe entsprechend einrichten und des Sinnes für Schönheit oder Wohnlichkeit entbehren. Was keinen Ertrag abwirft, öffentliche Anlagen, Alleen u. dgl. m., bleibt meist weg, dafür aber durchsaust die elektrische Bahn die Straßen und schweben viele Tausende von Telegraphen- und Telephondrähten über unseren Köpfen; alles eilt dem Geschäft nach, hastet, drängt; man sieht keine heiteren Mienen, Freunde gleiten aneinander vorbei, ohne herzliche Begrüßung, da ihnen diese nur Zeitverlust bedeutet. Manchmal sind auf der Straße zweifelhafte Gestalten oder zerlumpte Indianer zu sehen, welch letztere, durch den Genuss von Feuerwasser völlig herabgekommen, in ihrer Degenerierung einen widerlichen Anblick bieten und in nichts an ihre stolzen Vorfahren, die einstigen Besitzer des Landes, erinnern.

Die Straßen in Vancouvers innerstem Stadtteil sind mit Asphalt belegt, alle übrigen mit hohem Staub bedeckt; die Trottoirs bestehen aus starken Pfosten schönsten Zedernholzes. Öffentliche Gebäude, dem landesüblichen Geschmack entsprechend, sind in kürzester Frist und in nichts weniger denn gefälliger Form erstanden, so der Gerichtshof, mehrere Schulen u. dgl. m.

Die größte Sehenswürdigkeit Vancouvers ist der Stanley-Park, eine Reserve auf einer von Meereseinschnitten umrandeten Halbinsel, welche noch einen Teil der herrlichsten alten Bäume trägt, die hier vor geldgieriger Nutzbarmachung geschützt sind.

Der Weg bis zu der langen Holzbrücke, welche den Meeresarm zwischen Vancouver und dem Park übersetzt, zeigt beiderseits die Art, in der hierzulande die prächtigen Urwälder gerodet werden. Ein schonungsloser Vernichtungskrieg wird gegen diese 500- bis 600jährigen Zedern, Thujen und Douglas-Tannen geführt, die eine Höhe von mehr als 100 m und einen Stammesumfang von 8 bis 10 m erreicht haben und nun Platz machen müssen, damit im Lauf der Zeit Terrain gewonnen werde. Das herrlichste Holz, das bei uns einen fabelhaften Wert repräsentieren würde, findet fast nur als Heizmaterial für Lokomotiven Verwendung; in den meisten Fällen wird an den Wald Feuer gelegt, da Säge wie Axt nicht rasch genug arbeiten. Es berührt recht schmerzlich, zu sehen, wie diese mächtigen Patriarchen der Wälder nutzlos zugrunde gerichtet werden und auf Tausenden von Hektaren als Reste ehemaliger schöner Bestände nur mehr verdorrte, unten angekohlte Stämme gegen Himmel ragen. Das Feuer tötet diese Riesen, die dann erst, soweit nötig, niedergeschlagen und gänzlich verbrannt werden; das Ausgraben der Wurzeln bedeutet die letzte Etappe der Urbarmachung des Bodens, worauf dann die Rodungsfläche mehrere Jahre brach liegen bleibt, bevor sie umgeackert und bebaut wird. In der ganzen Umgebung Vancouvers raucht und glimmt es, überall ist der Schlag der Axt vernehmbar, und selbst dort, wo gegenwärtig noch keine Aussicht besteht, die Kultivierung des Bodens in Angriff nehmen zu können, wird der Wald einstweilen wenigstens durch Feuer zerstört, damit das Hindernis für alle späteren Eventualitäten beseitigt sei.

Nach diesen Bildern der Verwüstung labt sich das Auge an dem prächtigen Wald des Stanley-Parkes, an den Stämmen voll urwüchsiger Kraft, die seit Jahrhunderten hier wurzeln und unter denen seinerzeit nur der Elch und der Bär wechselten, während nur selten der Tritt einer Rothaut oder der Ruf des Wapitis die tiefe Stille unterbrach. Jetzt sind überall schöne Wege angelegt und englische Aufschriften angebracht, welche die Ausübung der Jagd sowie jede Beschädigung verbieten und die Namen der verschiedenen Partien des Parkes verkünden; bleiche Ladies fahren unter den Bäumen spazieren oder arrangieren Picknicks unter deren schattigem Dach. So mancher der Baumriesen ist im Laufe der Zeit überständig geworden, sein Stamm innen gefault und die Krone abgestorben, aber noch in diesem Zustand bleibt er durch Menschenalter aufrecht stehen, durch seine gewaltigen Dimensionen imponierend. Einer dieser abgestorbenen Kolosse hat einen Umfang von 12 bis 16 m, so dass in seinem Innern 12 Personen bequem Platz finden. Wir sehen hier Zedern, Thujen, Douglas- und andere Tannen, insbesondere die schöne Balsam-Tanne (Abies balsamea) mit den an der Unterseite bläulichgrauen Nadeln sowie Fichten.

Obschon die Riesenbäume ziemlich nahe beisammen stehen und daher wenig Licht durchlassen, ist der Unterwuchs außerordentlich üppig; wir begegnen hier vorzugsweise Baum- und Strauchgattungen, die auch in Europa vorkommen, so Ahorn, Erlen, Haselnuss, Pappeln, Weiden u. a. m. Auffallend ist die mächtige Entwickelung der Himbeer- und Heidelbeersträucher, die fast kleine Bäumchen bilden, aus welchen man sogar Stöcke schneiden kann. Lange Moose und Flechten hängen malerisch an den unteren Zweigen der Bäume und an dem dichten Gewirr des Unterwuchses; belebend wirken die zahlreichen, den Park umgebenden Kanäle und Buchten, in denen man große Lachse emporschnellen sieht. Das gegenüberliegende, bergige Festland Canadas bildet den effektvollen Hintergrund des Parkes.

Da sich trotz des jetzigen Schießverbotes kein Wild mehr im Park befindet, wurde — offenbar als Ersatz hiefür — am Ausgang ein Tiergarten angelegt, in dem zwei schwarze Amerikanische Bären (Baribal, Ursus americanus), sehr schöne Seeadler mit schneeweißem Kopf und Stoß sowie ein vielgequälter Affe in ihren Zwingern hausen.

Nach diesem wirklich genussreichen Ausflug kehrte ich in die Stadt zurück, um noch durch einige Zeit dem ausgezeichneten Spiel einiger Mitglieder des Lawn Tennis Clubs zuzusehen; wie gerne ich auch am Spiele teilgenommen hätte, so fehlte mir doch angesichts der hier entfalteten Kunstfertigkeit der Mut hiezu.

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  • Ort: Vancouver, Kanada
  • ANNO – am 06.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Aida“ aufführt.

 

Vancouver, 5. Sept. 1893

Nach dem schönen Abend hatte sich als Vorbote der nahen Küste dichter Nebel eingestellt und schon um 4 Uhr morgens weckten mich die mit der Dampfpfeife und der Sirene in Intervallen von fünf Minuten abgegebenen Nebelsignale unseres Schiffes. Da man von Mittschiff kaum bis zum Bug sah, wagte der Kommandant nicht, die Fahrt fortzusetzen, sondern ließ die Maschine stoppen und wartete unter beständiger Abgabe akustischer Signale den Morgen ab.

Bei Tagesanbruch wurde unser Erkennungssignal gepfiffen und dieses alsbald durch das Nebelhorn einer Signalstation an der Küste wiederholt — ein überzeugender Beweis für die Präzision, mit welcher die Navigation an Bord geführt wurde. Um 9 Uhr morgens setzten wir uns endlich wieder in Bewegung, eine Stunde später tauchten schon die schleierhaften Umrisse der Berge auf, und wir konnten nunmehr wieder die volle Fahrgeschwindigkeit aufnehmen.

Allmählich begannen die Strahlen der aufsteigenden Sonne den Nebel zu durchdringen, so dass nach und nach einzelne Konturen der Küste, Berge und bewaldete Abhänge erkennbar wurden. Als weitere Vorboten des Landes sichteten wir viel Treibholz, darunter mächtige Zedernstämme; viele weiße Schmetterlinge umflatterten das Schiff, und auch kleinere Vögel statteten von Zeit zu Zeit unserer Takelage einen Besuch ab.

Der Nebel sank, blaue Flecke zeigten sich am Firmament, und wir erblickten, obgleich noch immer ein Dunstschleier über der See lagerte, doch schon deutlich die ziemlich hohe Küste des Amerikanischen Kontinentes und konnten selbst mit freiem Auge mächtige Fichten, Zedern und Thujen wahrnehmen, deren gerade Stämme hoch emporragten; kleine weiße Ansiedlerhäuser schimmerten unter dem dunklen Grün der Bäume hervor.

Die „Empress“ steuerte in den Kanal San Juan de Fuca, welcher die britische Insel Vancouver vom Festland der Union, dem Staat Washington, trennt, so dass wir gleichzeitig Gebiete zweier Staaten vor uns sahen. Die Sonne strahlte wohltuende Wärme aus, und nach einer Reihe kühler Tage sonnten sich die Passagiere behaglich auf Deck.

Gegen 2 Uhr nachmittags verkündete uns ein Trompetensignal, dass Victoria, die Hauptstadt von Britisch-Kolumbien, in Sicht sei und bald darauf gingen wir im Hafen vor Anker. Diese Stadt liegt auf der Südostseite der Insel Vancouver am Victoria-Hafen und unterhält als wechselseitiger Umschlagplatz für Ozean- und Flussdampfer einen lebhaften Handels- und Schiffahrtsverkehr mit den Hafenorten der Strait of Georgia und des Fraser-Flusses. Die Bucht gewährt einen recht freundlichen Anblick; rings um dieselbe ist auf einem Kranz grüner Hügel und Inseln die Stadt aufgebaut, welche dem ersten Blick ihren Charakter als den einer modernen amerikanischen Stadt enthüllt: die Straßen verlaufen in gerader Richtung, die Häuser sind zumeist in geschmackloser Weise aus Holz erbaut, rötlich angestrichen und durch einen Wald von Stangen überhöht, die ein dichtes Netz von Telegraphen- und Telephondrähten sowie auch die Kabel der elektrischen Beleuchtung tragen. Im Hafen ragten die Masten und Teile des Rumpfes des gesunkenen Dampfers „San Pedro“ traurig aus der See empor.

Unser Aufenthalt vor Victoria währte bloß eine Stunde, welche durch eine ärztliche Visite seitens der Hafenbehörde und durch die Ein- und Ausschiffung von Passagieren ausgefüllt wurde. Zu diesen Zwecken legte sich der riesige Hafen-Raddampfer „Yosemite“, dessen Balanciermaschine über Deck ragte, an die „Empress“. Außer den Passagieren, die sich nach Vancouver einschifften, strömte noch eine ganze Schar Neugieriger an Bord, und schon lange bevor der Dampfer angelegt hatte, rief eine Dame von diesem aus die Frage herüber, welcher von den Reisenden der Prinz sei; doch gewährte ich ihr nicht die Freude meines Anblickes, und so musste sie wieder an Land, ohne desselben teilhaftig geworden zu sein.

Gleich bei der ersten Annäherung an Amerika hatten wir auch schon mit einer der Plagen dieses Landes Bekanntschaft zu machen — mit den Reportern, die ihrer unabweisbaren Zudringlichkeit halber allgemein berühmt sind und uns sofort interviewen wollten. Das Abgehen des „Yosemite“ setzte diesem fruchtlosen Bemühen ein Ziel, und auch wir lichteten nun den Anker, durch eine Reihe kleiner Inseln weitersteuernd, die, von den bläulichen Dünsten der Abendluft angehaucht, sich mit ihren schönen Bäumen äußerst malerisch präsentierten. In einem der Kanäle begegnete uns die manövrierende englische Pacific Squadron, — bestehend aus dem Flaggenschiff „Royal Arthur“, einem stattlichen Panzerschiffe von 7700 t, einer Korvette und zwei Kanonenbooten — welche in erster Linie zum Schutz der Fischerei im Behringsmeer berufen ist und in Esquimalt, ungefähr 48 km südwestlich von Victoria, ihre Hauptstation besitzt.

In der Georgia Strait erfreuten wir uns an einem selten schönen Untergang der Sonne, welche eine Stunde lang in fast nordischer Weise als purpurrote Kugel in der nebligen Luft erschien, bevor sie hinter den Bergen der Insel Vancouver verschwand; die violetten Konturen der Eilande hoben sich scharf vom Abendhimmel ab.

Unsere vormittägige, durch den Nebel verursachte Verspätung einzuholen, fuhren wir mit allen Kesseln und größter Geschwindigkeit, so dass wir bis zu 18 Seemeilen stündlich zurücklegten. Wie mir der zweite Kapitän lächelnd erzählte, sind der Kommandant und der erste Maschineningenieur erst seit kurzer Zeit verheiratet, weshalb sie das Möglichste täten ihr Heim in Vancouver recht bald zu erreichen. Ich fand diese eheliche Liebe sehr rührend und für die Passagiere recht angenehm, weil diesen hiedurch Aussicht geboten war, schon abends zu landen. Gar manche Seefahrt ging rascher zu Ende, wenn die Schiffskapitäne erst kürzlich gefreit hätten.

Noch ein sehr enger Kanal musste passiert werden; dann sichteten wir viele elektrische Lichter, die anzeigten, dass wir den Hafen vor uns hatten. Um 10 Uhr abends legte sich die „Empress“ an einen Molo, auf dem ich trotz der Dunkelheit unter den der Ankunft des Schiffes Harrenden sofort Imhof entdeckte, mit welchem ich hier zusammentreffen sollte. Welche Freude, nach langer Abwesenheit von der Heimat einen guten Freund zu treffen, der geradewegs aus dieser kommt! Was Wunder, wenn uns Imhof noch in die späte Nacht hinein Rede und Antwort stehen und allerlei Neuigkeiten mitteilen musste. Dass er auch die Post gebracht hatte, ließ ihn doppelt willkommen sein.

Das Hotel, welches uns aufnahm und ebenfalls der Canadian Pacific Railway Company gehört, zeigte sogleich die Unannehmlichkeiten amerikanischer Hotels, worauf wir schon vorbereitet waren: die schlechte oder, besser gesagt, gar nicht vorhandene Bedienung, das lästige Rauchverbot und den Mangel an Gesellschafts- oder Rauchzimmern, in welchen man nach dem Speisen noch einige Zeit verweilen könnte, endlich die Küche. Ich bin gewiss kein Gourmand und zähle das Essen unter die geringsten Lebensfreuden; immerhin vermag ich mich mit der englischen, auch in Amerika eingebürgerten Art zu kochen nicht zu befreunden; denn alle Braten sind auf dieselbe Weise „à Ia Roastbeef“ zubereitet und durch einen und denselben Geschmack ausgezeichnet, die Gemüse werden bloß mit Wasser abgekocht und eine andere Mehlspeise als der ewige Pudding scheint überhaupt nicht bekannt zu sein.

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  • Ort: Vancouver, Kanada
  • ANNO – am 05.09.1893 in Österreichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Regimentstochter“ aufführt.
Wiener Salonblatt No. 37 notes the safe arrival of Franz Ferdinand in Vancouver.

Das  Wiener Salonblatt No. 37 vermerkt Franz Ferdinands Ankunft in Vancouver.

In See nach Vancouver, 26. August bis 4. September 1893

An den beiden ersten Tagen war das Wetter mild und angenehm, wir konnten in leichten Kleidern auf Deck verweilen; dann kamen wir aber in die Nähe der Aleuten und in die Region der Nord- und Nordostwinde, welche eiskalte Luft aus den Polargegenden führten, so dass das Thermometer mit einem Schlag bis auf 7° C. sank und der Temperatursunterschied sich empfindlich genug bemerkbar machte. Hatten wir doch noch vor wenigen Tagen 34° C. zu verzeichnen gehabt! Alle Passagiere legten Winterkleider, Pelze oder Plaids an, und die Luftheizung der Kajüten wurde in Tätigkeit gesetzt.

Das Leben an Bord nimmt einen ziemlich regelmäßigen Verlauf; um halb 8 Uhr rufen Gongschläge zum Frühstück, die Mahlzeiten werden in dem schönen, geräumigen Dining-room eingenommen, im übrigen verbringen wir jedoch den größten Teil des Tages auf dem langen Deck. Ein sehr rühriges Komitee, bestehend aus dem heiteren zweiten Kapitän und einigen Passagieren, inszeniert hier eine Reihe von Spielen, welche die Mehrzahl der Mitreisenden beschäftigen. Jene, die nicht am Spiel teilnehmen, sitzen, in Plaids gehüllt, in langen Rohrstühlen und lesen oder eilen, Bewegung zu machen, auf und nieder. Diese „Runs“ sind besonders nach den Mahlzeiten beliebt, namentlich bei den englischen und amerikanischen Damen, welche hiebei schier Unglaubliches leisten; dieselben dürften die besten Records erzielen, indem sie, Arm in Arm zu zweien oder dreien, mit sehr langen, nicht immer graziösen Schritten den Rand des Deckes unsicher machen.

An den ersten Tagen nahm mich die Ergänzung meiner Reiseerinnerungen aus der Zeit des Aufenthaltes in Japan in Anspruch, später lernte ich nach und nach auch die Mitreisenden kennen, unter welchen sich einige sehr nette Leute befanden. Meiner Kajüte gegenüber haust ein englischer Maler, welcher erfreulicherweise der französischen Sprache mächtig ist; er fährt zum dritten Mal um die Erde, während seine Frau diese „kleine Tour“ bereits zum achten Mal unternimmt. Das unruhige Leben scheint dem Künstler allerdings nicht mehr zu behagen; denn als wir ihn fragten, ob diese zahlreichen Reisen seiner Gattin nicht beschwerlich fielen, entgegnete er: „Enfin, c’est une maladie comme une autre!“ Zur Reisegesellschaft gehören auch ein Fürst Galitzin, der in Paris einen Arm auf ziemlich prosaische Weise verloren hat, ein reicher Teehändler mit zwei blonden Töchtern sowie eine Anzahl anderer Damen der verschiedensten Altersstufen.

Mit einer reizenden, kleinen Amerikanerin spiele ich täglich mehrere Partien Tennis, ohne mit ihr, die nur englisch spricht, konversieren zu können, doch unterhalten wir uns trotzdem sehr gut; Clam und eine andere Amerikanerin sind die Partner. Unser Ground ist eigentlich entsetzlich, weil viel zu schmal, nur ungefähr die Hälfte eines Normalplatzes umfassend und auf 3 m Höhe gedeckt; bei Rollbewegungen stehen wir überdies auf schwankender Basis; auch müssen wir die zwei vorhandenen Ballen stets selbst aufheben, die nach jedem Schlag auf dem ganzen Schiff umherrollen, so dass es hiebei immer eine kleine Hetzjagd und Suche gibt. Dies alles stört uns aber in dem Vergnügen nicht, auf hoher See Tennis zu spielen.

Drei andere Spiele, an denen ich mich öfters beteilige, erfordern eine gewisse Geschicklichkeit im Werfen von Scheiben und Kautschukringen nach bestimmten Nummern. Beim Cricket, welches die Engländer nicht missen können, geht es sehr lebhaft zu, so dass gleich am ersten Tag einem Herrn ein Finger gebrochen wurde und auch zwei andere der Mitspielenden verwundet den Kampfplatz verließen. Ein vom Yergnügungskomitee arrangierter Ball missglückte, da anfänglich niemand musizieren und tanzen wollte, später aber, als der Wagner-Enthusiast, obschon er dies unter seiner Würde hielt, einen Walzer zum besten gab, sich nur einige amerikanische Ehepaare zu drehen begannen, so dass der Ball rasch ein Ende erreichte. Wenn alle Damen in der Neuen Welt der Sitte huldigen, nur mit ihren Gatten zu tanzen, wie langweilig müssen die Bälle in diesem Kontinent sein!

Nebst den Spielen auf Deck wurde, insbesondere abends, auch dem Gesang gehuldigt, teils in Einzelvorträgen, teils im Chor; doch bildete dies bei dem gänzlichen Mangel guter Stimmen und bei dem Umstand, dass die Teilnehmer anscheinend aus Grundsatz falsch sangen und so die Leistung keineswegs dem an den Tag gelegten Eifer entsprach, keinen sehr erquickenden Ohrenschmaus.

Mit echt englischer Genauigkeit kamen die strengen Sonntagsvorschriften zur Anwendung; der Zahlmeister hielt den Gottesdienst ab, vor- und nachmittags sang man endlose Chorale, kein Spiel durfte unternommen werden, selbst der Wagnerianer musste das Klavier feiern lassen, und unseren Jägern, die im Bar-room ein harmloses Kartenspiel versuchten, wurde dies sofort untersagt. Am Abend des 3. Septembers kam noch eine Art Disputation zwischen zwei protestantischen Geistlichen hinzu, welcher die Passagiere mit Andacht zuhörten. Einer der beiden war Anglikaner, der andere ein norwegischer Missionär, ein eigentlich bedauernswerter, missgestalteter Mann, der während eines sechsjährigen Aufenthaltes im Innern Chinas fast alle europäischen Sprachen und Gewohnheiten verlernt hatte und an Bord zum Ziel der Witze und Sticheleien wurde. Besondere Heiterkeit erregte es, als er sich eines Tages von Hodek im Kostüm eines tibetanischen Lamas photographieren ließ.

Bis zum 1. September war das Meer stets ruhig, nur zuweilen von einer Nordostbrise leicht gekräuselt — Witterungsverhältnisse, welche zu dieser Jahreszeit eigentlich nicht zu erwarten standen. Der Horizont war morgens und abends trübe, doch heiterte sich das Wetter mitunter gegen Mittag etwas auf; in den ersten Nächten hatten wir noch herrlichen Mondschein. Die Färbung des Meeres zeigte nicht mehr das schöne Blau oder Grün, welches wir bisher gewohnt waren zu sehen, sie schien vielmehr bleigrau, ins Schwärzliche übergehend.

Eine große Zahl der verschiedenartigsten Alken, Möven und Sturmsegler umschwärmte das Schiff, ja sogar Vertreter einer kleinen Albatrosart zeigten sich; doch konnte ich diese Segler der Lüfte nicht näher bestimmen, gibt es ja selbst keinen Fachmann, der in den genannten Vogelspezies, welche ein ziemlich undurchforschtes und noch wenig bekanntes Gebiet der Ornithologie darstellen, genügend Bescheid weiß.

Am 30. August passierten wir den 180. Längengrad, und nun wurden die 24 Stunden, welche durch die Richtung der Reise gegen Osten entgangen waren, eingebracht, so dass wir an zwei aufeinanderfolgenden Tagen den 30. August zählten.

Das Schiff legte täglich 350 bis 360 Meilen zurück, bei günstigem Wind setzte man auch Segel, doch geschah dies ohne besonderen Einfluss auf die Geschwindigkeit.

Das, wie erwähnt, bis zum 1. September ruhige Wetter änderte sich dann, der Wind sprang gegen Südost um und brachte so hohen Seegang, dass selbst die riesige „Empress“ tüchtig umhergeworfen wurde, obschon das Schiff die See recht gut verträgt und angenehme Bewegungen ausführt. Gleichwohl wurden alle Passagiere mehr oder weniger seekrank, und endlich war, als das Wetter sich auch am 2. September nicht beruhigte, außer mir und meinen Herren beinahe niemand auf Deck zu sehen, wo übrigens der Aufenthalt infolge der Kälte und der Sturzseen nicht gerade zu den Annehmlichkeiten gehörte. Der nächste Tag brachte uns aber die Sonne wieder, und wir hatten abermals so schöne Fahrt wie früher.

Am 4. September, dem vorletzten in See verbrachten Tage, wurde unter den Passagieren eine Kollekte veranstaltet und der eingelaufene Betrag zu Mannschaftsspielen gespendet, welche recht animiert verliefen und den englischen Matrosen Gelegenheit boten, ihre Geschicklichkeit an den Tag zu legen. Das Programm umfasste 12 Nummern, darunter ein Hindernisrennen über Taubarrieren und Bänke sowie durch Rettungsringe, wobei die Konkurrenten im „Finish“ noch durch ein mit Mehl bestreutes Windsegel kriechen mussten und manche Heiterkeit erregende Szene mitunterlief; auch ein Flachrennen, ein Sacklaufen, ein Tauziehen und ein „Potatoe race“ wurden veranstaltet. bei dem jener auf den Preis Anspruch erheben durfte, welcher eine bestimmte Anzahl von Kartoffeln, die auf dem Deck verteilt waren, als erster in einen Kübel geworfen hatte; hieran reihten sich noch Hahnenkämpfe, ein Wettspringen u. dgl. m.

Nach dem Diner wurde ein von dem Wagnerianer verfasstes und komponiertes Festlied auf Kapitän Archibald und seine Offiziere von einem gemischten Chor in greulichen Dissonanzen vorgetragen.

Endlich kam auch der Augenblick, in dem ich mich freute, der englischen Sprache nicht mächtig zu sein, da ich durch meine Unkenntnis einem bösen Schicksal entging; denn als der Rundgesang verklungen war, erschallte es im Kreis unter Nennung des Namens eines der Herren: „Speak, speak“, so dass dem unglücklichen Auserkorenen nichts erübrigte, als sich zu erheben und eine Ansprache zu halten. Diese Zwangsmaßregel wurde so oft angewendet, bis fast alle Herren an die Reihe gekommen und das Schiff sowie die glückliche Fahrt hinlänglich gepriesen waren. Als später der allgemeine Schiffsonkel Fürst Galitzin, den Damen und Herren, die sich während der Fahrt bei den Spielen als die geschicktesten erwiesen hatten, mit freundlichem Lächeln und einigen aufmunternden Worten Broschen oder Photographien des Schiffes überreichte, wiederholte sich die für die Opfer recht unangenehme Redetortur.

Schließlich trat wieder der Gesang in seine Rechte, aber ich ergriff, da jedermann bemüht war, unbarmherzig sein ganzes Repertoire zum besten zu geben, die Flucht und erfreute mich auf Deck der Pracht des wolkenlosen, gestirnten Himmels.

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  • Ort: auf See im pazifischen Ozean
  • ANNO – am 26.08.1893 in Östereichs Presse. Das Wiener Salonblatt vermeldet FFs Abreise aus Japan an Bord des Dampfers „Empress“ in Richtung Nordamerika.
The Wiener Salonblatt No. 35 reports FF's departure from Yokohama towards North America.

Das Wiener Salonblatt No. 35 informiert über FFs Abreise nach Nordamerika.

  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Afrikanerin“ aufführt.

In See nach Vancouver, 25. Aug. 1893

Morgens erschienen, um mich zu begrüßen, Baron Biegeleben an der Spitze des Gesandtschaftspersonales und Generalkonsul Kreitner sowie die Herren der japanischen Suite, deren Zuvorkommenheit und unermüdlichem Eifer ich alle Anerkennung zolle. Auch die uns zugeteilten Beamten und Diener des Hofes, unter ihnen mein Freund der Leibjäger und der Mann mit dem stets gezückten Schwert, welcher von uns mit dem Spitznamen „der Scharfrichter“ bedacht worden war, fanden sich ein, um für die ihnen verliehenen Dekorationen den Dank abzustatten.

Zur dauernden Erinnerung an die gemeinsame Fahrt ließ ich mich noch mit allen Herren des Stabes photographieren; dann wurde auf Deck ein feierlicher Gottesdienst abgehalten.

Endlich war der schwere Augenblick gekommen, jener, in dem ich Abschied nehmen musste von unserem braven Schiff, von den Herren des Stabes, die ich alle so schätzen gelernt hatte und die stets bestrebt gewesen waren, mir das Leben an Bord so angenehm als möglich zu gestalten, von der wackeren Mannschaft. Die „Elisabeth“ war mir in der achtmonatlichen Frist, während der sie uns so treu durch ferne Meere getragen, zur Heimat geworden; hier habe ich mich zufrieden, glücklich gefühlt, und mit jener Empfindung der Freude, welche den Reisenden beseelt, wenn er, aus der Fremde kommend, vaterländischen Boden betritt, bin ich nach jedem längeren Aufenthalt auf dem Land immer wieder an Bord zurückgekehrt.

Hier habe ich den guten militärischen Geist, den vortrefflichen kameradschaftlichen Sinn kennen gelernt, welcher in unserem Seeoffizierskorps herrscht. Dank der Umsicht und Fürsorge des mir so lieb gewordenen Kommandanten, der weder Mühe noch Anstrengung gescheut hat und bei Tag und bei Nacht auf seinem Posten war, um in jedem Augenblick seiner ehrenvollen, aber auch schwierigen Aufgabe gerecht zu werden, dank der trefflichen Führung des Dienstes durch unseren Gesamt-Detailoffizier, dank der Tüchtigkeit sowie Gewissenhaftigkeit des Navigationsoffiziers, dank endlich dem Pflichteifer des gesamten Stabes ist zum Stolz und zur freudigen Genugtuung aller das Ziel der gemeinsamen Fahrt glücklich erreicht worden. Der rasche Verlauf der immer unter Dampf zurückgelegten Reise in Verbindung mit dem verhältnismäßig kurzen Aufenthalt in den verschiedenen Häfen hat insbesondere an das Maschinenpersonal ganz außergewöhnliche Anforderungen gestellt, denen dasselbe in jeder Beziehung entsprochen hat.

Mit hoher Befriedigung muss ich des geradezu musterhaften Verhaltens der Mannschaft gedenken, welche unentwegt in treuer Pflichterfüllung ausgeharrt hat, selbst unter den schwierigsten Verhältnissen, so namentlich in den tropischen Klimaten, ohne sich der erleichternden Annehmlichkeiten zu erfreuen, welche uns zugebote gestanden. Nachdrückliche Hervorhebung verdient endlich der Umstand, dass unsere Mannschaft sich auch auf dem Land, trotz des nicht immer guten Beispieles, welches ihr durch amerikanische und englische Matrosen gegeben wurde, ganz tadellos benommen hat und dass ungeachtet der verlockendsten Anträge nicht ein Fall von Desertion vorgekommen ist.

Unsere Kriegsmarine hat sich wieder in einer die hochgespannten Erwartungen rechtfertigenden Weise bewährt, indem sie unsere Flagge stolz durch den weiten Ozean in ferne Länder geführt. Die Vorsehung hat über dem Schiff, welches sich zum ersten Mal zu erproben hatte, gewacht, ein günstiger Stern über demselben geleuchtet; denn keine ernste Gefahr hat der „Elisabeth“ gedroht, kein Unfall diese betroffen; in der Zahl jener, die auf ihren Planken sich zusammengefunden, hat der Tod sich keine Opfer gesucht, keine schwerere Erkrankung hat uns heimgesucht.

Ich schritt noch die Front der Mannschaft ab, welche auf Deck in Parade ausgerückt war, sagte allen Herren des Stabes ein herzliches Lebewohl und bestieg mit dem Kommandanten das Galaboot. Als dann der Stab auf die Brücke eilte, die Mannschaft an die Salutstationen trat und unter den Klängen der Volkshymne ein dreifaches donnerndes Hurrah ertönte, da liefen mir— ich schäme mich nicht, es einzugestehen — die Tränen über die Wangen. Die Erinnerung an die Zeit, welche ich auf der „Elisabeth“ verbracht habe, gehört zu den wertvollsten meines Lebens und wird mir dauernd eingeprägt bleiben.

Die „Empress of China“ lag bereit, in See zu gehen, beim Fallreep aber herrschte lebhafte Bewegung; die Herren der Gesandtschaft und des Konsulates mit ihren Damen waren nochmals erschienen, uns zu begrüßen, Verwandte und Freunde anderer Passagiere hatten sich eingefunden, Abschied zu nehmen. Wir tauschten noch einen letzten Händedruck mit Becker und Jedina, die Maschine der „Empress of China“ begann zu arbeiten und das Riesenschiff wendete sich dem Hafenausgang zu. Von den japanischen Kriegsschiffen und von der „Elisabeth“ ertönte Hurrahrufen, die Musikkapelle der letzteren spielte unsere Volkshymne und „O, du mein Österreich“; nächst der Ausfahrt wechselten wir noch Grüße durch Signale und winkten den treuen Genossen unserer Reise so lange zu, bis die „Elisabeth“ nur mehr als kleiner, weißer Fleck erschien und auch Jokohama langsam unseren Blicken entschwand.

An Bord der „Empress“ fängt für mich ein ganz neues Leben an; ich kann mich nicht so frei bewegen wie auf der „Elisabeth“ und bin auf das sogenannte Promenadedeck angewiesen; die Kommandobrücke stellt ein Heiligtum dar, das nicht betreten werden darf. Wir vermissen die militärischen Signale, Kommandos und Rufe, die schrille Pfeife des Bootsmannes, mit einem Wort alles, was den Soldaten auf einem Kriegsschiff anheimelt; statt unserer flinken Matrosen sehen wir steife Engländer, mürrische Amerikaner sowie schlitzäugige Chinesen; statt deutscher, italienischer und kroatischer Laute hören wir nur englisch und immer wieder englisch reden; weder Reveille noch Retraite ertönen, bloß der dumpfe Klang des Gongs ruft zum Breakfast, Lunch und Dinner. Die Musikkapelle, die uns täglich zweimal mit heimatlichen Weisen erfreut hatte, wird hier durch einen enragierten Wagnerianer ersetzt, welcher ein bedauernswertes Klavier vom frühen Morgen bis zum späten Abend quält, so dass man rasend werden könnte und einem Klavierschutzvereine beitreten möchte.

Die „Empress of China“, im Jahre 1891 in London erbaut, ist ein schönes, großes Schiff, welches der Canadian Pacific Railway Company gehört; diese Eisenbahngesellschaft lässt drei solcher Dampfer zwischen Hongkong und Vancouver verkehren, um auf diese Weise Passagiere für ihre Kanada durchquerende Linie zu werben. Ob hiebei die Kosten gedeckt werden, weiß ich nicht, da die Betriebsauslagen ungeheuere sind und die Anzahl der Passagiere meist eine kleine ist.

Die hauptsächlichsten Dimensionen des Schiffes sind: 139 m Länge, 15,5 m Breite und im Tiefgang. Das Deplacement beträgt 5904 t, die Ladefähigkeit 3008 t; die direkt wirkende Dreifach-Expansionsmaschine hat 10.000 indizierte Pferdekräfte und verleiht dem Dampfer eine Maximalfahrgeschwindigkeit von 18 Knoten in der Stunde; der Kohlenverbrauch beläuft sich bei ganzer Kraft auf 200 t in 24 Stunden. Die Takelage besteht aus vier Pfahlmasten mit Gaffelsegeln; die Innenbordbeleuchtung ist durchwegs elektrisch; das Schiff bietet Raum für 170 Passagiere erster Klasse, 26 Zwischendeckpassagiere und 406 Deckpassagiere. Gegenwärtig befinden sich von der ersten Kategorie 72, von der zweiten 7 und von der dritten 160 Personen an Bord. Kapitän der „Empress of China“ ist R. Archibald, Reserveoffizier der britischen Marine; die Bemannung besteht aus 71 Europäern und 142 Chinesen. Meine geräumige und — bis auf ein kurzes Bett — bequeme Kajüte liegt unter der Brücke neben dem Decksalon.

Wie auf jedem englischen Personenschiffe, wird man auch hier alsbald zum Passagier Nummer „So und soviel“ und muss sich der allgemeinen Bordvorschrift fügen, welche besonders das Rauchen sehr einschränkt.

Einige Zeit fuhren wir noch längs der japanischen Küste hin, vom „Jajejama“ begleitet, auf dem sich unser Gesandter, die beiden Legationssekretäre und der Generalkonsul Kreitner eingeschifft hatten. Endlich tönte noch ein Hurrah vom „Jajejama“ zu uns herüber, und dann verloren wir allmählich Kriegsschiff wie Küste aus dem Auge — wir steuern in offener See!

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  • Ort: Yokohama, Japan
  • ANNO – am 25.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Die Jüdin“ aufführt.

Jokohama, 24. Aug. 1893

Leider nahte der Abschied; der letzte Tag, den ich auf der „Elisabeth“ verbringen konnte, war angebrochen; denn schon morgen soll die „Empress of China“, auf der ich mich einzuschiffen gedenke, und welche im Laufe des heutigen Vormittages in Jokohama eingelaufen ist, nach Amerika abgehen. Die Kisten und Koffer wurden bereits gepackt, doch eilte ich nochmals an das Land, um einige Zwergbäume zu kaufen, und konnte bei dem zu diesem Zweck unternommenen Besuch einer großen Handelsgärtnerei über die Mannigfaltigkeit der zwerghaften Bäume sowie über die Variationen der Verkrüppelung, die den einzelnen Exemplaren beigebracht war, nicht genug staunen. Eine kaum fußhohe Fichte, welche ich kaufte, soll angeblich das Alter von mehr als 50 Jahren erreicht haben.

Bei einem Frühstück vereinigte ich die Rangältesten jeder Charge und blieb den Rest des Nachmittages an Bord, mit der Ordnung verschiedener Angelegenheiten für die weitere Reise beschäftigt.

Offenbar mit Rücksicht auf die bevorstehende Abreise genoss ich heute, das erste Mal seit meiner Anwesenheit in der Nachbarschaft des Fudschi-jamas, den Vorzug, den heiligen Berg mit seinem abgestumpften Kegel bei völlig reiner Atmosphäre zu sehen.

Als es dunkel zu werden begann, nahm ein großartiges Abschiedsfest seinen Anfang, welches die Herren des Stabes und die Mannschaft mir zu Ehren arrangiert hatten. In einem sinnreich durchdachten Zug sollten Vertreter aller der Länder und Völker, die wir auf unserer Reise besucht und gesehen hatten, an mir vorüberwandeln, also lebende Bilder eine Wiederholung der bisher so überaus glücklich zurückgelegten Reise geben. Schon vor langer Zeit war an Bord mit den Vorbereitungen für das Fest begonnen worden; alle Künstler und Handwerker hatten mit Herstellung der Kostüme, Dekorationen u. dgl. vollauf zu tun. Gleichwohl war das Geheimnis so ziemlich bewahrt worden, und nur manchmal sah man einen rabenschwarzen Wilden oder einen Japaner nach der Probe durch die Batterie huschen.

Sobald mich der Kommandant abgeholt hatte, versammelte sich der gesamte Stab vor meiner Kajüte, während die nicht am Zug beteiligte Mannschaft sich in Gruppen auf dem Deck verteilte; dieses war glänzend erleuchtet, und namentlich warf eine elektrische Sonne taghelles Licht gegen das Kastell, von welchem aus sich der Zug entwickelte. Unser wackerer Kapellmeister hatte ein Potpourri komponiert, welches Reminiscenzen an die einzelnen Phasen der Reise wachrufen sollte; soweit als möglich, waren Nationalweisen der betreffenden Länder eingeflochten, so dass der festliche Aufmarsch durch die musikalische Produktion in passender Weise begleitet und kommentiert wurde.

Den Zug eröffneten Ägypter aus Port Said, Fellahs und Nubier, dann kamen schwarze Somali und adrette englische Soldaten in den traditionellen roten Röcken aus Aden; Ceylon entsandte Singhalesen und mehrere Buddha-Priester aus Kandy; Indien war durch eine Gruppe vertreten, in welcher auch schöne Inderinnen zu sehen waren. Die beiden besten Figuren in dieser Abteilung bildeten der falsche Mahmud, nämlich der Maat Ivicich, welcher die Gewandung und den Turban unseres Dieners Mahmud entlehnt hatte und so dem Inder frappant ähnlich sah, ferner ein reicher Parse, dargestellt vom Büchsenmacher, der mit einem von unserem Schiffskaplan erborgten langen Rock und einem entsprechenden Embonpoint versehen war, um möglichst original zu erscheinen. Sehr charakteristisch und naturgetreu, mit Schmuck und Waffen echter Provenienz ausgerüstet, marschierten alle Insulaner auf, die Kanaken von Numea, die Papuas der SalomonInseln und endlich die Dajaks aus Borneo. Aus Australien waren Aborigines, sowie Farmer, Squatter und Buschklepper erschienen. Sehr witzig wurde das Einlangen der langersehnten Post in Hongkong durch einen schmetternden Postillon dargestellt. Die Söhne des himmlischen Reiches, bezopfte Chinesen, trippelten paarweise vorbei, gefolgt von einer ganzen Schar Japaner und Musumes, in Kimonos gehüllt, und mit allerlei japanischen Musikinstrumenten ausgerüstet, die aber zum Glück nicht gespielt wurden. Der kleine Tiroler, welcher schon bei der Äquatorialtaufe in einer weiblichen Rolle, als Amphitrite, mitgewirkt hatte, machte auch als Musume einen niedlichen Eindruck.

Den Zug beschließend, marschierte der Bootsmann Zamberlin, mit der Flagge in der Rechten und gefolgt von 20 der größten und stärksten Matrosen in Parade, auf. Er machte vor mir halt, hielt die Flagge hoch und richtete an mich eine Ansprache echt patriotischen Inhaltes, in der er darauf hinwies, dass die gemeinsame Reise auf der „Elisabeth“ ein glückliches Ende genommen habe und dass unsere Marine bei jeder Gelegenheit ihr Bestes tun werde, um die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Wenn Seine Majestät unser Allergnädigster Kriegsherr seine Völker je wieder zum Kampf rufen sollte, so wolle die Kriegsmarine abermals einstehen mit ihrem Blut für Kaiser und Vaterland, ihr heiligstes Panier, die Flagge, stets schützend und in Ehren bewahrend. Mit einem Hurrah auf mich beendete der brave Mann seine Rede. die mich bis zu Tränen ergriff, da er in seiner schlichten Art und Weise, aber mit aus dem Herzen kommender Begeisterung gesprochen hatte. Jeder von uns fühlte, dass Zamberlin so gesprochen hatte, wie er empfand; seine Worte waren die eines patriotisch denkenden Soldaten und Österreichers.

Mögen in unserer Marine sowie im Heere stets Unteroffiziere herangebildet und erhalten werden von jener Biederkeit und Tüchtigkeit, welche Zamberlin auszeichnen, Männer, die das Herz auf dem rechten Flecke haben! Solche Leute sind die Stütze ihrer Kommandanten, das leuchtende Vorbild der jungen Mannschaft. Gewiss ist gründliche Schulung und eine Summe von Wissen erforderlich, damit der Soldat in allen Fällen seine Schuldigkeit zu thun vermöge, aber dies allein genügt nicht; um dem Feind erfolgreich die Spitze bieten zu können, muss der Mannschaft die Erfüllung ihrer Pflicht vor allem zur Herzenssache geworden sein.

Ich schritt dann die Front aller Teilnehmer des Festzuges ab, wobei ich oft Mühe hatte, einzelne der Mannschaft, die mit mir bei Gelegenheit verschiedener Expeditionen zu Wasser und zu Land in nähere Berührung gekommen waren, in ihrer Vermummung wieder zu erkennen; namentlich bot die Feststellung der Identität bei den schwarzgefärbten Wilden nicht geringe Schwierigkeit. Das Arrangement des Festzuges war nicht bloß im Ensemble, sondern auch in den Details ein überaus gelungenes, wovon ich mich bei näherer Besichtigung der einzelnen Figuren und Gruppen überzeugte. Ich kann nur wünschen, dass diejenigen, welche das Fest inszeniert haben, in dem Bewusstsein der mir bereiteten Freude und der freundlichen Erinnerung, welche ich der Vorführung der gelungenen Reisebilder bewahren werde, Entschädigung für die aufgewendete, wahrlich nicht geringe Mühe finden.

Ein Diner, zu welchem mich der Schiffsstab geladen hatte, fand auf dem von künstlerischer Hand in einen Gartensalon umgewandelten Eisendeck statt. Zum letzten Mal waren wir heute auf jenem Platz vereinigt, wo ich mich mit den Herren des Stabes so oft zusammengefunden, — unter allen Himmelsstrichen, die wir durchfahren haben, an guten und an bösen Tagen, wie wir sie eben erlebt — um Gedanken, Eindrücke, Empfindungen in gemütlichem Plaudern auszutauschen, um der lieben, fernen Heimat zu gedenken.

Wie überall, wo Soldaten zum Mahl vereinigt sind, wurde auch heute das erste Glas auf das Wohl unseres Allerhöchsten Kriegsherrn unter den feierlichen Klängen der Volkshymne geleert. Dann hielt der Kommandant eine warm empfundene Ansprache an mich, welche ich, wie es mir gerade ums Herz war, tief ergriffen von dem Gedanken, dass ich schon morgen die „Elisabeth“ verlassen, mich von den Herren des Schiffsstabes trennen soll, erwiderte, indem ich mit meinem innigsten Dank die Hoffnung ausdrückte, dass unserer schönen Kriegsmarine jede Unternehmung glücken werde wie die bisherige Reise, und den Wunsch verband, dass den Herren eine glückliche Heimkehr im Gefühl treu erfüllter Pflicht beschieden sein möge.

Während des Diners wurde ich von den Offizieren durch eine sinnige Gabe überrascht, durch Überreichung eines Bildes, welches der kunstgeübten Hand Rambergs entstammte und im Rahmen einer Reihe von Ansichten der besuchten Länder eine Weltkarte mit der ersichtlich gemachten Reiseroute darstellte. Das in Aquarell ausgeführte Bild ist durch treffende Auffassung sowie durch technische Vollendung ausgezeichnet und stellt dem ungewöhnlichen Talent des Künstlers ein glänzendes Zeugnis aus.

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  • Ort: Yokohama, Japan
  • ANNO – am 24.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater das Ballet „Excelsior“ aufführt.

Jokohama — Tokio, 23. Aug. 1893

Vormittags versuchte ich in Jokohama neuerlich mein Glück in der Besorgung von Einkäufen, und zwar diesmal von dem liebenswürdigen Baron Siebold geleitet, der sich durch seinen jahrelangen Aufenthalt in Japan vollkommene Vertrautheit mit allen Verhältnissen angeeignet hat und auch das japanische Idiom beherrscht. Leider hatten meine Bemühungen keinen Erfolg; denn vergeblich trachtete ich, Seidenstoffe und Brokate zu finden, wie ich solche in Kioto erworben hatte, und erhielt überall auf meine Nachfrage den Bescheid, dass die Stoffe erst aus Kioto bestellt werden müssten. Hingegen gelang es mir, die Bordmenagerie durch reizende, weiße Zwerghühner — eine ganze Voliere voll — und durch einen der schon so seltenen Hähne zu ergänzen, deren Stoß eine Länge von mehreren Metern aufweist. Auch zwei sehr possierliche Bären sandte ich an Bord, die alsbald die Lieblinge der Mannschaft wurden und in der kürzesten Zeit aufwarten lernten; hoffentlich kommen sie wohlbehalten in die Heimat, wo sie den Burggraben in Konopist bewohnen und zieren sollen.

Nachmittags wollte ich wieder in Tokio sein und ließ, um den lauernden Augen der Polizei zu entgehen, Clam und Pronay direkt nach der Hauptstadt fahren, wo sie auch auf das feierlichste von einer tausendköpfigen Menschenmenge und dem entsprechenden Aufgebot von Polizisten empfangen wurden, während ich mit Siebold in der vorletzten Station ausstieg und mittels Rickschas nach Tokio eilte. Das Manöver gelang auch, wir konnten uns durch einige Stunden ganz unbehindert bewegen und ein Diner in einem Restaurant des schönen Ujeno-Parkes einnehmen.

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  • Ort: Tokio, Japan
  • ANNO – am 23.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Freund Fritz“ aufführt.

Nikko — Jokohama, 22. Aug. 1893

Da die unbarmherzige Eisenbahnverwaltung zu keiner anderen Stunde als um 5 Uhr morgens einen Extrazug nach Jokohama beistellen wollte, mussten wir beizeiten aus den Federn, um Nikko Lebewohl zu sagen, und langten um 11 Uhr vormittags wieder auf dem Bahnhof von Jokohama an, der sich im Nordosten der Stadt auf einer dem Meer abgewonnenen Stelle erhebt.

Gleich Tokio in der Provinz Musaschi gelegen, ist es zu seiner heutigen Bedeutung aus einer an der Westseite der Tokio-Bai befindlichen, unbedeutenden Ansiedlung erwachsen, seit diese im Jahr 1859 zum Vertragshafen erklärt und hiedurch der Handelsverkehr mit Europa sowie mit Amerika eröffnet worden ist. Der Ruhm, in das von Ijejasu inaugurierte und von dessen Enkel Ijemitsu ausgestaltete System der Absperrung gegen den Verkehr mit fremden Nationen Bresche gelegt zu haben, gebürt den Amerikanern und ist insbesondere an die vom Commodore Perry im Jahre 1854 befehligte Expedition geknüpft. welche mit der Eröffnung der Häfen von Schimoda und Hakodate für den amerikanischen Handelsverkehr abschloss. Seither sind Kobe, Osaka, Nagasaki, Hakodate, Niigata und Jokohama als Vertragshäfen für den Verkehr überhaupt und für die Besiedlung durch Fremde freigegeben worden, so dass sich die letzteren hier in den eigens hiezu bestimmten Stadtteilen niederlassen und im Umkreis von fast 40 km ohne besondere Erlaubnis reisen können. An Stelle Jokohamas war übrigens anfänglich das etwas nördlich gelegene Kanagawa zum Vertragshafen bestimmt, wurde jedoch wegen seiner Lage am Tokaido und den hier stets drohenden Konflikten zwischen den Fremden und den im Gefolge der reisenden Daimios des Weges ziehenden Samurais durch Jokohama ersetzt. Dieses spielt heute unter den Vertragshäfen die erste Rolle als Knotenpunkt aller Dampferlinien, welche Japan einerseits mit Europa und andererseits mit Amerika verbinden, als Ziel fast aller Kriegsschiffe, die Japan anlaufen wollen, und zahlreicher Handelsschiffe und Küstenfahrer jeglicher Art.

Jokohama, 143.000 Einwohner zählend, ist recht eigentlich das Zentrum der Berührung Japans mit dem Westen und mit dem Osten, die Ein- und Ausbruchstation des Handels geworden; daher rührt auch der internationale Charakter der Stadt, welcher in ihrem Äußern und ihrer Bevölkerung zum Ausdruck kommt.

Eine mit bedeutenden Kosten errichtete Quaistraße zieht sich den Hafen entlang; Zollhäuser und merkantile Etablissements, wie Lagerhäuser und Ladeplätze, dienen dem Verkehr. Fast 3 km weit dehnt sich am Hafen die Fremdenniederlassung, das Settlement, aus, nach einer Feuersbrunst im Jahre 1866 größer und schöner wieder auferbaut, von breiten, wohlgepflegten Straßen durchzogen und Wohnhäuser, Banken, Bureaux, Clubs, Hotels und Konsulate umfassend. Zahlreiche Fremde haben übrigens in Jokohama selbst nur den Sitz ihrer geschäftlichen Tätigkeit aufgeschlagen, ihre Behausung aber auf dem die Stadt im Westen halbkreisförmig umschließenden Hügelzug, Bluff genannt, errichtet, um hier Waldesluft zu atmen und sich des schönen Ausblickes auf den Hafen zu erfreuen.

Das vorwiegende Bevölkerungselement wird selbstverständlich durch die Japaner gebildet; aber die Fremdenkolonie, hauptsächlich aus Engländern und Amerikanern bestehend, ist stark genug, um sich schon im Straßenbild als führender Faktor des städtischen Lebens bemerkbar zu machen, so dass man, die Stadt durchwandernd, allerorten Fremden begegnet, nicht zum wenigsten den von den Kriegsschiffen ans Land gekommenen Matrosen, welche hier für die Entbehrungen langer Seefahrten Entschädigung suchen.

Obschon ich gebeten hatte, mir während der letzten Tage meiner Anwesenheit in Jokohama einen Incognito-Aufenthalt zu ermöglichen und daher auch auf die Begleitung durch die japanische Suite verzichtet hatte, folgten dem Rickscha, dessen ich mich bei meiner Wanderung durch Jokohama und bei der Besorgung von Einkäufen bediente, doch sofort der Polizeipräfekt, ein polizeilicher Beamter und zwei Reporter, was in den Straßen begreifliches Aufsehen erregte. Nachdem andere Versuche, mich dieses Gefolges zu entledigen, vergeblich geblieben, nahm ich zur List meine Zuflucht, indem ich in das Grand Hotel eilte, dort frühstückte und dann, durch ein Hintertürchen entwischend, einen anderen Rickscha bestieg. Aber die Freude an der gewonnenen Freiheit dauerte nicht lange, die Polizei war mir bald wieder auf der Fährte und kam schließlich full pace angesaust, so dass ich nun telephonisch Sannomiyas Hilfe anrief, der auch bald zur Stelle war und mich von dem unerwünschten Geleit befreite. Kaum war aber eine Viertelstunde vergangen, so hatte sich mein Cortege abermals zusammengefunden, um sich gleich dem Schatten an meine Fersen zu heften, ja ich glaube sogar bemerkt zu haben, dass einer der Gefolgschaft jeden Gegenstand, den ich kaufte, sorgfältig notierte. Schließlich eilte ich an Bord, nicht ohne mich während der Fahrt dahin der Begleitung eines Polizeiorganes zu erfreuen, das mir in einer Barkasse nachzog.

Um die Erwerbung solcher Objekte, welche ich suchte, stand es in Jokohama nicht eben sehr erfreulich; obwohl die Zahl der Kaufläden Legion ist, war es recht schwierig, meinem Geschmack Zusagendes zu finden, der durch den Aufenthalt in den eigentlichen Produktionsstätten der japanischen Kunstindustrie, wie namentlich in Kioto, offenbar ausgebildet und verfeinert worden war. Jokohamas Läden sind erfüllt mit Kuriositäten im eigentlichen Sinn, welche auf die Fremden, insbesondere auf die Amerikaner, berechnet sind, die nur darauf ausgehen, möglichst rasch einige charakteristische Erzeugnisse des Landes zu erwerben, und derlei Nachfrage hat hier offenbar die Erzeugung nicht eben fördernd beeinflusst.

Als ich meine Ansicht hierüber einigen Kaufleuten mitteilte, gaben diese die Richtigkeit der gemachten Wahrnehmung zu, fügten jedoch bei, dass gerade derartige minderwertige Waren, wenn dieselben nur groß, bunt, ja schreiend und recht verschnörkelt seien, reißenden Absatz nach Amerika und auch nach England landen, während stilgerecht, diskret und geschmackvoll gearbeitete, daher auch wertvollere Erzeugnisse wenig gesucht würden.

Abends hatte ich die Herren unserer Gesandtschaft sowie jene der japanischen Suite zu einem Diner an Bord geladen, wobei heimatliche Weisen alle Gäste in fröhliche Stimmung versetzten.

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  • Ort: Yokohama, Japan
  • ANNO – am 22.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater die Oper „Der fliegende Holländer“ aufführt.

Nikko, 21. Aug. 1893

Der Japaner sagt: „Nikko minai utschi-wa kekko-to iuna“ — wer Nikko nicht gesehen, rede nicht vom Schönen. Die Natur hat in der Tat alles aufgeboten, um das Gebiet von Nikko, „der Sonne Glanz“, zu dem, wie allgemein behauptet wird, landschaftlich anziehendsten Japans zu gestalten. Was jenen Namen führt, ist nicht eine städtische Ansiedlung, sondern ein etwa 600 m über dem Meer liegender, bergiger Distrikt vulkanischen Charakters; im engeren Sinn wird aber von den Japanern unter Nikko das Weichbild zweier Ortschaften im Tal des Daja-gawa, Hatschiischi und Irimatschi verstanden, wovon die erstere eine lange gerade, bis zu dem Ufer des Flusses sich erstreckende Straße bildet.

Als Mittelpunkt des Gebietes und einer Reihe aufragender Berge erhebt sich bis zu 2540 m der Nantai-san, auch Nikko-san genannt, gleich dem Fudschi einer der heiligen Berge Japans, zu dessen Gipfel die Gläubigen emporwallen. Seltener Reichtum an Gewässern belebt die Waldesruhe, klare Seen spiegeln die umrahmenden Höhen wieder, Bäche rauschen zutal, kleine Fälle bildend, deren im Umkreis von 25 km etwa dreißig gezählt werden. Was aber der Landschaft einen unvergleichlichen Schmuck verleiht, ist die üppige Vegetation, welche Berg und Tal bedeckt, sind die gewaltigen Baumriesen, monumentale Cryptomerien, die in ihrer Unversehrtheit und ihrem feierlichen Ernst dem Tal höhere Weihe geben, in dessen Erde zwei der glänzendsten Gestalten des alten Japan ruhen, der große Ijejasu und sein Enkel Ijemitsu.

Angelockt durch die herrliche Natur, verbringen viele Vertreter fremder Staaten sowie Engländer und Amerikaner im Gebiet von Nikko die heiße Jahreszeit, so dass hier die Tempelstadt auch eine Sommerfrische bildet, das Heilige und das Profane sich friedlich miteinander vertragen.

Leider war mir das Wetter nicht günstig, und von den Reizen jener Gegend, über welche ich in lebendigsten Farben gemalte Beschreibungen gelesen, die mir in Worten des Entzückens geschildert worden. bekam ich nur wenig, um nicht zu sagen, nichts zu sehen. Es goss in Strömen, die Nebel hingen tief zur Talsohle nieder, die Berge und die Wälder verschleiernd, als wollten die geheiligten Stätten sich dem Blick des Fremden entziehen, der gekommen war, nicht zu opfern und zu glauben, sondern nur zu schauen und zu genießen. Doch nicht allein die Natur, auch die Kunst hat beigetragen, Nikko zu einem Glanzpunkt Japans zu gestalten, und an deren Werken konnten wir uns des argen Wetters ungeachtet erfreuen, so dass wir früh morgens unseren Rundgang antraten.

Vorerst drangen wir in einen lieblichen Tempelgarten, um einen Oberpriester aus seiner Behausung herbeizurufen, welcher, durch so frühzeitigen Besuch sichtlich überrascht, sich endlich gefasst hatte und das Sambutsu-do, das ist die Halle der drei Buddhas, aufsperrte. Diese gleicht völlig den Bauwerken, welche wir bisher schon gesehen, und ist nur ausgezeichnet durch drei in riesigen Dimensionen gehaltene, vergoldete Bildnisse, deren eines die Göttin Kwan-on mit ihren tausend Händen, das zweite Amitabha und das dritte abermals Kwan-on mit einem Pferdehaupt darstellt.

Größeres Interesse flößt eine außerhalb der Halle befindliche Säule, Sorinto genannt, ein, die 1643 errichtet wurde und zwar zu dem Zweck, um böse Einflüsse abzuwehren; sie ist 13 m hoch, aus Kupfer in zylindrischer Form hergestellt und in ihrem unteren Teil von zwei Paar horizontalen, rechtwinkelig sich schneidenden Querbalken durchkreuzt, die mit ihren Enden auf niedrigen Kupfersäulen ruhen. Das obere Ende der Mittelsäule ist mit einer Reihe übereinander angeordneter, der Lotosblume nachgebildeter Zierate versehen, von welchen kleine Glocken niederhängen.

Unter dem Dach der mit ihren Asten sich berührenden und so einen vollständigen Schluss bildenden Cryptomerien dahinschreitend, wandten wir uns dem Tempelmausoleum Ijejasus zu. Tiefe Stille, feierliche Ruhe herrscht im Bereiche der ehrwürdigen Bäume, deren dichte Benadelung kaum einem Sonnenstrahl gestattet durchzudringen und deren kerzengerade, rotbraune, oft mehrere Meter im Umkreis messende Stämme mit dem zarten, lichtgrünen Moos kontrastieren, welches den Boden bedeckt. Während man sonst so häufig durch den Anblick einer vielgepriesenen Naturschönheit enttäuscht wird, tritt hier gerade der gegenteilige Effekt ein; ich hatte mir, aller Schilderungen ungeachtet, die Wirkung dieser bedeutende Flächen bedeckenden Riesenbäume nicht so großartig vorgestellt und war hievon geradezu überwältigt.

Schon im Jahre 767 hatte hier in Nikko der Priester Schodo Schonin den ersten buddhistischen Tempel errichtet und dadurch den Grund zur Heiligung des Ortes gelegt; aber seine eigentliche Bedeutung hat Nikko erst erlangt, seit der große Schogun Ijejasu, vom Mikado als „Hoheit des ersten Ranges, Licht des Ostens, große Inkarnation Buddhas“ unter die Zahl der Götter versetzt, im Jahre 1617 hier bestattet wurde. Die Tempelanlage besteht aus einem Komplex terrassenförmig angeordneter Gebäude und Höfe, welche durch Treppen und Tore miteinander in Verbindung stehen. Durch die Aste zweier Reihen Cryptomerien blinkt uns das über 8 m hohe, aus Granit gefügte Portal entgegen, zu dem einige breite Stufen emporführen; der Fürst von Tschikusen hat dasselbe 1618 mit dem seinen Steinbrüchen entnommenen Material erbaut. Im ersten Hof wird das Auge durch die in leuchtendem Rotlack erglänzende Pagode gefesselt, welche in fünf Stockwerken aufragt und in der Höhe des untersten Stockwerkes von Darstellungen des Tierkreises umrahmt ist.

Die in einiger Entfernung weiter emporführende Treppe ist gekrönt durch das Ni-o-mon, das Tor der zwei Könige, mit zum Teil kunstvoller Darstellung von Löwen, Tigern, Einhörnern, Tapiren und fabelhaftem Getier reich versehen, die hier teils als Wächter, teils in anderer mystischer Funktion angebracht sind. Aus dem Tor heraustretend, befinden wir uns auf der ersten, durch eine intensiv rot bemalte Holzwand umfassten Terrasse der Tempelanlage und sind förmlich gebannt durch die harmonische Gesamtwirkung, zu welcher die stilvollen Bauten, die reiche Fülle künstlerischer Details, die Pracht der Farben, die lebhafte Bewegtheit und doch vornehme Ruhe der Dekoration ineinanderfließen. In drei durch ihre gefälligen Formen ausgezeichneten Gebäuden werden hier alle für die religiösen Zeremonien zu Ehren Ijejasus erforderlichen Gegenstände, ferner solche, deren der Schogun sich bediente, und Tempelschätze aufbewahrt, während ein anderer, prächtig geschmückter Bau eine Sammlung buddhistischer Schriften birgt. Aus dem Jahre 1618 stammt eine Zisterne, welche das geheiligte, für die Waschungen bestimmte Wasser liefert und, aus einem Stück Granit gemeißelt, durch ein Dach geschützt ist, das auf zwölf Granitsäulen ruht.

Ein kleinerer Hof, dessen Front durch eine steinerne Balustrade abgeschlossen ist und den man über eine Treppe erreicht, enthält nicht weniger als 118 Bronzelaternen, jede einzelne ein Kunstwerk, Weihegeschenke von Daimios und anderen vornehmen Spendern, deren
Namen auf den Laternen verewigt sind. Eine weitere Anzahl von Bronzelaternen und Kandelabern — einige hievon sollen aus Korea, andere aus den Niederlanden stammen — fallen durch ihre Größe sowie durch ihre reiche, künstlerische Gestaltung auf.

Durch das zweite große Tempelportal, das Jo-mei-mon, gelangten wir in den dritten Tempelhof. Dieses Portal verdient ein Juwel der japanischen Bau- und Dekorationskunst genannt zu werden; hier haben sich Meister ihres Faches die Hand gereicht, um das Gewaltige mit dem Zarten zu paaren, um dem Können ihrer Zeit ein dauerndes, unser Staunen und unsere Bewunderung erweckendes Denkmal zu setzen. Ein reich geschmücktes, geschweiftes und auf vergoldeten Drachenköpfen ruhendes Dach schützt das Tor, welches von mächtigen Säulen getragen wird, die mit einem klein gehaltenen, geometrischen Dessin bedeckt und weiß bemalt sind. Die Kapitäler der Säulen zeigen Köpfe des Einhorns, während die Tragbalken entlang rings um das Tor Drachenköpfe laufen und im Mittelfeld der Kampf zweier Drachen dargestellt ist.

Ein Gebäude des Hofes enthält die Bühne für die Kagura-Tänze, ein anderes das Goma-do, einen Altar zur Verbrennung von Räucherwerk, während ein drittes die Tragsessel birgt, welche am 1. Juni jedes Jahres angeblich von drei Gottgeistern, Ijejasu und zwei anderen zu Gottheiten erhobenen großen Männern, eingenommen und dann in einer feierlichen Prozession herumgetragen werden. Auf der Tanzbühne machte eine der Tänzerinnen rastlos tiefe Verbeugungen vor uns, wahrscheinlich gerne bereit, mit ihren Genossinnen eine Probe ihrer Kunst zum besten zu geben, die wir doch schon in Nara kennen gelernt hatten. Die Ränder und die Wände der Terrasse werden von kunstvoll gearbeiteten Steinreliefs bedeckt, welche allerlei Vögel und Pflanzen wiedergeben.

Durch das Chinesische Tor oder Kara-mon nähern wir uns dem Haupttempel, dessen Flügeltüren mit Arabesken in vergoldetem Relief verziert sind. Von mehreren Priestern geleitet, betraten wir, nachdem wir über unsere Schuhe noch Wollpantoffel angelegt hatten, das Innere des Tempels, welcher beiderseits Vorräume besitzt, die durch meisterhaft ausgeführte Holzschnitzereien und durch Malereien auf Goldgrund sowie durch reiche Ornamentik ausgezeichnet sind. Das Bethaus des Tempels ist sehr einfach gehalten und birgt im Hintergrunde das Gohei sowie den Spiegel; denn auch in dem Tempelmausoleum Ijejasus wurde nach dem Jahre 1868 durch Einschreiten der Regierung der buddhistische Kultus zugunsten des schintoistischen verdrängt, so dass aus dem Bethaus alle dem ersteren dienenden Symbole und Gerätschaften entfernt wurden.

Das Allerheiligste, zu dem der Weg durch das Bethaus führt, ist mittels vergoldeter Pforten abgeschlossen. Angesichts dieser offenbarte sich der Vorzug, dessen ein Reisender sich erfreut, der nicht als einfacher Tourist durch die Lande zieht, mag immerhin letzterer wieder manche Unannehmlichkeit, welche das Reisen in offizieller Eigenschaft mit sich bringt, nicht zu bestehen haben. Das Allerheiligste zu schauen, ist strenge verpönt, keines Fremden Fuß soll bisher diese heiligsten der Räume betreten haben; vor mir aber taten sich die Pforten auf. Ich gestehe, dass mir dies zur besonderen Befriedigung gereichte, dass sich meiner ein Gefühl des Reisestolzes bemächtigte bei dem Gedanken, eines Anblickes teilhaftig zu werden, der bisher in der Tat noch keinem Europäer gegönnt war, vielleicht auch nicht gegönnt sein wird, und ich werde es zeitlebens dem wackeren Freunde Sannomija zu Dank wissen, dass er mir die hier geborgenen Wunderwerke menschlicher Kunst und Phantasie zu erschließen verstanden hat.

Das Sanctuarium zerfällt in mehrere Räume, deren einer einen Altar mit dem goldenen Gohei und dem Metallspiegel enthält; die hier befindlichen kunstvollen bildlichen Darstellungen buddhistischer Auffassung sind mit Tüchern verhängt. Begreifliches historisches Interesse erweckt die daselbst verwahrte Rüstung des tapferen Schoguns, welche, sehr einfach ausgestattet und mit schwarzem Lack überzogen, den nunmehr zum Gott erhobenen Mann geschützt hat, da er im Schlachtengetümmel den Grund zur Macht seines Hauses legte. Bei schwachem Kerzenschein besahen wir das prunklose Eisenkleid, bis die Priester mittels einiger Laternen den in geheimnisvolles Dunkel getauchten Raum erhellten und unsere Blicke auf einen reich vergoldeten Schrein fielen. Vor diesem warfen sich die Priester nieder, berührten mit der Stirn den Boden und öffneten schließlich eine Art Tabernakel, in dem sich hinter einem Vorhang als letzter Hülle das Sanctissimum befand — eine bemalte Figur, Ijejasu in sitzender Stellung wiedergebend. Dieses Gottesbild vermag wohl in niemandem religiöse Ergriffenheit zu wecken; dafür aber versetzten mich der Schrein, welcher den Götzen birgt, die Dekoration der Wände und die an den Türen ersichtliche Arbeit in helles Entzücken. Mit Bedauern erfüllte mich nur, dass durch die Umstände, namentlich durch Mangel an der erforderlichen Beleuchtung, eine eingehende Besichtigung der Kleinode japanischer Kunst, welche sich uns darboten, erschwert war, so dass ich mich mit dem Gesamteindruck begnügen musste. Hier war in der Tat Verschwendung getrieben worden mit der Ausschmückung des Schreines, der Wände und der Türen durch Bemalung, Vergoldung und Schnitzerei; der entfaltete künstlerische Reichtum an Motiven und deren vollendete Wiedergabe scheint im ersten Momente fast sinnverwirrend, ordnet sich aber bei näherer Betrachtung zu völliger Harmonie, zu wohltuender Ruhe. Ijejasu, der als Mensch Großes, Gewaltiges geleistet, indem er der Geschichte seines Landes eine fast dreihundertjährige Bahn vorzeichnete, hat hier als Götze Wunder gewirkt, da er durch sein Andenken zu so hoher Kunstleistung, wie sie uns hier entgegentritt, zu begeistern vermocht hat.

Von der Stätte, welche des Gottes Bild umschließt, schreiten wir jener, welche des Toten Asche birgt, zu, klimmen über 240 Stufen aus Stein, die von Moos bedeckt sind, empor und stehen vor dem Grab Ijejasus. Ein hoher Steinsockel trägt eine Urne aus Bronze, welche die Überreste des Schoguns enthält; vor dem Sockel sind auf einem Steinaltar als Symbole aufgestellt ein Räuchergefäß, eine Vase mit Lotosblüten und anderen Blumen sowie ein großer Kranich, der auf dem Rücken einer Schildkröte steht und ein als Leuchter dienendes Blatt im Schnabel hält — alles wertvolle Bronzearbeit. Eine Steinbalustrade umfriedet das Grabmal; der Eingang führt durch ein massives Tor aus Bronze, das von zwei Löwen bewacht wird. Ernst ist der Platz, den sich Ijejasu selbst als Ruhestätte auserkoren, und die erhabene Einfachheit des Grabmales ergreifend; die Kunst, die sich in den zu Füßen des Grabes liegenden Bauwerken ein hohes Lied gesungen, scheint hier verstummt, als sollte derjenige, welcher emporgepilgert ist, in seinen dem Toten zugewandten Gedanken nicht durch bildnerischen Schmuck abgelenkt werden.

Nochmals kehrten wir zum Haupttempel zurück, um den stimmungsvollen Effekt zu genießen, welchen der Einklang des architektonischen Aufbaues der Tempelanlage mit deren landschaftlicher Umrahmung und mit dem majestätischen Walde hervorbringt — und der Zauber dieser Wirkung wird noch erhöht durch den tiefen, über dem Grabmal des gewaltigen Kriegers ausgebreiteten Frieden, zu welchem heute der Regen eine melancholische Weise rieselte.

Der Tempelschatz, dem wir ebenfalls unseren Besuch abstatteten, enthält wie andere Räume gleicher Art kostbare Weihgeschenke hervorragender Personen, so Waffen, Rüstungen, Sattelzeug, allerlei Gerätschaften für feierliche Umzüge, Gebetrollen, ferner 50 m und mehr messende Rollen mit Darstellungen aus der Geschichte des Landes oder der Götterlehre. Besondere Erwähnung verdienen alte Kakemonos, welche Falken in täuschender Naturtreue und Szenen, die der in Japan angeblich noch immer betriebenen Falkenjagd entnommen sind, wiedergeben. In früheren Zeiten soll es möglich gewesen sein, von den habgierigen Bonzen durch Geld und gute Worte — und zwar durch mehr von dem ersteren als von den letzteren — einzelne der im Tempelschatz verwahrten Objekte zu erwerben. Als jedoch dieser Unfug infolge der großen Dimensionen, die er angenommen, Aufsehen erregt hatte, wurde demselben durch genaue Inventierung der Tempelschätze gesteuert.

Nach dem Tempelgrab Ijejasus konnten uns zwei andere Tempelanlagen, welche wir mehr durcheilten, als genau besahen, nicht mehr dasselbe Interesse einflößen.

Der uns begrüßende, in prachtvolle, violette Gewandung gehüllte Oberpriester des einen dieser Tempel war früher ein mächtiger Daimio der Nordprovinzen und hatte sich in dem Kampfe zwischen dem Mikado und dem Schogun auf die Seite des letzteren gestellt; besiegt und seines Landes verlustig, wurde dem Daimio Gnade zuteil und nebst dem ihm zuerkannten Grafentitel als eine Art Pension die Stelle des Oberpriesters an diesem Tempel verliehen.

Die zweite Tempelanlage, das Mausoleum Ijemitsus, teils einem tief eingeschnittenen Tal entlang, teils auf der Lehne eines Berges erbaut, liegt unweit der Grabstätte Ijejasus und ist weit weniger glänzend ausgestattet, immerhin aber beachtenswert, weil sich hier der Buddhaismus behauptet hat und daher der ganze Ausstattungsapparat, dessen jener sinnfällige Kultus bedarf, noch vorhanden ist. Die bei den Tempeltoren postierten Tempelwächter repräsentieren eine stattliche Versammlung der scheußlichsten Fratzen; wir sehen hier einen roten und einen grünen Teufel, die zwei kühnen, goldenen Könige und zwei Figuren in Menschengestalt, welche mit dem ganzen Aufgebote der üppigen buddhistischen Phantasie greulich ausgestattet sind; die eine, rot gefärbte stellt die Gottheit des Donners dar. welche vergoldete Schlägel in der Hand hält und einen über den Rücken geschwungenen Reif mit neun flachen Trommeln trägt, aus denen Blitze sprühen; das andere Scheusal, in hellblaue Farbe getaucht, repräsentiert den Gott des Windes und blickt uns mit aus Krystall gefertigten Augen sowie mit satanischer Miene an, indem es auf einem Steinblock sitzt und einen über den Rücken geworfenen Windsack mit den Händen zuhält. Votivlampen aus Bronze deuten auf die Verehrung hin, deren sich Ijemitsu erfreut.

Von hier fuhr ich direkt nach Nikko oder richtiger nach Hatschiischi und passierte abermals den schäumenden Daja-gawa, dessen beide Ufer durch zwei Brücken verbunden sind; die eine dient dem allgemeinen Verkehr, während die andere, Mihaschi, dem Mikado vorbehalten ist und nur zweimal des Jahres für Pilgerzüge geöffnet wird. An der Stelle, wo der Buddha-Priester Schodo Schonin vor mehr als tausend Jahren eine wunderbare Erscheinung gehabt haben soll, erbaut, ruht die Brücke, in hellrotem Lack leuchtend, auf steinernen Pfeilern, welche in die Felsen eingelassen sind.

Im Städtchen wandte ich mich dem Einkauf von Pelzwaren zu, deren es hier eine große Auswahl gibt und die insofern kulturhistorische Anklänge wachrufen, als vor den Umwälzungen des Jahres 1868 neben anderen auch alle jene, die sich mit Lederbearbeitung, mit Rauhwaren u. dgl. m. befassten, im Gegensatz zu den Heimin oder Angehörigen des gewöhnlichen Volkes, den Etas oder Unreinen, zugezählt wurden, das heißt einer verachteten, von der sonstigen Gesellschaft ausgeschlossenen Kaste, die in besondere Ortschaften oder Stadtteile verwiesen war — eine Stellung, die vermutlich auf buddhistischen Einfluss zurückzuführen ist. Noch tiefer standen nur die Hinin, die Nichtmenschen, eine erst unter den Tokugawas entstandene Klasse Armer, welchen nur gestattet war, sich auf unkultiviertem Lande niederzulassen.

Unter den vorrätigen Rauhwaren fand ich auch solche, die bei uns unbekannt sein dürften, so Felle der japanischen Antilope, von Affen, von Bären der Insel Jeso, von Dachsen zweierlei Arten, von Ottern, deren Art von der bei uns vorkommenden verschieden zu sein scheint, von Seehunden und von großen Eichhörnchen; auch zwischen chrom- und ockergelb variierende Felle von Mardern sowie originelle, aus Fellen gefertigte Hausschuhe waren erhältlich. Bald wanderte ein Rickscha schwer beladen mit den erstandenen Waren in unser Hotel. Da die Wege in der Umgebung Nikkos, wie man mir sagte, mit Rücksicht auf meinen bevorstehenden Besuch mit großen Kosten in guten Stand gesetzt worden waren, wollte ich dies Opfer nicht nutzlos gebracht wissen und entschloss mich trotz des strömenden Regens, eine Fahrt nach dem Urami-go-taki genannten Wasserfall zu unternehmen. Von der vielgerühmten landschaftlichen Schönheit der durchfahrenen Strecke bekamen wir des Regens halber leider nichts zu Gesicht und mussten, unter unseren Regenschirmen hervorlugend, mit dem Anblick der in nächster Nähe gelegenen, in frischem Grün prangenden Wiesen und Wälder vorlieb nehmen, welch letztere hier mannigfache Baumarten aufweisen, so auch Eichen und Ahorne. Kleine Weiler und Ortschaften, trübselig genug im Regen dreinsehend, lagen am Weg.

Unsere Rickschaläufer hatten ein schweres Stück Arbeit in der schlüpfrigen, grundlosen Fahrbahn zurückgelegt, als sie bei einem Teehaus hielten, von wo wir den Marsch zu Fuß eine romantische Schlucht aufwärts antraten. Bald hören wir das Rauschen des Wasserfalles und sind endlich in einem von hochaufragenden Felsen eingeschlossenen Talkessel; hier stiebt ein Gebirgsbach aus einer Höhe von 15 m eine prächtige Kaskade bildend, über eine Felswand herab in ein trichterförmiges Becken. Infolge des starken Gefälles oberhalb der Felswand und deren senkrechter Stellung stürzt die Wassermasse in einem weiten Bogen ab, so dass es möglich ist, unterhalb des Falles und hinter demselben vorbeizuschreiten, ohne größere Gefahr zu laufen, als von einem feinen Sprühregen benetzt zu werden. Der Urami-go-taki gehört nicht zu den Wundern seiner Art, bietet aber immerhin im Rahmen der engen Schlucht ein sehenswertes Schauspiel, namentlich weil die Erde hier aus zahllosen Falten, Schlitzen und Löchern Wässerchen zutage sendet, die eilfertig sprudelnd über die Felsen der Talsohle zurieseln.

Hinter dem Wasserfall steht eine Buddha-Statue, bei welcher die eingeborenen Ausflügler Visitkarten abzugeben pflegen, um der Nachwelt Kunde von dem staunenerregenden Ereignis ihrer Anwesenheit zu geben. Die Ortseitelkeit scheint also nicht nur bei uns, sondern auch im fernen Osten eine Heimat zu haben, allerdings in einer Form, die geschmackvoller ist als die bei uns übliche, verunstaltende Beklecksung von Mauern und Felsen, und es wäre daher unseren Reisenden und Touristen die Adoptierung des japanischen Gebrauches dringend anzuraten.

Während der Rückfahrt machte ich halt vor einer kleinen, am Ufer des rauschenden Daja-gawa reizend gelegenen Villa, welche Sannomija gehört und ihn zur Sommerszeit beherbergt; ich sprach hier bei dessen Gattin vor, die längere Zeit in Wien verbracht hat und das Deutsche vollkommen beherrscht.

Bei einer Avenue von 100 steinernen Buddhas vorbeifahrend, kehrten wir nach Nikko zurück, um noch einige Einkäufe zu besorgen und sodann eine Strecke in der herrlichen Cryptomerien-Allee dahinzurollen, die ich gestern während der Fahrt nach Nikko nur im Dunkel der Nacht gesehen. Unter diesen Bäumen wandelnd, fühlt man sich von dem Hauch einer stolzen Vergangenheit umweht. Bemerkenswert, sind namentlich zahlreiche Zwillingsbäume, die etwa bis auf den dritten Teil ihrer Höhe miteinander verwachsen sind.

Eine vielgepriesene Landschaft, welche die bösartige Anwandlung hat, sich gelegentlich einmal nur im Regenkleide zu zeigen, gleicht einem des besten Rufes sich erfreuenden Menschen, der auf einem Fehler ertappt, Gefahr läuft, von den bösen Zungen in Bausch und Bogen verdammt zu werden. Ich will gegen Nikko gerechter sein; es hat sich wie eine Schöne benommen, die, ihrer Reize und deren Wirkung sicher, Gefallen daran findet, ein schmollendes Gesicht zu zeigen — und mir gegenüber hat Nikko ununterbrochen geschmollt. Gleichwohl war ich, des unvollkommenen Eindruckes, den ich empfangen, ungeachtet, entzückt und kann auf den ganzen Zauber schließen, welchen der heilige Boden Nikkos, von dem Glanz eines schönen Sommertages überhaucht, auszuüben vermag.

Abends taten wir, was unter den Umständen das Geratenste war; wir ließen uns die Laune nicht verderben und vereinigten uns zu einem heiter verlaufenden Diner, welches durch die drolligen Geschichten gewürzt wurde, die Schiffskapitän Kurvaka von der japanischen Suite, immer mehr auftauend, in komischem Durcheinander französischer, englischer und japanischer Worte zum besten gab. Schließlich gestattete Jupiter pluvius, gerade als uns der schwarze Kaffee durch neckische Musumes serviert wurde, sogar die Abbrennung eines Feuerwerkes.

Links

  • Ort: Nikko, Japan
  • ANNO – am 21.08.1893 in Östereichs Presse.
  • Das k.u.k. Hof-Burgtheater macht Sommerpause bis zum 15. September, während das k.u.k. Hof-Operntheater ein Ballet „Cavalleria Rusticana“ aufführt.